Gehen oder Bleiben?

Anatol Regnier fragt in „Jeder schreibt für sich allein“ nach der Situation und Positionierung verschiedener Schriftsteller in Deutschland zwischen 1933 bis 1945 und ihrer Bedeutung für die Literatur

Von Christine EickenboomRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Eickenboom

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Begriff der Exilliteratur verbunden sind die deutschen Autor*innen und Werke, die in der Zeit von 1933 bis 1945 im Ausland gelebt haben bzw. dort entstanden sind, und die als gegen die Diktatur des Nationalsozialismus und ihre Gräueltaten sprechende Gruppe verstanden wird. Stellvertretend hierfür stehen Namen wie Heinrich und Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Anna Seghers, Bert Brecht oder Stefan Zweig, um nur einige wenige zu nennen. Die Exilliteratur war so vielfältig und produktiv, dass sie regelmäßig in der Literaturgeschichte als eigenständige Literaturform behandelt wird, auch wenn es sich tatsächlich nicht um eine homogene Gruppe oder Literatur handelt.

Demgegenüber steht die Gruppe derer, die auch nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland geblieben sind. Insbesondere diejenigen, die trotz strenger Überwachung des NS-Staates und restriktiver Einschränkungen in der Lage waren, ihrer Tätigkeit weiterhin nachzugehen und zu publizieren, sind bis heute dem Verdacht der Zustimmung oder zumindest Annahme der vom Nationalsozialismus angestrebten Ziele ausgesetzt.

Anatol Regnier hat sich in seinem Buch Jeder schreibt für sich allein mit genau diesen in Deutschland verbliebenen Autor*innen und ihrem Wirken auseinandergesetzt. Die Fragen danach, was sie und ihre Werke leisten konnten, ob die Verbindung von Widerstand und (schriftstellerischem) Überleben überhaupt möglich war und wie letztendlich die Leistung der Gebliebenen (im Gegensatz zu der der Emigrierten) für Deutschland und die Deutschen (auch nach 1945) zu bewerten ist, bilden das zentrale Thema seiner Untersuchung, für die er eine Vielzahl an Schicksalen herangezogen und beleuchtet hat. Gerade die Quellenarbeit, die hier geleistet wurde, beeindruckt sehr: Regnier hat sich durch eine Vielzahl an Nachlässen sowie Briefsammlungen und biografischem Material gelesen. Die von ihm schließlich getroffene Auswahl erfolgte eigenen Angaben zufolge rein subjektiv, „aus Platz- und Konzeptionsgründen, wichtige Figuren fehlen“. Dass Hans Fallada einen der sehr intensiv betrachteten Autoren darstellt, ist bereits durch den Titel des Werkes offensichtlich. Andere bekannte Größen sind Erich Kästner und Gottfried Benn, die in Regniers Buch häufig zu Wort kommen. Wichtige weitere Personen, die aber vielen Leser*innen weniger bekannt sein dürften, sind beispielsweise Ina Seidel, Agnes Miegel, Hanns Johst und Hans Grimm.

Regnier hat damit ein durchaus kontroverses Feld geschaffen, in dem er die Frage nach den Möglichkeiten der in Deutschland entstehenden und zu veröffentlichenden Literatur verhandelt. Die Situation, in der die einzelnen Schreibenden agieren (mussten), wird vor dem geschichtlichen Hintergrund betrachtet. Da das Buch chronologisch aufgebaut ist, werden sowohl die sich verändernden und verschärfenden rechtlichen Bedingungen wie auch ihre Folgen, oder besser: die Konsequenzen, die die Schriftsteller*innen daraus ziehen, deutlich. Schicksale, die aus Verzweiflung im Selbstmord ganzer Familien enden, aber auch Positionen wie die von Hanns Johst, der über seine Stellung im Nationalsozialismus Macht besaß und Einfluss auf das Leben seiner Kolleg*innen nehmen konnte, verdeutlichen die Zerrissenheit, die es im Literaturbetrieb selbst gab. 

