„Kein Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte“

Literaturkritik.de sprach mit Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni über Donald Trump, die Spaltung der USA und die Gräben in der Familie des Moderators

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Tagesthemen-Anchorman Ingo Zamperoni ist vor der US-Wahl durch das Land gereist, aus dem seine Ehefrau stammt und in dem er selbst mehrere Jahre als ARD-Korrespondent tätig war. Er hat dabei mit vielen Menschen gesprochen, vor allem mit Mitgliedern seiner „amerikanischen Familie“ und versucht, sich anhand dieses sehr persönlichen Blicks die immer extremer werdende Spaltung der USA zu erklären. Eine Spaltung, die auch mitten duch jene Familie geht: Seine Frau ist überzeugte Demokratin, während ihr Vater strammer Republikaner ist. Zamperoni reiste mit seinem Kamerateam durch mehrere Staaten wie vor allem Wisconsin, wo die Spaltung besonders deutlich wird, und dokumentierte diese Reise in einem Film, der kurz vor der Wahl in der ARD gezeigt wurde. Das Besondere an seiner Dokumentation Trump, meine amerikanische Familie und ich ist, dass sein Blick kein spaltender, sondern ein verständnisvoller ist, der gleichzeitig die Schönheit des Landes und seine unerbittlichen politischen Debatten abbildet.

 

Sie waren Anfang November mehrere Tage vor Ort in Washington. Wie haben Sie sie denn erlebt, diese turbulente Wahl?

Es war auf jeden Fall eine spannende Phase bis zum Schluss: Zum einen die Zeit, als ich mit meinem Team im September/Oktober unterwegs war. Das ist in der Regel bereits die heiße Phase, dann bestimmt der Wahlkampf-Endspurt in den USA normalerweise immer alles. Aber dieses Mal war es teilweise ziemlich skurril, weil er durch Corona gar nicht so richtig stattfand –  keine Veranstaltungen. Er schwang zwar im Hinterkopf die ganze Zeit mit, auch bei meiner Familie natürlich, wurde aber eben überschattet von der Pandemie, die in den USA besonders stark grassiert. Insofern war das schon eine gewisse Anspannung. Und als ich Anfang November, in der Wahl-Woche, wieder da war, hatte ich gar keine Zeit, groß mit Freunden und Familie darüber zu reden, wie sie sich gerade fühlen und was sie empfinden. Gleichzeitig ist Washington auch immer eine sehr besondere Blase, die Stadt ist ja sehr demokratisch geprägt und man hatte immer das Gefühl, dass Joe Biden die Wahl gewinnen wird. Wogegen, als wir in Wisconsin und in Pennsylvania unterwegs waren, ich eher zu dem Schluss gekommen war, das wird Donald Trump noch einmal ganz knapp gewinnen. Dann bin ich etwas unverrichteter Dinge am Donnerstag wieder abgereist, weil die Entscheidung noch ausstand. Aber das ging wegen der Quarantäne-Regelung in Hamburg nicht anders. Bis zur Entscheidung dauerte es dann noch zwei Tage.

Haben Sie eigentlich damit gerechnet, dass es dann doch so knapp wird? Sie haben ja schon angedeutet, dass Ihnen Ihre Reisen durch Pennsylvania und Wisconsin einen Trump-Sieg suggeriert haben – obwohl die Demoskopen Biden mitunter 7-8% vorne gesehen haben. Letztlich wurde es dann doch sehr, sehr knapp.

