Mit dem Impressionismus beginnt die Kunst der Moderne

An der herausragenden „Sammlung Hasso Plattner“ kann Ortrud Westheider die ganze Geschichte einer Kunstrichtung erläutern

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der erlebte Augenblick: Die „Sicht“ der Impressionisten zeigte eine Sache zu einem gegebenen Zeitpunkt, eine Licht- und Farbwirkung, die logischerweise flüchtig war. Im Idealfall hätte man an einer impressionistischen Landschaft nur so lange malen dürfen, wie man brauchte, um sie zu betrachten. Der Impressionismus kannte kein festes System, außer der Genauigkeit des Künstlerauges und der sensitiven Pinselführung, mit der die Farben schnell auf die Leinwand gebracht wurden. Dieser Mangel an System wurde dann auch einer der Hauptgründe für seine Beliebtheit. Von einem impressionistischen Gemälde – so möchte man eigentlich meinen –  konnte sich doch eigentlich niemand angegriffen oder beleidigt fühlen.

Innerhalb von zwanzig Jahren hat Hasso Plattner, der Gründer und langjährige Leiter des Softwareunternehmens SAP, eine der bedeutendsten Sammlungen impressionistischer Landschaftsmalerei zusammengetragen, ohne kunsthistorische Berater, seinem eigenen sicheren Blick vertrauend. Im impressionistischen Verfahren, „nicht mehr abzubilden, sondern zu sehen zu geben“, sieht Ortrud Westheider, die Direktorin des Barberini-Museums in Potsdam, den Grund für Plattners Sammelleidenschaft. „Das Original erleben, die Begeisterung teilen“, war auch Plattners Motivation für die Errichtung und Gründung des Barberini-Museums vor drei Jahren, in dem nun seine Impressionismus-Sammlung dauerhaft zu sehen sein wird (im November coronabedingt nur digital). Durch die Mittel der Plattner Stiftung kann sie wohl auch in Zukunft weiter ausgebaut werden.

Ortrud Westheider hat es unternommen, eine Geschichte des Impressionismus und Postimpressionismus zu schreiben, wobei ihr vor allem die Werke der Sammlung Plattner als Belegstücke für ihre Darstellung dienen. Wenn anhand einer einzigen – herausragenden – Sammlung die ganze Geschichte einer Kunstrichtung und deren Aufbruch in die Moderne dargestellt werden kann, dann ist das schon ein Qualitätssiegel für diese Sammlung, die Potsdam nun zu einem Zentrum impressionistischer Landschaftsmalerei außerhalb von Paris werden lässt.

Jean-Baptiste-Camille Corot, Eugène Boudin und Charles-François Daubigny sind die Vorreiter des Impressionismus. Ihre Bevorzugung der Landschaftsmalerei, die Arbeit unmittelbar vor dem Motiv, eine breite, summarische Pinselschrift und – vereinzelt bereits – die Einbeziehung des zeitgenössisch-urbanen Publikums – so Westheider – werden wegweisend für die jüngere Generation. Daran schließt Claude Monet an, der um 1856/58 in Le Havre Boudin kennen lernt und von ihm in die Freilichtmalerei eingeführt wird. Mit seinen Künstlerfreunden Jean Frédéric Bazille und Auguste Renoir begibt sich Monet nach Chailly nahe dem Wald von Fontainebleau.

Die Landschaftsmalerei bleibt Monets bevorzugtes Arbeitsgebiet. Seite an Seite mit Renoir entwickelt er seit 1869 eine freie Pinselschrift, bei der er die Motive in kurze Striche und Tupfen auflöst. Die Salonjury lehnt diese Malweise als zu skizzenhaft ab und hält solche Bilder für „unfertig“. Daher schließen sich die jungen Künstler mit Gleichgesinnten zusammen und veranstalten 1874 auf eigene Faust eine Ausstellung, die auf heftige Kritik stößt. Der Begriff „Impressionismus“ ist geboren – als Schimpfwort für die neue Kunst. Monet verfolgt jedoch seinen Weg unbeirrt weiter.

