Welche Leitkultur?
Hamed Abdel-Samad warnt „Aus Liebe zu Deutschland“
Von Karl Adam
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“, grölt ein rechter Mob bei Demonstrationen und Kundgebungen. Der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler und Publizist Hamed Abdel-Samad nennt sein neustes Buch Aus Liebe zu Deutschland und würde somit nach einer erneuten Machtergreifung wohl (vorerst) im Land bleiben dürfen.
„Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!“ So sprach noch der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann (SPD). Heute hingegen muss es wohl wieder Liebe sein – und mehr. Schon der Klappentext des vorliegenden Bandes verkündet neue Legitimititätskriterien für den Aufenthalt in diesem Land: „Wer in Deutschland lebt, muss sich zu dessen Werten bekennen – wer sich zu den Werten bekennt, muss in Deutschland leben können. Allen anderen müssen Staat und Gesellschaft entschieden gegenübertreten.“ Weder kann jeder Mensch dieser Erde, der sich zu „deutschen Werten“(?) bekennt, auch gleich hier leben, noch muss sich hierzulande irgendjemand zu irgendetwas bekennen. Das Befolgen von Recht und Gesetz reicht eigentlich völlig. Bekennen kann sich, wer will, zu der einen oder anderen Religion. Und wer soll hier eigentlich wem, wann und wie „gegenübertreten“? Machen wir den Praxistest.
Haben Sie schon mal von einer „Gesinnungsethik“ gehört, die einen „ehrlichen Dialog“ verhindert? Die muss auf jeden Fall irgendeine Rolle bei der „Diskursverengung durch die politische Linke“ spielen, die hier als Hintergrund für den „starken Aufschwung von Populisten und Rechten“ dient. Welche Rolle spielt das „oder“ in folgendem Satz: „Ist die Meinungsfreiheit wirklich in Gefahr, oder glauben viele Deutsche immer weniger an Freiheit und Demokratie?“ Wird Deutschland wirklich nur immer attraktiver für „Migranten und Flüchtlinge, während gebildete Eliten und qualifizierte Fachkräfte einen Bogen“ um das Land machen? Nimmt im Bereich der „Subleitkulturen“ wirklich das „linksliberale“, das „rechtskonservative“ und auch das „islamische“ Lager jeweils „Exklusivität und Allgemeingültigkeit“ für sich in Anspruch? Erkennbar geht hier einiges durcheinander. Doch für den Autor steht fest: Der „offene und sachliche Diskurs findet immer weniger statt“ und es ist düster um die „Debattenkultur“ in Deutschland bestellt. Als Belege für diese oft gehörten Allgemeinplätze dienen dem Autor meist Facebook-Kommentare aus der einen oder anderen Richtung.
Natürlich darf bei all dem jene Allensbach-Umfrage aus dem Mai 2019 nicht fehlen, die regelmäßig als Beleg für die „bedrohte“ Meinungsfreiheit herangezogen wird. Doch was genau wurde damals eigentlich gefragt? „Annähernd zwei Drittel der Bürger sind überzeugt, man müsse heute ‚sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert‘, denn es gäbe viele ungeschriebene Gesetze, welche Meinungen akzeptabel und zulässig sind.“ Gab es jemals Zeiten, in denen das anders war? Was bedeutet eigentlich das „heute“? Der analytische Kern beläuft sich letztendlich auf eine Banalität: Es gibt heikle und weniger heikle Themen. Soll ein Gespräch über den Holocaust den gleichen Stellenwert haben, wie ein Gespräch über das Wetter?
Doch zurück zum Buch: Grundgestimmt vom populismusgepeitschten Sound der Gegenwart geht Abdel-Samad mit dem Historiker Heinrich-August Winkler und dem Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer durch die deutsche Geschichte und macht dabei allerlei Abzweigungen in Sonderwege aus. Autobiographisches wird beigemischt, ins Verhältnis gesetzt, deutsche „Leitkultur“ postuliert, eruiert, eingeordnet. Der AfD wird anhand vieler skandalöser Aussagen ihrer Mitglieder der Spiegel vorgehalten. Aussagen von Alexander Gauland zum notorischen „Vogelschiss“ oder von Björn Höcke zum „Denkmal der Schande“ dürften aber nicht „abgebügelt“ werden, sondern bedürften einer „sachlichen Auseinandersetzung“. Wie diese sophistische Unterscheidung in der Praxis aussieht, erfahren wir vielleicht dereinst in einem Folgeband.
Überhaupt dient die pflichtschuldige Distanzierung nur als Ouvertüre, um sogleich „der anderen Seite des politischen Spektrums“ ähnliche Praktiken zu attestieren: „Sie polarisieren, polemisieren und verwenden sogar fast die gleiche Sprache“. Als Belege dienen hier wieder, Sie ahnen es, ein paar Facebook-Posts.
Wenn dann zum Schluss auch noch beklagt wird, sämtliche Kritiker an den Corona-Maßnahmen würden „kurzerhand ins moralische Abseits“ gestellt, dann ist das gesamte Repertoire rechtsliberal-libertärer bis populistischer Rhetorik auf den Tisch gelegt – irgendwo zwischen Gabor Steingart und Boris Palmer; dort, wo man den ganzen Tag damit beschäftigt ist, öffentlich zu sagen, was angeblich nicht öffentlich gesagt werden darf; eine ganze Meinungsindustrie bewirtschaftend, die davon lebt, so zu tun, als würde es sie nicht geben dürfen. Dem Erfolg tut‘s keinen Abbruch. Im Gegenteil.
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