Noch mehr Aufbau

Konstantin Ulmer legt mit „Man muss sein Herz an etwas hängen, das verlohnt“ die Geschichte des Aufbau Verlags von 1945 bis 2020 vor

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Anfang waren Trümmer. Im Sommer 1945 lag Berlin in Schutt und Asche. An den Häuserwänden, die stehengeblieben waren, warnten Aushänge vor der Ruhr, die Luft war voller Schmeißfliegen, zwischen den Ruinen tummelten sich Ratten.

Das sind die allerersten Sätze in der neuen Geschichte des Aufbau Verlags. Und dieser Stil ist Programm, denn hier handelt es sich um eine flott geschriebene Verlagsgeschichte ohne jeden wissenschaftlichen Jargon, die auch Ironie, Süffisanz, schiefe Metaphern („Die Periodika waren das Fast Food, um den Lesehunger auf den Trümmerfeldern zu stillen“) oder verbale Zuspitzungen nicht scheut (Walter Janka als „ein Partisan mit Offiziershabitus“ oder der Erfolg der Bücher Sarah Kirschs als „Kirsch-Blüte“).

Erzählt wird die Geschichte eines Verlags, der im August 1945 in Berlin vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet wurde und der seither mehr als 15.000 Titel publiziert hat. Erzählt wird auch die Geschichte vom staatstragenden Verlag der DDR, der den kulturpolitischen Wendungen der Staatsmacht folgen musste, der nach der Wiedervereinigung durch die Treuhand privatisiert wurde und der sich nur mühsam auf dem offenen Buchmarkt behaupten konnte. 

Gegliedert ist das mit 118 Abbildungen gut ausgestattete Werk in neun Kapitel, die nur mit Jahreszahlen überschrieben sind und deren inhaltlicher Sinn sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Zum einen sind es zeitgeschichtliche Daten, die den Band strukturieren (die Währungsreform oder der Wechsel von Ulbricht zu Honecker), zum anderen personelle Wechsel im Verlag (die Verhaftung Walter Jankas nach dem gescheiterten Ungarn-Aufstand 1956 mit anschließendem „Reinemachen“ oder der Übergang von Fritz-Georg Voigt zu Elmar Faber) und zum dritten kulturpolitische Einschnitte wie die Neuprofilierung der DDR-Verlage im Jahr 1963 oder die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Nach der Wiedervereinigung orientiert sich die Darstellung an den Besitzverhältnissen des Verlags.

Ausführlich werden Programmpolitik und -schwerpunkte, Reihen, Bibliotheken und umfangreiche Werkausgaben nachgezeichnet, Autoren und die Publikationskontroversen um einzelne Bücher dargestellt, literaturpolitische Auseinandersetzungen im Verlag und solche mit der Funktionärsbürokratie detailliert beschrieben. Nicht zu kurz kommen die Porträts der handelnden Personen wie Johannes R. Becher, Klaus Gysi, Wolfgang Harich und einiger IMs. Verdienstvoll ist auch, wie die geschäftlichen (und persönlichen) Kontakte mit westdeutschen Verlagen, vor allem Luchterhand und Suhrkamp, im Spannungsfeld der deutsch-deutschen Beziehungen beschrieben werden.

Im Zentrum der beiden letzten Kapitel stehen naturgemäß die Entwicklungen nach dem Mauerfall: der doppelte Verkauf des Verlags – zunächst durch die Treuhand, dann durch den Kulturbund – an den Frankfurter Immobilieninvestor Bernd F. Lunkewitz, die Posse um die Verlagsimmobilie, die Insolvenz im Jahr 2008 und der Kauf des neben Aufbau und Rütten & Loening inzwischen auch einen Taschenbuch- und einen Hörbuchverlag sowie Gustav Kiepenheuer und die Sammlung Dieterich umfassenden Konglomerats durch einen weiteren Mann aus der Immobilienbranche, Matthias Koch.

Aber es geht nicht nur um die firmenrechtlichen Auseinandersetzungen von Lunkewitz mit der Treuhand, die geradezu absurde Züge angenommen hat, sondern auch kommen literaturpolitische Kontroversen wie der „Fall Christa Wolf“ und die Bemühungen, sich im gesamtdeutschen Markt durch neue Programmfelder und Autoren zu positionieren, ausführlich zur Sprache – bis hin zum meistverkauften Titel der Verlagsgeschichte, dem Unterhaltungsroman Die Päpstin von Donna W. Cross. Alles in allem muss aber für die Zeit nach der Wende festgehalten werden, dass die Aufarbeitung der Geschichte des Verlags nicht so gründlich ausgefallen ist, wie es für die Jahrzehnte davor der Fall ist. Es wird viel aufgezählt, aber weniger analysiert.

Das Buch endet mit den hoffnungsfrohen Sätzen – und an dieser Stelle klingt es im Gegensatz zu den 364 Seiten vorher wie ein Werbeprospekt:

Aufbau ist ein Begriff, ein Markenname, eine Tradition, ein ideengeschichtlicher Akteur, eine Diskursarena, eine Behausung für Schriftsteller und für das literarische Leben. […] Am Anfang des Aufbau Verlags, im August 1945, waren Trümmer. Nach 75 Jahren bleiben Bücher und die Gewissheit, dass noch viele folgen werden.

An Büchern zur Geschichte des Aufbau Verlags besteht kein Mangel. Neben Suhrkamp und Rowohlt gehört Aufbau zu den Verlagen, die ihre eigene Geschichte immer wieder bespiegelt (und gefeiert) haben: durch Verlagsgeschichten (unter anderem des ehemaligen Aufbau-Archivars Carsten Wurm), durch oft umfangreiche Almanache, durch opulente Briefsammlungen und eine Bibliografie der verlegten Werke. So fragt man sich: Warum noch eine Aufbau-Verlagsgeschichte? Vordergründig ist es das 75jährige Bestehen des Verlags, das das Erscheinen des Buchs rechtfertigt, inhaltlich ist es die flüssig geschriebene Geschichte eines Verlags, dessen Bedeutung vor allem für die DDR-Kulturgeschichte und für die innerdeutschen Literaturbeziehungen von eminenter Bedeutung war. Dass die Bedeutung heute so weit von der damaligen entfernt ist, und warum das so ist, dazu hätte man von Konstantin Ulmer gern auch etwas gelesen.

Titelbild

Konstantin Ulmer: Man muss sein Herz an etwas hängen, das es verlohnt. Die Geschichte des Aufbau Verlages 1945 – 2020.
Aufbau Verlag, Berlin 2020.
384 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783351037475

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