Andere Schicksale sind weniger eindeutig und daher spannend: Regnier schildert in der Verbindung aus historischen und biografischen Fakten die Bemühungen Einzelner, sich entweder, wie im Falle Gottfried Benns und Ina Seidels, zu positionieren, oder sich wie Hans Fallada unpolitisch zu verhalten und dabei Gefahr zu laufen, als Mitläufer zu gelten. In diesen Schilderungen soll, das wird schnell deutlich, keineswegs eine Verurteilung erfolgen. Im Gegenteil zeigt Regnier die Schwierigkeiten, mit denen die einzelnen Schriftsteller*innen zu kämpfen hatten, auf, indem er die persönliche Situation sehr stark einbezieht. Bei Fallada ist das die mit Suchtproblematik verbundene psychische Labilität, im Falle Seidels eine durch die Persönlichkeit Hitlers entstandene Verblendung, die erst durchschaut wird, als der Schaden für das persönliche Ansehen schon nicht mehr zu reparieren ist. Auszüge aus Briefen und Tagebüchern tragen dazu bei, die persönlichen Bedingungen und Eigenschaften, mit denen man leben und zurechtkommen musste, anschaulich darzustellen.

Das führt in manchen Fällen auch dazu, dass eine eindeutige Antwort auf die Frage der Positionierung innerhalb des Deutschen Reiches nicht möglich erscheint, so zum Beispiel im Falle Agnes Miegels oder Gottfried Benns. Im Falle Miegels endet die Darstellung in einer Art Plädoyer, sich einer in der Öffentlichkeit Verurteilten doch noch einmal zuzuwenden und ihre Leistung anzuerkennen. Im Falle Benns kommt vieles zu Wort, was dieser an seine wechselnden Geliebten gerichtet hat, das aber nicht dazu beiträgt, seine 1933 zunächst eindeutige, später innerhalb der Nationalsozialisten eher umstrittene Position zu erhellen. Am Ende ist man sich nicht sicher, ob diese bleibende Unklarheit bzw. das Aufzeigen dieser eine Leistung des Buches darstellt oder doch eher eine Lücke.

Auch in anderen Fällen werden die persönlichen Umstände herangezogen, um den Einzelnen und damit seine Entscheidungen und sein Agieren im Kontext seines Lebens zu sehen, was gelegentlich ausschweifend wirkt und nicht immer zur Beantwortung der Ausgangsfragen des Buches beiträgt. Schließlich ist die Darstellung der privaten Gudrun Ensslin durchaus interessant und ihre Heranziehung dem Grunde nach natürlich nachvollziehbar, wäre in dieser Intensität aber doch eher Gegenstand für eine Untersuchung mit anderem thematischem Ansatz.

Jeder schreibt für sich allein ist eine sehr gut lesbare Ausarbeitung der Geschehnisse in den Jahren der Nazidiktatur, die sowohl mit ihren historischen Hintergründen und Fakten als auch mit ihren intensiv recherchierten Verknüpfungen zu den einzelnen Schriftsteller*innen und ihren Werken bereichert. Am Ende ist auf jeden Fall deutlich geworden, dass vielleicht nicht das Leben an sich, aber die Positionierung, auch in den eigenen Werken, für die im Exil Schreibenden deutlich leichter als für die Gebliebenen gewesen sein dürfte, wenn diese nicht einfach dem Naziregime folgen oder den Weg des geringsten Widerstandes gehen wollten. Ein Urteil wie das Thomas Manns über die Wertlosigkeit und die Notwendigkeit der Ablehnung der nach 1933 in Deutschland erschienenen Literatur erscheint spätestens nach der Lektüre von Regniers Werk auf jeden Fall als zu einseitig.

Titelbild

Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus.
Verlag C.H.Beck, München 2020.
336 Seiten , 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783406755927

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