Alte Feindinnen, neue Freundinnen

In Candice Fox‘ Thriller „Dark“ machen sich vier Frauen auf die Suche nach einer Vermissten

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine ehemals angesehene Ärztin, die nach Absitzen einer langen Haftstrafe wegen Mordes ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen versucht. Eine Polizistin, der eine unerwartete Millionen-Erbschaft in den Schoß fällt, was sie automatisch zur verhassten Außenseiterin unter ihresgleichen macht. Eine notorische Diebin, übergewichtig, laut, ungehobelt und trotzdem liebenswert, die ihre Tochter wiederfinden möchte. Und eine Gangsterin, die vor nichts zurückschreckt, aber genau jene Härte besitzt, die die anderen drei Frauen brauchen, um ihrer Suche Nachdruck zu verleihen. Auch in ihrem neuen Roman überrascht die in einem Vorort von Sydney geborene Australierin Candice Fox mit einem exzentrischen Ermittlerteam, dass den Zwillingen Eden und Eric Archer aus ihrer Hades-Trilogie (deutsch 2016/17), mit der sie international bekannt wurde, und dem Duo Amanda Pharrell und Ted Conkaffey aus der bis dato ebenfalls dreiteiligen Crimson-Lake-Reihe (deutsch 2017-2019) in nichts nachsteht. Nur der Schauplatz von Dark ist nicht mehr Australien, sondern die US-amerikanische Westküste rund um Los Angeles.  

Hier lebt, nachdem sie ein Jahr vorher aus dem Gefängnis entlassen wurde, Blair Harbour. Einst „Starchirurgin mit Villa in Brentwood“, schlägt sie sich aktuell als Angestellte in einer Tankstelle durch, versucht sich an ihre Bewährungsauflagen zu halten und für ihren im Gefängnis geborenen Sohn Jamie, der bei einem befreundeten Ehepaar aufgewachsen ist, nicht nur „Mutter“, sondern mehr und mehr „Mom“ zu sein. Wenn ihr das alles über den Kopf wächst, ruft sie fremde Nummern an und findet im Gespräch mit Unbekannten gelegentlich Trost. 

Allein die Vergangenheit lässt sie nicht los. Als ihre Tankstelle von einer verzweifelt wirkenden jungen Frau überfallen wird, stellt sich schnell heraus, dass diese Dayly Lawlor die Tochter ihrer Zellengenossin „Sneak“ Lawlor ist. Und der hat sie viel zu verdanken, weil die notorische Diebin und Lügnerin in den vergangenen zehn dunklen Jahren für Blair zu einer Art „Reiseleiterin“ durch ihre Haft geworden war. Also sagt sie auch nicht Nein, als die Frau, die alles mitgehen lässt, was nicht niet- und nagelfest ist, eines Tages vor ihrer Tür steht und sie bittet, mit ihr gemeinsam die nach dem Tankstellenüberfall verschwundene 20-Jährige zu suchen. 

Als noch die ehrgeizige Polizistin Jessica Sanchez, die Blair einst hinter Gitter brachte und im Verlaufe des Romans zu der Überzeugung gelangt, dass sie da wohl etwas zu voreilig gehandelt hat, und die Stripclubbesitzerin und in zahlreiche dunkle Machenschaften verwickelte schwarze Gangsterchefin Ada Maverick zu dem Duo stoßen, hat Candice Fox ein Personal zusammen, wie man es so noch in keinem Thriller fand. Und obwohl jede Einzelne der vier Frauen mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat – zusammen sind sie eine Macht, auch wenn sie sich in ihren Motiven noch so sehr unterscheiden. 

