Durch (Er-)Leiden in den Himmel?

Cora Dietl erschließt mit dem ersten Band eines Editionsprojektes ein Beispiel frühneuzeitlicher Märtyrerinnenadaption

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mitunter wurde und wird ja kolportiert, dass im Rahmen der Altgermanistik eigentlich alles schon abgehandelt sei und außer seltenen Neuentdeckungen verlorener oder verloren geglaubter Texte und Handschriften alles Wesentliche bereits gesagt sei. Ist eine solche Sicht schon im Hinblick auf das Frühe und Hohe Mittelalter höchst fragwürdig, so gilt das – zumindest was die potenzielle Überlieferungsmenge und -lage entsprechender Textkorpora angeht – noch weniger für die Umbruchsphase der Frühen Neuzeit. Gerade im Rahmen der Konfessionalisierung der mitteleuropäischen Gesellschaften nach dem ‚Epochenjahr‘ 1500 sind nicht nur allein zahlenmäßig nennenswerte Textkorpora greifbar, sondern es sind auch durchaus Schätze zu heben, was deren (literatur-)historische Aussagekraft betrifft.

Im Kontext dieser Auseinandersetzungen zu erwarten und in verschiedener Weise auch weitgehend erschlossen ist hier etwa das Phänomen der Flugschriften. Diese waren dezidiert, pointiert und mitunter weit jenseits nicht nur aller Sachlichkeit, sondern auch des guten Geschmacks angelegt, und es wurde oft vor übelster Verunglimpfung nicht zurückgeschreckt. Dass aber auch im Zusammenhang mit der Verteidigung der alten beziehungsweise der Festigung der neuen Konfession auch auf die darstellende Kunst, das Schauspiel also, zurückgegriffen wurde und hier gewissermaßen in Analogie zu den auch heute noch bekannten Passionsspielen das Leben von Heiligen dramatisch be- und verarbeitet wurde, ist vermutlich kaum bekannt. Diesem Umstand soll die von der Gießener Germanistin Cora Dietl inaugurierte und herausgegebene Reihe zu Frühneuzeitlichen Märtyrerdramen gewissermaßen Paroli bieten und dabei interessante, mitunter ein wenig obskur anmutende, in jedem Falle aber interessante Texte breiter zugänglich machen.

Das Martyriendrama Catharina, verfasst von Wolfgang Waldung, steht am Beginn dieser Reihe. Die Katharinenlegende, die wohl im Raum Palästina ihren Ausgang nahm und spätestens im 12. Jahrhundert auch im mitteleuropäischen, also auch im deutschen Überlieferungsrahmen etabliert war, ist eine der vielen aus heutiger Perspektive häufig absonderlich anmutenden Legenden: Katharina war demnach eine frühchristliche Märtyrerin, die nicht nur Glaubenstreue und Keuschheit gegen den römischen Kaiser verteidigte, sondern überdies aufgrund ihrer Gelehrsamkeit und rhetorischen Begabung auch die fünfzig größten Gelehrten des Imperium Romanum nicht nur im Disput widerlegte, sondern aufgrund ihrer Überlegenheit auch zur Konversion zum Christentum veranlasste. Dies allein wäre nach einer heutigen Warte verwunderlich und bewundernswert genug, genügt aber selbstverständlich nicht den Ansprüchen einer Martyriologie. Trotz oder vielmehr wegen ihrer geistigen und moralischen Überlegenheit wurde Katharina grausam gefoltert und mehrfach – unter anderem durch Rädern – vergeblich hinzurichten versucht. Spätestens jetzt aber wäre die Erwartung der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen erfüllt: Ein gottgefälliges Leben wird mit himmlischem Schutz entlohnt. Aber auch hier sind die Anforderungen des Martyriums nicht gegeben. Katharina wird schließlich enthauptet, und durch dieses (Er-)Leiden erringt sie die Krone des Martyriums.

