Goethe und die Kindsmörderinnen in Weimar: eine erweiterte Dokumentation von Rüdiger Scholz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Goethes Schuld an der Hinrichtung von Johanna Catharina Höhn, die ihr Kind unmittelbar nach der Geburt in einem Anfall von Panik getötet hatte, ist lange Zeit vertuscht und geleugnet worden. Bis heute wird von einem Teil der Goethe-Forschung heftig bestritten, dass Goethe sich für den Vollzug der Hinrichtung eingesetzt hat und der Herzog ihm nachgab. Daher ist es nicht verwunderlich, dass erst nach 220 Jahren die Akten über Kindesmorde während Goethes aktiver Regierungstätigkeit der Öffentlichkeit vorgelegt und dabei die Lebensdaten der drei betroffenen Mütter ermittelt wurden, damit sich jeder selbst ein Bild davon machen kann. Erstmals deutlich wurde damit der große Unterschied zwischen dem Weimarer Herzog und Goethe. Während Carl August „einiges Mitleiden“ mit der Täterin hat und deshalb die Todesstrafe für Kindestötung überhaupt abschaffen will, hält es Goethe für „räthlicher“, „die Todtesstrafe beyzubehalten“. Die Zeugnisse geben Einblicke in die Machtverhältnisse im Weimarer Musenstaat. Sie zeigen anschaulich die Praxis einer vordemokratischen Justiz im Übergang vom Vergeltungsstrafrecht zum Schuldstrafrecht.

2004 hatte Rüdiger Scholz sein inzwischen vergriffenes Buch dazu mit dem Titel Das kurze Leben der Johanna Catharina Höhn veröffentlicht.  Seitdem sind neue Zeugnisse aufgetaucht, u.a. das Hinrichtungsprotokoll und Dokumente zur Rekrutierung von nicht weniger als 499 Bauern als Miliz zur Absicherung. Belegt ist damit, wie riskant der Regierung die öffentliche Hinrichtung erschien. Der Herzog und auch seine Mutter Anna Amalia verließen Weimar, um dem Schauspiel der Exekution auszuweichen. Goethes Argumentation für die Beibehaltung der Todessstrafe ist formuliert im Mittelteil des Gedichtes „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, entstanden zur Zeit der Frage ,Hinrichtung oder Begnadigung?‘ im Herbst 1783. In der neuen, erweiterten Auflage des Buches mit modifiziertem Titel wird von Scholz auch die heftige Debatte der letzten beiden Jahrzehnte um Goethes Verantwortung für die Hinrichtung in 25 neuen Texten dokumentiert. Seine Einleitung erläutert die Vorgänge, die zu den Urteilen und der Hinrichtung führten.

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Rüdiger Scholz: Goethe und die Hinrichtung von Johanna Höhn. Kindesmorde und Kindesmörderinnen im Weimar Carl Augusts. Die Akten zu den Fällen Johanna Catharina Höhn, Maria Sophie Rost und Margarethe Dorothea Altwein.
2., erweiterte Auflage.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2020.
482 Seiten , 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826067600

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