Von Zombies und anderen Nebensächlichkeiten

Peter Hennings Roman „Die Tote von Sant Andreu“ bleibt hinter seiner spannenden Prämisse zurück

Von Colin GörkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Colin Görke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu diesem Buch ist in literaturkritik.de bereits eine Rezension von Walter Delabar erschienen.
Ausnahmsweise publizieren wir hier eine zweite, studentische Rezension.

Der Universitätsdozent Lennart Halm hält gerade ein Seminar, als er erfährt, dass seine Zwillingsschwester Luise bei einem Terroranschlag in Barcelona ums Leben gekommen ist. Mit einem Schlag ist nichts mehr wie vorher. Hals über Kopf bricht er auf, um vor Ort nach Antworten zu suchen, nur um Fragen über Fragen zu finden. Denn es stellt sich heraus, dass er seine Schwester vielleicht nicht so gut kannte, wie er angenommen hatte. So weit, so gut – Die Tote von Sant Andreu verspricht eine spannende Mischung aus Mystery, Thriller und Kriminalroman zu sein. Leider bleibt es bei einer oberflächlichen, mit Nebensächlichkeiten beladenen Erzählung, die nur kapitelweise überzeugen kann. 

Die Einleitung in das Geschehen leidet darunter, dass Halm seine Zeit nach Erhalt der Horrornachricht damit verbringt, über seine Ex-Freundin zu schwadronieren. Zwar mag das menschliche Hirn seltsame Reaktionen auf Traumata hervorbringen, dennoch wirken Halms Prioritäten, nicht nur am Anfang des Romans, fragwürdig – immerhin hat er gerade eben erfahren, dass seine geliebte, wenn auch entfremdete Schwester bei einer Explosion in tausend Stücke zerrissen wurde.

Ähnlich geht es mit seiner Flugzeugbekanntschaft Anne weiter: Nur wenige Stunden nachdem der Protagonist von dem Terroranschlag erfahren hat, schwärmt er intensiv für seine attraktive Sitznachbarin. Er wird dabei nicht müde, sie mit seiner Ex-Freundin zu vergleichen. Die flüchtige Bekanntschaft bleibt auch während seines Aufenthalts in Barcelona bestehen, wobei Halms Hauptaugenmerk auf einer möglichen Liebelei liegt. Wer hier einen erzählerischen Mehrwehrt sucht, kann ihn in der Darstellung von flüchtigen, aber intensiven Bekanntschaften und Solidarität in Krisenmomenten sehen – oder die Nebenhandlung getrost als konstruierte Pflichtromanze ignorieren.

Gesprächsführung und Charakterisierung lassen zu wünschen übrig. Die Figuren wirken durch eine exzessive Verwendung von Ausrufezeichen ständig übermäßig begeistert (egal ob bei der Diskussion über Terror oder beim Kaffee), die Konversationen oft gestelzt. Nach einem aus nur wenigen Sätzen bestehenden Gespräch mit dem führenden Polizisten Aranda etwa glaubt Halm genau zu wissen, mit wem er es zu tun hat: „Ein Zombie das gegen andere Zombies kämpfte, und dabei wahrscheinlich nebenher das eine oder andere krumme Geschäft am Laufen hatte.“ Derart oberflächliche und voreilige Rückschlüsse reißen die Leser*innen aus einem ohnehin schwer zu findenden Lesefluss heraus. Dazu kommen neben sprunghaften Themen- und Zeitwechseln auch sich häufende Rechtschreib-, Grammatik-, und Formatierungsfehler: Zwischendurch wird für einzelne Buchstaben ohne ersichtlichen Sinn eine kursive Schrift verwendet, Dativ und Genitiv werden gnadenlos verwechselt oder Sätze nicht zu Ende geführt. Diese Fehler können zwar eher dem Lektorat als dem Autor selbst angelastet werden, tragen jedoch kaum zu einem positiven Gesamteindruck bei.

Trotz allem: Hennings grundlegende Idee ist spannend und stellt wichtige Fragen. Wie gut kennen wir die Menschen, die uns wichtig sind, wirklich? Wie schnell kann ein weltoffener Mensch auf radikale Ideologien (welcher Art auch immer) umschwenken? Trotz des Fokus auf eine kurze Zeitspanne und die persönliche Beziehung zwischen den Halm-Geschwistern schafft Henning es, große Themen wie Entfremdung, Krise, Solidarität und Begegnung anzusprechen, ohne dabei in eine belehrende Haltung zu verfallen. Ein Bild bleibt besonders im Gedächtnis. Halm ist zurück an seiner Universität und gibt ein Seminar. Beim Schreiben an der Tafel bricht die Kreide ab, und in diesem kleinen, irrelevanten Moment muss er sich entscheiden – hebt er das heruntergefallene Stück auf, klammert sich weiter an die Vergangenheit, oder macht er mit dem weiter, was ihm im Hier und Jetzt bleibt? Leser*innen, die eine eigensinnige Erzählweise schätzen und über die eine oder andere abstruse Nebenhandlung hinwegsehen können, finden das am besten selbst heraus.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Peter Henning: Die Tote von Sant Andreu. Roman.
Transit Buchverlag, Berlin 2020.
176 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783887473754

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