Die Wandelbarkeit eines Naturausschnitts bei wechselnder Tages- und Jahreszeit ist ein Hauptthema der französischen Impressionisten. Sie verstehen Licht und Schatten als farbige Phänomene und setzen die Reflexe des Sonnenlichts auf den Dingen mit Farben und kurzen, nebeneinander liegenden Pinselstrichen um. Die Palette hellt sich auf, Schwarz verschwindet als Farbe völlig. Mit Meeresdarstellungen und Waldwegen emanzipieren sie sich von ihren Vorbildern Boudin und der Schule von Barbizon. In Gartenbildern finden sie zu einem ungeahnt freien Umgang mit der Farbe. Winterlandschaften werden zu Experimentierfeldern der Farbe Weiß mit ihren Lichtbrechungen in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau. Die Landschaften des Südens mit ihren flirrenden Lichteffekten lassen sie Licht und Luft verweben und den Betrachter mit dem Betrachteten ebenso verbinden wie in Flusslandschaften mit ihren reflektierenden Flächen. Es geht dabei gleichermaßen um die Anwesenheit des Künstlers wie um die Beteiligung des Betrachters. Erst die Gruppierung der Werke nach Themen – wie in der Potsdamer Impressionismus-Schau – zeigt, wie planvoll und methodisch eigentlich doch das Vorgehen der Künstler war.

Das Beobachten des Wassers und des Himmels bietet Boudin in seinen Seestücken und Küstenlandschaften die Möglichkeit zur Darstellung von „formloser Masse“ (Le Havre. Sonnenuntergang am Meer, 1885). Camille Pissarro wiederum tupft die Farbe auf die Leinwand. Aus dem Neben- und Übereinander der Farbflecken entsteht eine vibrierende Atmosphäre, die die Konturen auflöst und den Formen ihre Festigkeit nimmt. Die strenge konstruktive Ordnung seiner Bilder, die perspektivische Gestaltungsmittel zurücknimmt, steht dieser Tendenz entgegen und gibt der Darstellung ein klares Gefüge (Die Hügel von Le Chou, Pontoise, 1882).

Monet malt während seiner wiederholten Aufenthalte in Etretat jenen ins Meer hineinragenden zerklüfteten Kalkfelsen in drei Gemälden, in denen unterschiedliche Phasen der sinkenden Sonne festgehalten sind, die den Himmel in einem intensiven Rot aufleuchten lässt, während die Klippen des Felsen als dunkle Silhouette aufragen und das ruhige Meer die Farben des Himmels reflektieren. Nicht das sich wiederholende Landschaftsmotiv steht im Zentrum, sondern das langsam schwindende Tageslicht, die in einer kurzen Zeitspanne sich verändernden Farben von Steilküste, Meer und Himmel. Hier bietet sich das Schauspiel einer in ihrer materiellen Tatsächlichkeit zurücktretenden, in eine reine Lichterscheinung sich verwandelnden Meeres- und Küstenlandschaft. Den Bilderreihen Monets, wie sie sich in Etretat ankündigen, liegt ein Totalitätsanspruch zugrunde, der sich nicht mit momentanen Teilaspekten einer Landschaft begnügt, der vielmehr einen Gesamteindruck erstrebt, in den gleichsam alle zeitlichen und räumlichen Eindrücke eingeschlossen sind. Monets Gemälde geben Belege für eine Welt, die sich in Farben, Tönen, Klängen unendlich differenziert, ohne die Erfahrung des Ganzen zu vermitteln. Seine Bilderreihen hingegen arbeiten der impressionistischen Tendenz entgegen, eine wenig verbindliche „Momentaufnahme“ zu verabsolutieren, und suchen nach gültiger Ganzheit.