Ich glaube, das sind zwei unterschiedliche Dinge. Wenn man sich die Ergebnisse heute anschaut, ist es ja schon ein bisschen deutlicher geworden. Es war so knapp, weil am Wahltag selbst mehr Republikaner gewählt haben. Es ist eben das typische Wahlverhalten, dass Demokraten eher früh wählen, vor allem per Briefwahl, und Republikaner eher älter sind und sagen: „Das ist der Wahltag, man muss am Wahltag wählen gehen und ich will da hin und meine bürgerrechtliche Pflicht wahrnehmen.“ Und deswegen war es dann tatsächlich so, dass Donald Trump es geschafft hat, einen enormen Turnout zu generieren, das muss man ihm echt lassen. Er hat ja um die 7 Millionen Menschen mehr als beim letzten Mal geholt. Die Demokraten waren dann aber diesmal noch besser, mit 76 Millionen Stimmen, wie es gerade aussieht. Das ist das, was ich von Anfang an immer gesagt habe: Es geht um Wähler-Mobilisierung. Die andere Seite überzeugen konnte diese letzten Wochen vor der Wahl eh niemand mehr. Über Trump hat jeder sein Urteil schon vor vier Jahren gesprochen, deswegen hat sich seine Basis auch überhaupt nicht verändert. Egal, was passiert ist, er verharrte immer bei 40 %. Es wurde nicht besser, aber es wurde auch nicht schlechter. Und diese Basis besteht eben nicht nur aus den ‚Abgehängten‘, sondern verteilt sich in alle Wählerschichten, da sind auch Reiche dabei. Und auch mehr Schwarze haben ihn dieses Mal gewählt, trotz all der Sachen, die diesen Sommer passiert sind. Auf sehr niedrigem Niveau zwar, aber trotzdem. Auch mehr Latinos, denn seine Botschaft, dieses „Ich sorge für Recht und Ordnung und ich bin das Bollwerk gegen Sozialismus“ – das hat bei vielen dann doch gezogen und am Wahltag den voter turnout hochgetrieben.

Aber dass dann – und das war das Finale, das man befürchten musste – im Laufe der nächsten Tage das Auszählen so lange gedauert hat, weil wegen Corona zum ersten Mal so viele Wählerstimmen per Brief kamen, und dass dadurch dann erst ein, zwei, drei Tage später sich das Blatt so langsam wendete – das fanden viele Trump-Wähler schon etwas seltsam. Auch mein Schwiegervater, der in unserer Doku ja prominent vorkommt, sagt: „Das ist schon komisch. Wir sind am Wahlabend, gewohnt auch irgendwann ein Ergebnis zu haben, ins Bett gegangen und am nächsten Tag, nachdem Trump zuerst in manchen Staaten haushoch vorne gelegen hatte, kamen da plötzlich noch überall Stimmen für Biden her. Wie kann denn das angehen?“ Das ist natürlich ein Stresstest auch für die Akzeptanz der Wahl.

Aber letztlich, glaube ich, ging es uns in Deutschland auch so, dass wir es nicht wahrhaben wollten oder nicht verstehen konnten, wie die Amerikaner jemanden wie Trump wählen können. Aber es ist nun einmal ein anderes Land, eine andere Gesellschaft mit anderen Motivationen. Und da gibt es einfach andere Gründe, die dafür sprechen, sein Kreuz bei A oder B zu machen. Und das haben wir bei unserem Dreh durchaus gespürt, diese Begeisterung bei den Anhängern von Trump bzw. deren Furcht, dass es Biden eh nur ein halbes Jahr macht und dann quasi umkippt und damit Kamala Harris als Präsidentin das Einfallstor für die „radikale Linke“ in den USA sein wird. Dieser Begriff klingt bei uns immer komisch, denn, seien wir ehrlich: Eine Uni, die man sich leisten kann, eine Krankenversicherung, die wirklich greift im Schadensfall, das ist ja beileibe nicht revolutionär, aber in den USA gilt das für Viele als Einwirkung von oben, als Abbild eines Staates, der alles lenkt, anstatt einen das eigene Geschick selbst in die Hand nehmen zu lassen. Das ist letztlich der philosophische Unterschied zwischen den USA und Deutschland.

Sie haben ja gerade Ihren Schwiegervater erwähnt, der im Film ganz prominent vorkommt und der wirkt wie ein klassischer Republikaner, der eher naserümpfend Trump gewählt hat. Und wir sehen in den Medien hier in Deutschland ja oft hysterische, fanatisch-aggressive Horden, die auf diese Rallyes gehen. Aber was glauben Sie denn, warum unterstützen solche eher klassischen Konservativen wie ihr Schwiegervater trotzdem einen Kandidaten wie Trump?

