Mehr als nur Narren, Götter und Barbaren

Ein Sammelband für Prof. Dr. Markus Winkler zum 65. Geburtstag

Von Karima LaniusRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karima Lanius

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Komparatist Markus Winkler ist in der akademischen Welt international bekannt und bedarf eigentlich keiner weiteren Vorstellung. Dennoch sollte in Hinblick auf den hier vorliegenden Sammelband, der ihm zum 65. Geburtstag gewidmet ist, seine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Fremden und dem Barbarischen hervorgehoben werden. Auch die Herausgeber*innen des Bandes Melanie Rohner und Julian Reidy haben am Forschungsprojekt ‚Barbarisch‘: Geschichte eines europäischen Grundbegriffs und seiner literarischen Reflexion vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart der Universität Genf mitgewirkt. Hannah Berner und Moritz Wagner wiederum haben jeweils bei Winkler promoviert.

Der Sammelband Narren, Götter und Barbaren. Ästhetische Paradigmen und Figuren der Alterität in komparatistischer Perspektive nimmt diese Thematik auf und erweitert sie um närrische und göttliche Figuren. Versammelt sind hier 17 Beiträge in deutscher, englischer und französischer Sprache, die sich von der Besprechung des Decamerone (134853) von Giovanni Boccaccio bis zur Auseinandersetzung mit Margarets Atwoods The Bad News (1992) erstrecken, womit der Sammelband ein ähnlich breites Spektrum abbildet wie die Forschungsinteressen Winklers. Auch der internationale Austausch setzt sich im Band fort: An ihm haben sich Autoren*innen von französischen, deutschen, niederländischen, österreichischen und schweizerischen Universitäten beteiligt.

Eingeteilt ist der Band in drei Sektionen, die den im Titel aufgeführten Themen entsprechen. Die erste Sektion widmet sich den Narren, die zweite den Göttern und die dritte den Barbaren. Dabei sind die Sektionen leider nicht gleich gewichtet, zu den Narren und Barbaren finden sich jeweils sieben, während es zu den Göttern nur drei Aufsätze gibt. Eingerahmt werden die Beiträge von einer Einleitung der Herausgeber*innen, die in die Thematik einführt und die Essenz der einzelnen Aufsätze wiedergibt. Der Band schließt mit Informationen über die Autoren*innen. Auf diese Weise bekommen die Leser*innen einen guten Überblick über die Intention des Bandes.

Allerdings darf man hier keine Einführung in die Historie der behandelten Figuren erwarten; das Gemeinsame der Beiträge besteht vielmehr darin, dass diese sich auf unterschiedliche Weise mit „Figuren der Alterität“ auseinandersetzen. Daneben konzentrieren sich die Beiträge eher auf einzelne Schriftsteller*innen und ihre Werke, wozu z.B. Johann Fischarts Geschichtklitterung (1575), Heinrich von Kleists Amphitryon (1807) oder Ruth Schweikerts Augen zu (1998) zählen. Hier wird noch einmal deutlich, wie breit der Band aufgestellt ist.

Alle Aufsätze stehen mehr oder weniger in Verbindung mit den genannten Figuren, beleuchten aber zum Teil weitere interessante Facetten: Herausheben kann man zum Beispiel den Aufsatz von Bouffons Philistins, Philistin Bouffon, für den Philippe Forgeteigens eine französische Übersetzung des Lyrischen Intermezzos 37 von Heinrich Heine angefertigt hat. Zu nennen ist auch die Beschäftigung von Julian Reidy mit Friedrich Müller, der im wissenschaftlichen Diskurs weniger bekannt ist. Generell fällt auf, dass der Band viele neue Sicht- und Leseweisen vorstellt: So arbeitet Ralph Häfner den Einfluss des frühneuzeitlichen Schriftstellers Paul Winckler auf Friedrich Nietzsches philosophisch-literarisches Schaffen heraus, Cécile Neeser Hever zeigt, dass nicht nur Gustav aus Die Verlobung in St. Domingo (1811) eine tragische Figur ist, sondern auch Toni, weil sie als „mulâtresse“ zwischen zwei Welten steht.

Häufig lassen sich inhaltliche Verbindungen zwischen den Beiträgen finden, die über das Hauptthema des Bandes hinausgehen: Beispielsweise fällt häufiger das Stichwort der Idylle. Es ist möglich, Müllers Schaaf-Schur (1775) so zu interpretieren, dass die Gattung der Idylle brüchig wird, weil die Figur Walter zum Scheitern verurteilt ist. Die Brüchigkeit der Idylle zeigt sich also nicht nur bei Jean Paul, der durch den Prozess „Selbstverkleinerung“ die Idylle bzw. die Außenwelt einem kritischen Blick unterzieht – wie Helmut J. Schneider herausarbeitet. Weiterhin veranschaulicht Melanie Rohner, wie das Element des Barbarischen die Idylle in Salomon Gessners Das hölzerne Bein (1772) aufheben kann.

Man kann kritisieren, dass die Herausgeber*innen den Sammelband in dieser Hinsicht anders hätten strukturieren müssen. Wie sie selbst anmerken, bildet der Ausgangspunkt des Beitrages von Ralf Simon Narrenspeisung. Zur Sprachlichkeit des Essens (Fischart, Jean Paul) die Reflexion über das Adjektiv ‚barbarisch‘, sodass es sich angeboten hätte, die Sektion ‚Barbaren‘ auf die über Narren folgen zu lassen, um die Nähe dieser beiden Felder zu betonen. Allerdings ist es im Allgemeinen schwierig, immer alle verbindenden Elemente zwischen den einzelnen Beiträgen abzubilden, weshalb auch hier der*die Leser*in gefragt ist.

Obwohl der Sammelband Narren, Götter und Barbaren über den im Titel angekündigten Gegenstandsbereich hinausgeht, darf man ihn insgesamt als gelungenes Geschenk für Winkler ansehen, gerade wegen der Vielfalt der Themen.

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Hannah Berner / Julian Reidy / Melanie Rohner / Moritz Wagner (Hg.): Narren, Götter und Barbaren. Ästhetische Paradigmen und Figuren der Alterität in komparatistischer Perspektive.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2020.
378 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-13: 9783849815400

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