Nieder mit dem Speziesismus!
Corine Pelluchons „Manifest für die Tiere“ ist ein flammendes Plädoyer für mehr Gerechtigkeit
Von Verena Brunschweiger
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSchon das Cover – ein Mensch- und ein Stier- bzw. Schweinskopf blicken nah beieinander, fast schon ineinander, auf jeden Fall aber auf gleicher Höhe in die gleiche Richtung – erinnert an den 2018 erschienenen Fleshdance von Chris Korda: „Cow chicken pig human. What’s the difference?“ Selbst wenn man die womöglich etwas extreme Sichtweise des US-amerikanischen Musikers und Aktivisten nicht ganz teilt, so kann man mit der Autorin des drei Jahre nach der Originalausgabe übersetzten Manifests für die Tiere doch den Speziesismus kritisieren: „Unsere Gesellschaft ist ungerecht, weil sie auf dem Speziesismus basiert, einem Postulat, wonach wir die Tiere ganz nach unserem Belieben gebrauchen und missbrauchen dürfen.“
2011 erschien Lisa Kemmerers Sister Species: Women, Animals, and Social Justice, ein Grundlagenwerk, das auf brillante Weise die mannigfaltigen Querverbindungen zwischen Speziesismus, Sexismus, Rassismus und Homophobie erläutert. Im direkten Vergleich bleibt Pelluchons Werk ein wenig zurück, was nicht nur daran liegt, dass das schmale Bändchen sehr wenig Forschungsliteratur berücksichtigt (Kemmerers ausgezeichnetes Buch scheint die Autorin beispielsweise nicht zu kennen).
Im ersten von drei Teilen wird ausgeführt, dass unser Verhältnis zu den Tieren widerspiegelt, was aus uns Menschen geworden ist. Pelluchon schildert immer wieder das Leid und die Ungerechtigkeit, denen Tiere aller Art unterliegen. Ohne Arthur Schopenhauer explizit zu nennen, bietet sie eine Mitleidsethik in seinem Sinne an. Nur durch Abschottung und Apathie sei es den Menschen möglich, ohne Empathie die Qualen der Tiere mitanzusehen.
Eine Parallele ist für Pelluchon der Kampf gegen die Sklaverei, welche letztendlich ja auch abgeschafft wurde. Dementsprechend trägt Part II die Überschrift Die Politisierung der Tierfrage. Der Staat sei gefordert, die Ausbeutung der Tiere zu beenden, die Stimmen von Expert*innen sollen gehört werden, um die Lebensbedingungen aller Tiere zu verbessern, es brauche Tierschutzparteien und Persönlichkeiten, die sich öffentlich für diese Belange stark machen.
Im dritten und letzten Teil werden Vorschläge offeriert, um die Theorie erfolgreich(er) in die Praxis zu überführen: Stierkampf- und Hetzjagdverbot, Abschaffung von Pelztierzucht und Stopfleber, Förderung alternativer Möglichkeiten, sich zu ernähren und zu kleiden. Der Tierschutz müsse verschärft und in der Bevölkerung qua Bildung verankert werden, denn „die Sache der Tiere ist universell. Sie gehört allen. Indem wir den Tieren Gerechtigkeit widerfahren lassen, retten wir unsere Seele und sichern wir unsere Zukunft“.
Das Buch ist auf den französischen Markt zugeschnitten, was man nicht nur am sehr breit ausgeführten Beispiel der Gänsestopfleber erkennen kann. Zudem erschien das Original bereits 2017, was natürlich dazu beiträgt, dass viele neue Entwicklungen im Bereich des Veganismus, die es ja zum Glück eben doch gibt, gar nicht vorkommen können. Gesetze und Parteien, die den Tierschutz zum Ziel haben, differieren nicht minder, wobei auch in Deutschland, trotz mehrerer Institutionen mit dieser Ausrichtung, noch immens viel zu tun ist.
Besonders positiv fallen die antikapitalistische Ausrichtung der Autorin auf sowie ihre Positionierung innerhalb anderer Kämpfe gegen Diskriminierungen wie Rassismus und Sexismus. Dementsprechend vergleicht sie den Abolitionismus, der ursprünglich die Abschaffung der Sklaverei meint, mit den Bemühungen, die Ausbeutung der Tiere zu beenden. Man könnte einen dritten ergänzen, der sich gegen die Ausbeutung von Frauen in der Prostitution wendet und das Nordische Modell propagiert.
Bei all den konkreten Vorschlägen bleibt allerdings die Problematik der weltweiten Überbevölkerung unbeleuchtet. Wenn Menschen den Tieren weniger Lebensraum wegnehmen, haben diese größere Überlebenschancen.
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