Diese außerbiblische und nicht einmal historisch eindeutig fassbare Heilige war aus protestantischer Sicht höchst dubios – eine grundsätzliche Haltung einer Konfession, die großen Nachdruck auf die Schriftüberlieferung legte und alles spätere ‚Beiwerk‘ entweder nur bedingt akzeptierte, wo dieses nicht vollkommen abgelehnt wurde. Für den Katholizismus des Hochmittelalters und dann weiter in der gegenreformatorischen Zeit waren Heiligengestalten, die sich zwar in einer ekklesialen Tradition fassen ließen, die aber nicht in der Bibel benannt worden waren, durchaus von Interesse. Schließlich konnten sie als Belege für den Widerstand gegen die Versuchungen des Unglaubens – zu dem seit dem 16. Jahrhundert eben auch der Protestantismus gehörte – angesehen und entsprechend auch produktiv in eine Position der Verteidigung der Tradition eingebunden werden. Hierzu wurde auch die Heilige Katharina wieder verstärkt in den Blick genommen, konnte diese doch nicht allein als glaubensfeste Person, sondern überdies als Vertreterin auch einer intellektuellen, von philosophischer Kenntnis gestärkten Bildungsbezogenheit gerade hinsichtlich der jesuitischen Bildungsoffensive instrumentalisiert werden.

Damit wäre vielleicht schon viel, womöglich alles zum Thema gesagt, wäre da nicht der Umstand, dass die dramatische Bearbeitung dieser Legende durch Wolfgang Waldung protestantischen Ursprungs war. Möglich war dies sicherlich nicht zuletzt dadurch, dass Waldung an der Hohen Schule zu Altdorf wirkte, die in vorreformatorischer Zeit gegründet enge Anbindungen an den Katharinenkonvent in Nürnberg hatte, die (wie die Konzentration auf die Figur eben jener Heiligen) auch nach der Reformation nicht verloren gegangen waren. Wolfgang Waldung, einer Nürnberger Patrizierfamilie entstammend, hatte seine Studien unter anderem in Wittenberg absolviert und dort sicherlich mehr als nur einen geringen Teil des protestantisch geprägten Humanismus absorbiert. In seiner Heimat wirkte er nicht nur im Kontext der Lehre, sondern war überdies als Verfasser verschiedener Schriften tätig, die sich neben ‚physischen‘ auch mit metaphorischen und transzendentalen Themen befassten. Auffällig ist die Thematisierung von Teufelsgestalten als Verführern der Menschen, die sich auch im Catharina-Drama wiederfindet.

Der einzig nachgewiesene Druck der Catharina findet sich heute in den Duke University Libraries im nordenglischen Durham, und dieser Text liegt auch der vorliegenden Ausgabe zugrunde. Der Text des Dramas wird in dieser Edition buchstabengetreu wiedergegeben und umfasst 78 Seiten, denen ein ungefähr halb so umfangreicher Kommentarteil nachgestellt ist, der sowohl in die Breite als auch die Tiefe geht und für Lektüre im Allgemeinen und das weitergehende Verständnis im Besonderen von großem Wert ist. Dies ist auch notwendig, wird doch das Drama zwar im mittellateinischen Original abgedruckt, eine neuhochdeutsche Übertragung allerdings fehlt. Genau das erscheint mir bei aller Wertschätzung für den editorisch sicherlich nachvollziehbaren, wenn nicht gar notwendigen Purismus jedoch problematisch zu sein. Denn wenn es sicherlich lobenswert ist, eine angesichts der tendenziell immer schwächeren Kenntnisse älterer deutscher Sprachstufen oder gar des Lateinischen mutige Gegenposition zu beziehen, zeigen die Zeichen der Realität jedoch in eine andere Richtung, und so werden sich potenziell Interessierte vielleicht doch von diesem frühneuzeitlichen Textkleinod letztlich abgeschreckt fühlen.

Gleichwohl lohnt sich die Mühe der Lektüre in jedem Fall, denn wenngleich das Motto per aspera ad astra vielleicht ein wenig überdimensioniert erscheinen mag, ist es doch nicht unangebracht. Die Reihe als solche und mithin auch der erste der Bände erschließt, im positiven Sinne formuliert, randständige Texte aus einer der interessantesten Phasen der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte. Und allein die überraschend stringente dramatische Umsetzung des Katharina-Stoffes ist die Mühe wert, sich dem Text unter Zuhilfenahme entsprechender Nachschlagewerke zu nähern beziehungsweise sich seiner zu bemächtigen. Die solide Machart des Buches, die durch einige Abbildungen auch optisch bereichert wird, sind ebenso eine Empfehlung wie auch der verhaltene und dem Produkt angemessene Preis.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Cora Dietl (Hg.): Wolfgang Waldung: Catharina. Catharinae martyrium.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2019.
VIII, 154, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783447109406

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