Dafür gibt es auch zwei Gründe. Der eine Grund ist das Wahlsystem, das ja sehr polarisierend aufgebaut ist, es gibt nur A oder B. Man kann nicht taktisch wählen, man kann nicht einen Junior-Partner stärken, damit da als ausgleichendes Element noch jemand in der Regierung ist. Es gibt keine Koalition, sondern man entscheidet sich für die eine oder die andere Seite. Es gibt zwar auch noch die Grünen oder die Libertären, aber die spielen keine Rolle. Und wenn ich partout die andere Seite nicht will, weil ich Angst habe, was Leute wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren alles vorhaben und wie die das Land verändern wollen, obwohl ein zentristischer Kandidat wie Biden vielleicht noch OK ist… Wenn ich das also alles ablehne, dann bleibt mir ja kaum noch eine Wahl als eben die andere Seite zu wählen, selbst wenn die Trump heißt. Das ist der eine Grund: Dass dieses bipolare System meiner Meinung nach in so polarisierten Zeiten nicht funktioniert. Wenn alle in der Mitte wären und es nur darum geht, ob einer jetzt mal ein bisschen mehr Steuern ausgibt oder ein bisschen konservativer haushaltet oder so – wie es ja Jahrzehnte davor immer war –, dann funktioniert das System. Aber wenn es beide Parteien so in die Extreme zieht, aus amerikanischer Sicht, also die Demokraten nach links und die Republikaner eben zur Tea Party nach rechts, wie es seit 2010 der Fall ist, dann wird es schwer, etwas dazwischen zu finden.

Und hier kommt der zweite Punkt ins Spiel. Es gibt in den USA ganz viele dieser one issue voters, wie sie genannt werden, die dann sagen: „Ok, mir ist eine Sache wichtig, und das finde ich eben nur in dem einen Lager, auch wenn ich selbst Trump bescheuert finde, furchtbar und auch peinlich und nicht des Amtes würdig.“ Wenn mir etwa wichtig ist, als evangelikaler Christ, dass noch mehr konservative Richter ernannt werden, weil ich hoffe, dass demnächst wieder Abtreibungsrechte zur Debatte stehen und vom Supreme Court verhandelt werden, wähle ich Trump. Immerhin hat Trump schon drei Supreme Court-Richter in seiner Amtszeit ernennen können. Oder wenn ich möchte, dass das Gesetz ganz klassisch ausgelegt wird, wie es vor 250 Jahren von den Gründungsvätern festgeschrieben wurde, und nicht irgendwie interpretiert, wie man es heute auslegen würde, auch dann bleibt mir quasi nur Trump, auch wenn ich ihn persönlich möglicherweise furchtbar finde.

Das sind also die beiden Hauptgründe: Die Wahl gegen einen Kandidaten, weil man ihn und seine Ideologie ablehnt. Oder eben die Wahl für einen Kandidaten, weil einem diese eine Sache so wichtig ist. Auch wenn es nicht selten gegen die eigenen Interessen ist. Zum Beispiel bei den Steuersenkungen: Die bringen einem ja nicht viel, wenn man kaum Einkommen hat, da haben Gutverdiener mehr von. Dafür werden aber dann Sozialleistungen gekürzt, weil natürlich ein riesiges Steuerloch im Budget entsteht. Und obwohl ich das alles weiß und auch beobachte, wähle ich trotzdem Trump, weil mir eben zum Beispiel meine Waffen wichtig sind. Und diese one-issue-Haltung ist sehr typisch in den USA.

Diese one-issue-Wähler sind ja ein Phänomen, das man hier in Deutschland einfach nicht versteht… Gerade im Fall der Waffenfreiheit und warum diese für manche wichtiger ist als das eigene finanzielle Wohlergehen.

Oder eben die Frage der Gerichte. Oder dass Trump die Soldaten zurückholt und sagt: „Soll der Rest der Welt sich mal darum kümmern.“ Oder wenn ich Exporteur bin und sage: „Wie er mit China umspringt – keine Ahnung, ob mir das jetzt was gebracht hat – aber das finde ich gut, denn die ziehen uns die ganze Zeit schon über den Tisch.“ Da hat jeder seine Gründe. Aber gerade bei den Schwarzen wundert es einen, nach allem was passiert ist in den letzten Monaten: George Floyd, Jacob Blake, die Schießereien, die Proteste, Black Lives Matter… Und dennoch haben diesmal mehr als beim letzten Mal ihr Kreuz bei Trump gemacht – weil sie sagen: „Vielleicht ist er sogar Rassist, mir doch egal.“ So wie vor vier Jahren viele Frauen gesagt haben: „Nein, ich wähle nicht Hillary Clinton, nur weil sie eine Frau ist, die muss mich schon inhaltlich überzeugen.“

