Unter falscher Flagge

Kathrin Sedding droht mit ihrem neuen Roman „Sicherheitszone“ den Kurs zwischen der Dialektik des Privaten und des Öffentlichen zu verlieren

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf dem Klappentext ist Sicherheitszone als ein Familienroman über die Ereignisse des G20-Gipfels angekündigt. Doch auf den ersten 200 Seiten spielen diese erstmal so gut wie keine Rolle und stattdessen wird in aller Ausführlichkeit das Familienleben und die Familienhistorie der Koschmieders ausgebreitet. Da ist die Tochter Imke, die noch zur Schule geht und in den Dunstkreis der alternativen und autonomen Szene Hamburgs gerät. Ihr adoptierter Bruder Alexander ist Polizist und schwul und hält sein Zimmer penibel sauber und ordentlich. Bei den Eltern Koschmieders kriselt es gerade und Vater Thomas, der eine Affäre hat, ist in eine Anliegerwohnung über der Garage gezogen. Komplettiert wird die angekratzte Familienidylle durch Oma Helga, die aus Ostpreußen stammt und deren Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend breiter Raum eingeräumt wird. Sie ist mit Pantoffeln, Schürze, Haarnetz und Hortensien das Klischeebild des Heimeligen und Vermufften und durchaus auch Reaktionären. Die Familie und ihre sich unter dem G20-Gipfel verschärfenden Verwerfungen werden von Kathrin Seddig in einer fast programmatisch am Alltäglichen ausgerichteten naturalistischen Prosa erzählt, die eine ein wenig aus der Zeit gefallene graue Atmosphäre schafft: „Alles ist klein und beschämend“, meint Tochter Imke dazu.

Erst im zweiten Teil nimmt der Roman Fahrt auf und der Leser erlebt ein Hamburg im Ausnahmezustand: Hubschrauber knattern über die gesperrten Straßen und Sicherheitszonen und nach der Auflösung des großen Camps der G20-Gegner auf Entenwerder haben sich überall in der Stadt kleinere Camps gebildet. Unter die bunte Menge der Demonstrationszüge mischen sich immer wieder die Autonomen, machen sie „dichter, schärfer, hitziger“. Es kommt zu Plünderungen, Brandstiftungen, Mordversuchen.

In dieser aufgeheizten Situation nimmt Mutter Koschmieder, die inzwischen auch einen neuen Freund hat (ausgerechnet einen Freund des Vaters), an einer kreativen Protest-Performance teil und Thomas wird auf der Suche nach seiner an den Demos teilnehmenden Tochter Opfer von willkürlicher Polizeigewalt. Alexander muss auf der einen Seite den Hass und die Gewalt der Demonstranten und auf der anderen Seite brutale Übergriffe seiner Kollegen erleben und droht daran zu zerbrechen.

Kathrin Seddig gelingt es nur in Ansätzen anhand der Familienmitglieder und ihrer Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle und Gespräche das Bild einer durch die G20-Ereignisse verstörten und zerrissenen Gesellschaft zu zeichnen. Für die einen sind die Frontlinien klar, für die anderen bedeutet die Situation ein unauflösbares Dilemma: „Es gibt keinen gerechten Aufruhr, und dabei sollte es ihn geben, denn es gibt so viel Ungerechtigkeit.“

Letztlich bleibt der Roman mit seinem Ansatz das Familiäre mit dem Gesellschaftlichen zu verbinden aber inkonsistent und entwickelt keinen Drive. Dazu verliert Kathrin Seddig sich allzu oft in den Details und Banalitäten eines verzweigten und verzwickten Familienlebens, das mit der Figur der Oma Helga auf eine unrühmliche und reichlich nervige Spitze getrieben wird.

Titelbild

Katrin Seddig: Sicherheitszone.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2020.
464 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783737100960

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