Wieder im Wald

Wolfgang Büschers jüngster Roman „Heimkehr“ schildert sein Leben in einer nordhessischen Waldhütte, fern jeder Esoterik

Von Felix HaasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Haas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heimkehr ist nicht Wolfgang Büschers erste Veröffentlichung, die mit mehreren Genres spielt, jedoch ist es seine bislang persönlichste. Wohingegen vergangene Bücher und Reportagen für die ZeitDie WeltSZ oder FAZ durch Amerika, Indien oder Jerusalem führten, erzählt Heimkehr von einem Aufenthalt zwischen Frühjahr und Herbst in einer Waldhütte nahe seines Geburtsortes Volkmarsen in Nordhessen. Was alle nötigen Zutaten eines modernen Walden hat, entpuppt sich schnell als weitaus vielschichtiger als das einfache Aufwärmen eines alten Formats.

„Die Hütte muss man sich nicht als esoterischen Ort denken. Sie mochte es sein, aus dem Sehnsuchtsblickwinkel eines Großstädters“, belehrt uns der Autor früh, und vermag es danach in der Tat konsequent, dem Esoterischen fern zu bleiben. Doch ist Heimkehr nicht nur ein modernes, unprätentiöses Beispiel von Nature Writing, sondern, wie der Titel verspricht, auch das Heimkehren des Autors zu den Orten seiner Kindheit und zu seiner Mutter. Wer nun aber eine Karl Ove Knausgård ähnliche Erzählung erwartet, wird enttäuscht. Auf kaum 200 Seiten behandelt Büscher sicher auch seine Jugend und die Beziehung zu seiner Mutter, jedoch ist dies nicht zentrales Thema des Buches, auch nicht als seine Mutter während seines Aufenthaltes stirbt. Im Leben haben sich beide oft enttäuscht. Im Tod jedoch „geschah, was im Leben nicht möglich gewesen war. [Sie] wollten nichts mehr, beide nicht, wollten nichts voneinander“. Büscher schildert den Tod seiner Mutter in einem zweiseitigen Kapitel, welches, leise und würdevoll, sich dem schlichten Ton des gesamten Werkes unterordnet. 

Den Hauptfokus hält der Autor unbeirrt auf dem Wald, seinen Tieren, Bäumen und den Menschen, die um ihn und von ihm leben. Büschers Hütte gehört ebenso wie der Wald selbst zu einem alten Fürstenhaus, welches über die Jahrhunderte die umliegenden Dörfer geprägt hat. Ob er die Fürstenfamilie bei ihrer jährlichen Treibjagd begleitet oder ein Stück des Bonifatiuspfades geht, er trifft immer wieder auf Wildschweine, Rehe und Füchse, die eigentlichen Bewohner des Waldes. Es sind aber nicht nur Tiere, mit denen er sich die Tage teilt. Neben seiner Mutter verbringt er seine Zeit mit dem Förster, der ihm bald zu einem alten Mercedes verhilft, mit Jägern oder mit Menschen aus dem nahen Dorf. Büscher ist kein romantischer Eremit, sondern versucht den Wald, seine Menschen und ihr gemeinsames Leben, ihre Geschichte und Zukunft zu begreifen. 

Zeit scheint in und um den Wald anders zu verlaufen als in Berlin, wo Büscher sonst lebt. Während der Puls unserer digitalisierten, globalisierten Welt immer schneller zu schlagen scheint, leben in Heimkehr nach wie vor alte Traditionen, Osterfeuer, Schützenfeste. Ob Vergangenheit oder Zukunft, „man denkt hier in Jahrhunderten“. Doch auch dieser Ort der Stille existiert nicht losgelöst vom Rest der Welt. Harvester-Maschinen fällen und zersägen Bäume und hinterlassen „räudige Felle, bräunlich gefleckt, halb kahl“. Ihr Lärm durchzieht die Stille, die sonst nur von Tieren und Wanderern durchdrungen wird. Er ist nicht nur selbst ein Eindringen der modernen Welt, sondern auch Zeuge der Stürme, Hitze und Käfer, die den Fortbestand des Waldes bedrohen und sich, mit dem Klimawandel, von Jahr zu Jahr potenzieren. 

Die Stärke von Büschers jüngstem Erfahrungsroman liegt in der Gegenüberstellung von Natur und Moderne, Nature Writing, das die Menschen und unsere heutige Welt nicht vergisst oder gar verteufelt. Ohne eigentliche Handlung webt er beides ineinander. Im Frankenwald, wo Protestanten und Katholiken sich einst bekriegten, treffen in Heimkehr Tradition und Geschichte auf die Gegenwart und, durch Büscher, auf den einstigen Jungen, „der am Fenster gestanden und sich weit weg gewünscht hatte“.

Titelbild

Wolfgang Büscher: Heimkehr.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2020.
208 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783737100892

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