Ich habe einen Beitrag für die Tagesthemen gemacht über eine Schwarze, die Trump-Fan war und die gesagt hat: „Sozialismus ist das Ende, und mir bringt die Steuersenkung etwas, weil ich dann meine Nanny absetzen kann und das hilft mir zu Hause, mit drei Kindern, etc..“ Es ist eben auch ein großer Unterschied, wenn man, wie in den USA, die Exekutive direkt vom Volk wählen lässt. Nicht wie bei uns in Deutschland, wo sie aus der Legislative entsteht, man also erst eine Mehrheit im Bundestag braucht, bevor man eine Regierung stellen kann. Trump hat viele Menschen angesprochen, die sagen: „Das verändert sich hier so sehr, dieses Land, und wenn diese radikalen Linken kommen und alles umverteilen wollen…“

Umverteilung ist ja auch so ein Schlagwort, das bei vielen wirkt wie ein rotes Tuch. Die sagen: „Ich spende gerne, ich gebe Geld aus, ich will den Armen helfen, aber ich will selber entscheiden, wo das Geld hingeht. Ich will das vor meiner Haustür sehen, wie sich etwas verändert, und möchte nicht ans ferne Washington Steuergelder zahlen und die können das doch eh nicht und wer weiß, wohin die das verbaseln.“

Oder auch zum Beispiel bei den Latinos: Wieso haben nach „Build the wall“ die Latinos diesmal so stark, in Florida beispielsweise, Trump gewählt, sodass er den Staat sogar gewinnen konnte? Weil eben viele Exil-Kubaner so wie auch venezolanische Geflüchtete nach Florida gekommen sind. Und die sagen eben: „Ich weiß, wie das aussieht, wenn eine Regierung versucht, das Land zu sozialisieren.“ Auch, wenn das natürlich nie so passieren würde in den USA, auch unter einer demokratischen Regierung nicht. Aber es gibt eben Gründe, warum jemand Trump wählt.

Und diese Gründe gab es auch vor vier Jahren. Das war kein Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte, was man daran sieht, dass es diesmal fast wieder geklappt hat. Und das ist, glaube ich, Trumps Problem jetzt. Er sieht aus den nackten Zahlen, dass noch nie ein republikanischer Kandidat so viele Wählerstimmen auf sich hat vereinen können wie er. Er hat eben nur das „Pech“, dass Joe Biden einen noch größeren Rekord aufgestellt hat. Und für die USA ist das schon enorm: 67% Wahlbeteiligung! Grundsätzlich ist es ja gut für eine Demokratie, wenn viele sich an einer Wahl beteiligen. Und an der Stelle sind wir jetzt, dass er es nicht akzeptieren kann und will und, glaube ich, einfach auch nicht versteht.

Wie glauben Sie denn, dass es jetzt weitergeht? Da gibt es ja die wildesten Theorien.

Da gibt es in der Tat die wildesten Theorien. Also ich glaube, das ist gerade so ein letztes Aufbäumen und Zucken und vor allem ein Arbeiten an der Dolchstoß-Legende: „Ich bin euer Mann, 72 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner stehen hinter mir, wollten mich wiederhaben. Ich wäre für euch nochmal vier Jahre in die Bresche gesprungen, aber das System und der Wahlbetrug haben dafür gesorgt, dass es nicht geht.“ Und er wird als Märtyrer der rechten Bewegung den Rest seines Lebens gefeiert werden, denke ich. Trump hat immer die Projektion von Stärke, aber nie das Eingestehen von Fehlern oder Niederlagen. Immer heißt es: „Ich habe gewonnen.“ Wenn bei ihm etwas schieflief, waren es immer die anderen, wenn es aber gut lief, war immer nur er selbst dafür verantwortlich. Und selbst, wenn er verloren hat, sagt er, er habe gewonnen. Das ist übrigens auch nichts Neues. Er hat Casinos in die Pleite geführt in Atlantic City, aber trotzdem einen Riesen-Reibach gemacht. Die Marke Trump wurde bekannt in aller Welt, das ist jetzt das Franchise: Jedes Hotel, das seinen Namen trägt, zahlt dafür. Dass in Atlantic City hunderte von Handwerkern geprellt wurden und ihre Existenz verloren haben, weil sie nicht an ihr Geld kamen, das war einem Trump immer egal.