Die „Nymphéas“, wie er sie poetisch nennt, die Bilder der Seerosen, an denen Monet in verschiedenen, systematisch aufgebauten Phasen und Teilserien seit 1897 gearbeitet hatte, werden zum künstlerischen Leitmotiv der späten Jahre. Wie ein schöpferischer Fotograf rückt der Künstler immer näher an das Motiv heran, verschiebt den Rahmen von Fassung zu Fassung, bis die Uferlinie oft völlig ausgeschlossen wird. Monet entdeckt, dass es eine Landschaft ohne Horizont gibt, die jede Distanz zwischen Auge und Bild aufzuheben vermag. Der Betrachter kann in diese Licht- und Wasserlandschaften eintauchen, sie umfassen ihn, tragen ihn mit im Fließen und Strömen eines Prozesses, der dem Bewusstsein, der Erinnerung gleicht. Das ist die letzte Konsequenz des Impressionismus und zugleich dessen Umschlagen in die Abstraktion. Das Unbestimmte einzufangen, das Flüchtige zu fixieren, den so vergänglichen und komplexen Ansichten Form und Platz zu geben – das waren damals die wichtigsten Bestrebungen der Moderne.

Während für Théodore Rousseau die Luftperspektive die Grundlage seiner Kompositionen bildet, arbeitet Alfred Sisley mit „verschwimmenden“, übergänglichen Gegenstandsgrenzen und steigert auch die Wirkungsmöglichkeiten von Farbe und Bildlicht. Etwas Wildes, Chaotisches, Abgründiges haben die Landschaften Renoirs (Der Birnbaum, 1877), sie sind erstaunliche Studien über gefiltertes Licht, das die Farben im Halbschatten schillern lässt. Pissarro wiederum malt bald solide, farbenfreudige Bilder, auf denen jedoch die Lichtschwingung innerhalb des Farbtons durch eine Knetbewegug des Pinsels erzielt wird, die manchmal ein System von Schraffierungen erzeugt. Die Formen, die zu jener Zeit bei Monet zum Verfließen tendieren, bleiben hier jedoch scharf umrissen und sogar solide konstruiert.

Durch extreme Perspektiven und ungewöhnliche Motive hat Gustave Caillebotte die impressionistische Malerei bereichert. Rue Halévy. Blick aus der sechsten Etage (1878) – der erhöhte Blickwinkel führt zu einer Erweiterung der Perspektive auf den Boulevard, indem der Künstler den Boden der Bildebene anhebt. Dagegen wird die Brücke von Argenteuil und die Seine (1883) ausschnitthaft aus der Nähe dargestellt, der Brückenbogen rahmt die Landschaft am gegenüberliegenden Ufer.

In La Grande Jatte (Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte, 1884–86, Chicago), seinem wohl berühmtesten, 2×3 Meter großen Werk, verkehrt Georges Seurat den Impressionismus dann schon in sein Gegenteil. Die Vielfalt und Zufälligkeiten der Impressionisten sind hier in eine formale, klassische Struktur geronnen, die Welt des Gewöhnlichen wird zu einer universalen Geometrie geordneter Vertikalen und Horizontalen verdichtet. Die Figuren sind erstarrt, wie auf eine Fotoplatte gebannt. Das Monumentalbild ist eine aus einzelnen Studien versatzstückhaft zusammengesetzte Synthese, die ebenso glänzende wie pedantisch genaue Inszenierung eines Kunstwerkes. Um das Bild, eine Demonstration der neuen wissenschaftlichen Malmethode, fertigzustellen, braucht er zwei Jahre. Er ruft einen Skandal hervor, einen „Vorbeimarsch von Beleidigungen und Verhöhnungen“ (Paul Signac). Publikum und Kritik sprechen ironisch von „Fliegendreck- und Punktmanier“. Denn die Komposition ist ganz aus Farbpunkten zusammengesetzt, aus vorsichtig gesetzten Farbflecken, die im Gras kreuzweise übereinandergelegt sind, horizontal im Wasser und den Konturen folgend in den Figuren. In dem Kritiker François Fénélon finden Seurat und seine Methode jedoch einen Verbündeten, er prägt auch die von der Kunstgeschichte akzeptierte Stilbezeichnung Neoimpressionismus, andere sprechen von Divisionismus oder Pointillismus, Seurat selbst bevorzugt den Ausdruck „Chromoluminarismus“.