Allein eines weiß das Quartett nicht: Dayly Lawlor hat hinter dem Rücken ihrer schwergewichtigen Mutter schon seit geraumer Zeit nach ihrem Erzeuger gesucht und ihn schließlich in dem Bankräuber und mehrfachen Mörder John James Fishwick gefunden. Der sitzt in einer Todeszelle des Staatsgefängnisses San Quentin und lässt sich bereitwillig auf einen geschickt in den Roman eingestreuten Briefwechsel mit seiner Tochter ein. Dadurch ist der Mann nicht nur immer gut darüber informiert, was Dayly und ihre wechselnden Freunde draußen treiben, sondern auch in der Lage, ihr geschickt Informationen zuzuspielen. Denn von dem Geld, das er bei seinen Raubzügen erbeutete, ist noch mehr da als die drei Millionen, die man gerade, vergraben auf einer Baustelle in Pasadena, gefunden hat. Und das soll gefälligst, wenn schon nicht in seiner eigenen Tasche, dann wenigstens in der Familie bleiben. 

Candice Fox‘ großes schriftstellerisches Talent war von Anfang an nicht zu übersehen. Auch Dark bietet neben einem ausgefeilten Plot, der bis zum Ende anhaltenden Spannung, einem so ungewöhnlichen wie genau gezeichneten Personal und einer Menge Humor – teils tiefschwarz eingefärbt – sich abwechselnde Erzählperspektiven sowie in den Text verwobene Verhördialoge und Briefe. 

Da Eltern-Kind-Konflikte schon immer zu den Themen gehörten, die diese Autorin in ihren Büchern anschlug, hat auch Dark gleich drei davon zu bieten. In seiner Gefängniszelle ist der Killer Fishwick zu der Überzeugung gelangt, „eine beschissene Kindheit und das Gefühl, von den Eltern verlassen zu sein“, hätten ihn auf seinen dunklen Weg geführt. Ähnlich geht es seiner Tochter, die sich als unerwünschtes Kind vorkommt „wie ein schwarzes Loch, eine Leerstelle im Universum“. Und schließlich sind da noch Blair und ihr Sohn Jamie, denen es der Aufenthalt der Mutter im Gefängnis verwehrte, eine Beziehung zueinander aufzubauen.   

Auch im Kosmos der skurrilen Nebenfiguren, die Candice Fox seit jeher zu lieben scheint, tauchen wieder ein paar richtig gute Typen auf – etwa der kauzige Rechtsmediziner Oliver Digbert, dessen „Reinlichkeitsansprüchen“ nur Damentoiletten genügen, der Anführer der Latinogang „San Marino 13“, die die Tankstelle kontrolliert, in der Blair arbeitet, sowie eine mit „Mörderabilien“ wie den Fingernägeln von Serienkillern, psychologischen Gutachten oder Tatortfotos über ihre Internetfirma handelnde unerschrockene Liebhaberin des abgrundtief Bösen. Hinzu kommen allerhand korrupte Polizisten und – wer die Romanwelt von Candice Fox kennt, weiß, dass es ohne sie nicht geht – verschiedene Tiere. Lebte der Ex-Cop Ted Conkaffey in Fox‘ letzten Romanen mit einer kleinen Gänseschar zusammen, so ist es diesmal vor allem eine Wühlmaus namens Hugh Jackman, die für allerhand Aufregung sorgt.

Im Übrigen überlebt nicht jede der im Roman auftretenden Figuren. Einigen von ihnen gönnt man das als Leser*in auch nicht. Und dennoch scheint am Ende alles für eine Fortsetzung bereitet. Jessica Sanchez plant, den Polizeidienst zu verlassen und sich als Privatermittlerin selbstständig zu machen. Blair Harbor kann sich vorstellen, der Frau, die sie einst hinter Gitter brachte, in ihrem neuen Leben zur Seite zu stehen. Und für die beiden übrigen Frauen und den weiterhin im Gefängnis sitzenden Killer Fishwick, alle drei reichlich mit kriminellen Talenten gesegnet, sollte es auch in Zukunft genug zu tun geben.

Titelbild

Candice Fox: Dark. Thriller.
Aus dem australischen Englisch von Andrea O‘Brien.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.
440 Seiten, 15,95 EUR.
ISBN-13: 9783518471012

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