Landpartie zwischen Stammtischparolen und Wende-Erinnerungen

Vater-Tochter-Konflikte, unverarbeitete Erfahrungen und Rechtsradikalismus: Jens Wonneberger widmet sich in „Mission Pflaumenbaum“ großen Themen in einem kleinen Dorf

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Irgendein Wochenende irgendwo in einem kleinen Kaff in Ostdeutschland: Hierhin hat sich Kramer mit dem Bus aufgemacht, um seiner Tochter Justine einen Besuch abzustatten. Dem sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen, denn das Verhältnis zu ihr ist nicht gerade einfach. Weder ihm noch ihr fällt das Reden über Gefühle leicht, zumal sie ihm mehr oder weniger die Schuld gibt, dass seine Ehe mit ihrer Mutter Gabriele vor vielen Jahren scheiterte. Doch nun, da sie und ihr Mann zu seiner Verwunderung in der tiefsten Provinz ein Eigenheim erworben haben, fühlt sich Kramer zu einem Antrittsbesuch verpflichtet.
Kaum aus dem Bus ausgestiegen, erweist sich dieser Wochenendtrip nicht nur als Familienbesuch, sondern zugleich auch als Reise in die Vergangenheit. Denn die zufällige Begegnung mit Rottmann, einem alten Mann, zugleich das Faktotum des Dorfes und dessen wandelndes Gedächtnis, beleuchtet nicht nur schlaglichtartig einige Wendepunkte lokaler Geschichte, so etwa die Abwicklung der Gurtweberei durch die Treuhand, das Ende des „Dorfkrugs“ oder den Hintergrund der verlassenen „Stipende“. Die Erzählungen des alten Mannes, dessen vogelartige Gestalt und seltsames Benehmen Kramer zunächst abstoßen, berühren ihn unwillentlich in seinem Innern. Sie wecken bei dem Bibliothekar, der eine zurückgezogene, eher rückwärtsgewandte Existenz führt, verdrängte Erinnerungen an sein früheres Leben.

Vor seinem inneren Auge wird so die Wendezeit wieder lebendig, wo er zwar die anarchischen Momente genoss, in denen eine neue Gesellschaft möglich schien. Aber im Gegensatz zu Ehefrau Gabriele reagierte er schnell mit Skepsis auf die weiteren Entwicklungen nach den Montagsdemos und dem Mauerfall – und behielt recht damit. Doch nicht nur das damals Erlebte kommt wieder hoch. Vielmehr sieht sich Kramer zudem mit Rassismus und Rechtsextremismus konfrontiert. Denn Rottmann nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Flüchtlinge geht, die im Dorf einquartiert werden sollen und selbst Kramers Tochter reagiert nicht empört, sondern eher abwiegelnd auf die wehende Reichskriegsflagge in einem Vorgarten, die eine eindeutige Sprache spricht, welcher Geist im Dorf weht.

Wer Jens Wonnebergers Roman Gegenüber brennt noch Licht mit seinem Anti-Helden Herrn Plaschinski aus dem Jahr 2008 kennt, weiß, dass er ein leiser, fein beobachtender Autor ist, der das Zeug zu Großem in sich trägt. Auch hier in Mission Pflaumenbaum kann man ihm erneut die Gabe attestieren, Charaktere mit exakt gezeichneten Nuancen geschaffen zu haben. So ist Rottmann zum Beispiel nicht nur der Ostalgiker, der der alten Weberei nachweint und auf die heutige Zeit mit platten Sprüchen von rechts reagiert. In anderen Momenten zeigt er sich wiederum seltsam klarsichtig in seiner Einschätzung der Dorfbevölkerung und deren Potenzial zu freiheitlichem Denken und demokratischem Miteinander.

Das alles wird in einer ruhigen Beharrlichkeit ohne große dramatische Kniffe erzählt – derer bedarf es auch nicht. Subtil und behutsam deutet Wonneberger viele Konflikte, so auch die zwischen Justine und ihrem Mann, nur an. Oft erfahren wir nur durch Gesten oder kurze Bemerkungen der Figuren davon, dass bei ihnen grundsätzlich etwas im Argen liegt. Dennoch hat der Roman, obwohl er nur 190 Seiten lang ist, auf Dauer etwas leicht Monotones und kommt trotz der geschickten Verbindung von privater und politischer Ebene nicht ganz an die erzählerische Kraft von Gegenüber ist noch Licht heran.

Titelbild

Jens Wonneberger: Mission Pflaumenbaum.
Müry Salzmann Verlag, Salzburg 2019.
188 Seiten , 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783990141946

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