Mit seiner bis zuletzt angewandten divisionistischen Methode und pointillistischen Technik kann Seurat zwar alle von ihm beabsichtigten Farbwechsel und -werte malen, aber es ist kein dynamisches System und eher für ruhige, hieratische als bewegte oder dramatische Motive geeignet. Am besten kann er damit Landschaften malen, in der Umgebung von Paris wie vor allem an der Kanalküste mit leeren Promenaden, flachen Seehorizonten und lichtdurchfluteter Ruhe. Verwendete Seurat auf seinen Grandcamp-Bildern noch Vegetationsmotive, so verzichtet er später auf den streng geometrischen Seestücken fast völlig darauf. Gerade ihre beängstigende Stille macht die atemstockende Faszinität der Seuratschen Bildwelt aus.

Paul Signac bringt Seurat dazu, Erdfarben von seiner Palette zu verbannen, und Seurat weckt in Signac das Interesse für seine wissenschaftlichen Theorie des „Chromoluminarismus“, die etwa besagt, dass man die Pigmente zum Malen nicht auf der Palette mischt, sondern Flecke von ungemischten Farben auf der Leinwand nebeneinander setzt, um dem Auge die Möglichkeit zu geben, sie miteinander zu vermischen. Seurat verkehrt den Impressionismus in sein Gegenteil. All die Vielfalt und die Zufälligkeiten, die die Impressionisten auf die Ebene der Kunst gehoben haben, sind hier nun in eine formale, wenn nicht sogar klassische Struktur geronnen, die Welt des Gewöhnlichen ist gesehen als universale Geometrie geordneter Vertikalen und Horizontlinien. Das Schwebende, das in der impressionistischen Ästhetik im Mittelpunkt stand, ist hier für immer erstarrt (Signac, Der Hafen bei Sonnenuntergang, 1892).  

„Sonne sein, die Farben tanzen lassen“, so hat Henri-Edmond Cross das südliche Licht einfangen wollen. Von der Mittelmeerküste inspiriert, wo er sich nunmehr niedergelassen hat, studiert er das Licht und seine Wirkungen auf die Gegenstände, benutzt er wie alle anderen Neoimpressionisten kleine runde Tupfer annähernd gleicher Größe, die, in ziemlich regelmäßigen Abständen nebeneinander gesetzt, das Bild überziehen (Der Strand von Saint-Clair, 1896). Bald versucht er nicht mehr die vielfältigen Effekte des Lichts darzustellen, sondern vielmehr dessen Intensität durch Steigerung der Farben und Klarheit der Kontraste zu suggerieren. Die prächtigsten Töne von Gold, Orange, Violett und lebhaftem Rosa, mit denen von Grün und Blau vereinigt, erfüllen seine Bilder in brillanten Orchestrierungen leuchtender Farben, die durch das Zusammenrücken gemäß dem Komplementärgesetz oft noch volltönender erscheinen.

Ortrud Westheider verfolgt die Entwicklung bis zu Maurice de Vlaminck, Auguste Herbin, André Derain und Raoul Dufy. Deren Drängen in die Abstraktion, schreibt sie, „ist eine Zuspitzung von Monets Motto, dass es nicht darauf ankomme, was man malt, sondern wie man es malt“.

Dieser prächtige Text-Bild-Band  ist nicht nur ein Begleitbuch zur ständigen Potsdamer Impressionismus-Ausstellung, sondern ein eigenständiges Standardwerk des Impressionismus und Postimpressionismus, das eben auch durch seine großzügigen Bildformate besticht und zu vergleichendem Sehen anregt.

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Ortrud Westheider: Impressionismus. Die Sammlung Hasso Plattner.
Prestel Verlag, München 2020.
288 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783791378107

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