Ich glaube, er hat jetzt zwei Monate Zeit, quasi so viele Stöcke in Speichen der Demokraten und von Joe Biden zu stecken, wie es nur geht. Aber er wird auch danach nicht weggehen, selbst wenn er am 20. Januar das Weiße Haus verlässt – und das wird er, da bin ich mir sicher. Da werden ihm auch die Republikaner irgendwann von der Stange gehen. Wenn die Amerikaner eins lieben, dann ist es Klarheit: im Sport und auch in der Politik. Deswegen gibt es ja auch dieses Zwei-Parteien-System, A oder B. Und deswegen wird er am 20. Januar zwar das Weiße Haus verlassen, aber von der Bildfläche verschwinden wird er nicht. Er wird Joe Biden ständig in die Parade fahren und er hat ja mit seinen fast 90 Millionen Twitter-Followern ein Sprachrohr, das er die ganze Zeit anzapfen kann, ohne dass die Medien ihn da belangen. Das muss man ihm schon lassen, das ist recht effektiv. Als Marke funktioniert Trump sehr gut, trotz allem.

Gerade diese Spaltung, diese Diskussionen, die werden ja – das haben Sie in der Doku mit Ihrer Frau und Ihrem Schwiegervater gezeigt – auch in die Familien getragen. Wie nehmen Sie das denn auf einer persönlichen Ebene wahr? Das ist ja nicht nur in Ihrer Familie so, das ist ja anscheinend auch bei vielen anderen der Fall. Wie schätzen Sie das aus einer – mehr oder weniger – Außenperspektive ein?

Bei uns sprechen sie immerhin noch miteinander. Meine Frau würde nie wegen Politik mit ihrem Vater brechen, wie das bei einer guten Freundin von ihr beispielsweise der Fall ist. Da sprechen die Geschwister nicht mehr mit ihrem Vater, weil sie sagen: „Der ist so verbohrt und hat rassistische Tendenzen, und den kriegen wir nicht mehr überzeugt, das ist hoffnungslos.“ Und das ist traurig. Ich glaube, viele Nachbarschaften zerbrechen auch daran. Wobei das in den USA ganz interessant ist, denn an den Vorgärten sieht man immer, wer was wählt. In Deutschland gilt immer ein Riesen-Wahlgeheimnis und ich habe meist keine Ahnung, was Kollegen und Freunde so wählen. Darüber spricht man ja nicht unbedingt. Aber in den USA pflastern die Leute ihre Vorgärten mit Schildern zu und da weiß man genau: Aha, der ist für Biden, der ist für Trump, good to know. Aber klar, es belastet schon auch meine Frau, und wenn mein Schwiegervater zu Besuch ist, kommt er kaum durch die Tür, da kabbeln die sich schon. Aber mittlerweile sagt sie auch: „Bevor ich jetzt etwas sage, das ich nicht mehr zurücknehmen kann oder das mir dann leidtun wird, sage ich lieber gar nichts.“

Was mir zum Thema Wahrnehmung der Bundesstaaten bei dem Film auch aufgefallen ist – und ich denke mal, dass es auch Absicht war: Sie arbeiten sehr viel mit schönen Bildern, gerade aus Wisconsin…

(lacht) Unser Kameramann Martin Kobold und meine Co-Autorin Birgit Wärnke können nur schöne Bilder…

(lacht) Ja, das habe ich Martin auch schon gesagt, wir kennen uns ja schon lange. Aber Sie zeigen eben keine wilden Rallyes, irgendwelche Horden, irgendwelche Typen, die diese MAGA-Mützen anhaben und irgendwas in die Kamera brüllen. Solche Leute kommen ja eigentlich gar nicht vor in dem Film, sondern es kommen eigentlich nur relativ gesittete, normale Menschen vor. War das auch ein bisschen die Absicht, uns Deutschen zu zeigen: „Ihr denkt immer, Trump-Anhänger sind alle irre und laut und aggressiv, aber es ist eigentlich anders“?

Ganz genau. Denn 72 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner können nicht alle furchtbar sein und einen an der Waffel haben. Gerade mein Schwiegervater ist ein total netter Kerl und auch Kimberley oder auch Alice, die Freundin meiner Schwiegermutter vom Kajak-Fahren, die sagt, sie wählt auf jeden Fall Trump. Ich wollte zeigen, welche Gründe Republikaner und Trump-Wähler haben. Für die muss man kein Verständnis haben, aber man muss sie verstehen, wenn man kapieren will, wie dieses Wahlergebnis zustande kommen konnte vor vier Jahren, oder wieso es jetzt auch so knapp werden konnte. Und das war die Idee des Films und auch, glaube ich, das Rezept für seinen Erfolg. Und wenn es dann on top auch noch schön gedreht ist und es tolle Bilder sind, dann umso besser. So soll Fernsehen im Idealfall sein.

Wurden Sie eigentlich mal als Journalist angegangen während des Drehs, von wegen „fake news“?

Jein. Wir haben in Green Bay eine Garage gesehen, da sind wir vorbeigefahren, wo so ein großes Trump-Schild im Vorgarten war und die Leute gefeiert haben. ‚Tailgating‘ nennt sich das ja, wenn man vor dem Footballspiel grillt und Bier trinkt und feiert, bevor man dann gemeinsam das Spiel guckt, eine Art Public Viewing. Und da kamen wir an und dann dachten die erst, wir wollten über die Tatsache, dass das erste Heimspiel ihres Teams ein Geisterspiel ist, reden: Wie ist hier so die Stimmung? Denn drum herum war natürlich längst nicht so viel los wie sonst. Und dann haben wir aber schnell auf das Trump-Schild hingewiesen und daraufhin waren sie kurz davor, uns rauszuschmeißen: „Get off our property!“ Die haben uns echt ziemlich barsch, nicht angegriffen, aber angemacht. Ich habe sie dann doch irgendwie ins Gespräch kriegen können.

Trump droht ja schon – oder kündigt schon an, oder es wird von seinen Beratern angekündigt –, dass er vielleicht nochmal antreten will 2024. Das ist ja eigentlich für die republikanischen Politiker, die da auch Ambitionen haben, eine richtig blöde Situation. Wie meinen Sie, werden sich da einige Favoriten – Nikki Haley ist ja im Gespräch, oder Mike Pence selbst und noch ein paar andere –

Ted Cruz.

Ja, Ted Cruz. Wie glauben Sie, werden die sich jetzt verhalten?

Das hängt ganz davon ab, was Trump machen wird. Denn einerseits wird es die Trump-Fans nach wie vor geben, die das gut fänden, die sagen: „Das ist die Rache. Wäre es nicht toll, den Demokraten gerade den Trump wieder reinzuwürgen nach der (aus ihrer Sicht) manipulierten Wahl?“ Aber ich glaube, ein größeres Problem ist eher, dass es die republikanische Partei zerreißen würde in zwei Teile: eben das Trump-Lager und die anderen, die „Realos“. Und so geteilt wird sie nie auf eine Mehrheit kommen können gegenüber den Demokraten.

Das muss man abwarten…

Trump wäre auch schon 78 in vier Jahren. Also die Partei ist jetzt wirklich an einem Scheideweg, die muss sich überlegen: Was wollen wir denn? Die haben ein Potential, das hat man ja gesehen: „Wir haben auch die Möglichkeit, minorities anzusprechen, wir sind nicht nur die alte-weiße-Männer-Partei der Abgehängten in den Tälern von Kentucky. Sondern wir sind eine Partei, die für gewisse Positionen steht, die in allen Bevölkerungsschichten Amerikas Anklang finden können.“ Die Demokraten sollten sich nicht so darauf ausruhen, nur weil die ganzen minorities einfach mehr werden und die Weißen bald nicht die eine dominierende Ethnie mehr sein werden in den USA, dass es dann automatisch immer auf sie zulaufen wird. Ich glaube schon, dass es da ganz interessant werden kann, aber mit Trump als altem neuem Spitzenreiter – schwierig, glaube ich.

Mit Biden wird das ja wahrscheinlich eher langweilig werden.

Das tut der Welt und den USA, glaube ich, ganz gut. Einer, der zumindest von vornherein die Arme ausbreiten will und nicht nur seine Basis im Visier hat, ist ja schon mal ein guter Ansatz.