Polyphon, doch nicht kakophon

Die feministische Zeitschrift „Die Schwarze Botin“ hat uns auch nach vier Jahrzehnten noch etwas zu sagen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mitte der 1970er Jahre tat sich hierzulande einiges auf dem feministischen Zeitschriftenmarkt. Nicht nur schossen in zahlreichen größeren und kleineren Städten lokale Periodika, die sich für die Belange von Frauen einsetzten, wie Pilze aus dem Boden, es wurden auch drei bundesweit erscheinende Zeitschiften aus der Taufe gehoben. Zum einen die noch heute in jedem Kiosk erhältliche EMMA, sodann die bis 1984 erscheinende Courage und last but not least die völlig zu Unrecht vergessene Schwarze Botin, deren erste Reihe von 1976 bis 1980 in allen linksalternativen und feministischen Buchläden zu haben war. Anders als die inzwischen weithin vergessene Zeitschrift selbst sind einige ihrer Autorinnen heute bekannter denn je, reüssierten sie im Laufe der vergangenen Jahrzehnte doch in verschiedenen Metiers. Elisabeth Lenk etwa als Philosophin, Rita Bischof ebenfalls sowie als Soziologin, Sarah Schuhmann als Künstlerin, Silvia Bovenschen als Literaturwissenschaftlerin und Literatin. Überhaupt traten die Literatinnen unter den Autorinnen besonders hervor. Zu nennen wären etwa noch Gisela Elsner, Giesela von Wysocki, Christa Reinig und die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Dass einige ihrer Beiträge für die von Gabriele Goettle und Brigitte Classen herausgegebene Zeitschrift nun wieder leicht zugänglich und sogar käuflich zu erwerben sind, ist Vojin Saša Vukadinović zu verdanken, der gut fünf Dutzend Texte nicht nur dieser namenhaften, sondern auch von weniger bekannten Botinnen ausgewählt und mit einer sehr informativen Einleitung versehen herausgegeben hat. Christiane Ketteler und Magnus Klaue haben ein literaturwissenschaftliches Nachwort beigesteuert, in dem sie den „durchgehend analytische[n] und polemische[n] Ton“ der Botinnen-Texte hervorheben, die allerdings „thematisch kaum auf einen Nenner zu bringen“ seien. Ja, es falle sogar nicht selten „schwer, überhaupt zu bezeichnen, was ihr ‚Thema’ ist“. Doch zeichne sich die „Polyphonie“ aus all den so unterschiedlichen Essays, Gedichten, dramatischen Texten, Collagen und Graphiken dadurch aus, dass sie „sich in ihren einzelnen Elementen an bestimmten Obertönen orientier[en]“.

Der Herausgeber selbst hat mit seiner Vorbemerkung einen überaus wichtigen Beitrag zur Geschichte der Schwarzen Botin und damit zu derjenigen der Neuen Frauenbewegung überhaupt geleistet, den er gerne einmal zu einem eigenständigen Buch erweitern dürfte. Ermöglicht hat er sich dies nicht nur durch ein umfängliches und gründliches Quellenstudium, sondern mehr noch durch zahlreiche Gespräche mit Herausgeberin Gabriele Goettle, etlichen AutorInnen der Zeitschrift (unter ihnen war auch der eine oder andere Mann) sowie mit anderen AkteurInnen der zeitgenössischen Linken, Homosexuellen- und Frauenbewegung.

Wie Vukadinović treffend bemerkt, zog die – wie es in ihrem Untertitel hieß – „Zeitschrift für die Wenigsten“ ihre Kreise eher „am Rande der Neuen Frauenbewegung“. Dabei ging es ihr weniger darum, die patriarchalen und misogynen Zustände in der Gesellschaft zu kritisieren. Vielmehr richtete sich ihre nicht selten beißend polemische Kritik „auf fundamentale Weise“ gegen einige Überzeugungen der sich in den späten 1970er Jahren in verschiedene Flügel und Fraktionen auffächernden bundesdeutschen Frauenbewegung. Neben und in gleichheits- und differenzfeministischen Organisationen bildeten sich etwa Gruppen und Grüppchen von separatistischen Lesben, Mutterschaftsideologinnen, auf dem gesellschaftlichen Rückzug befindlichen Selbsterfahrungskreisen bis hin zu Esoterikerinnen und ‚Neuen Hexen’.  So griff die Schwarze Botin vehement in die ohnedies nicht selten bereits „schonungslos[.] ausgetragenen Konflikte“ innerhalb der deutschen Frauenbewegung ein. Die Intransigenz, mit denen die innerfeminstischen Kontroversen ausgetragen wurden, war allerdings keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der bundesdeutschen Neuen Frauenbewegung. Bereits zur Zeit der Ersten Frauenbewegung war es nicht anders gewesen, und auch nicht in den zeitgenössischen Frauenbewegungen anderer westlicher Ländern. Nicht umsonst wurde die Parole der US-amerikanischen Feministinnen „Sisterhood is powerful“ von Ti-Grace Atkinson um die Zeile „It kills. Mostly Sisters“ erweitert. Als eines der Opfer dieser tödlichen Schwesternschaft darf Shulamith Firestone gelten.

Soweit wie jenseits des Atlantiks kam es in Deutschland zwar nicht, doch stießen die Texte und Thesen der Schwarzen Botin bei ihren feministischen Schwestern – wie auch bei der Linken überhaupt – nicht eben auf freudige Zustimmung. Innerhalb der feministischen Zeitschriftenszene wurden bald wechselseitige Boykott-Aufrufe laut. Zudem verstiegen sich einige Feministinnen, vor allem aber KommunistInnen gegenüber der Schwarzen Botin auch schon einmal zu dem unter Linken noch immer beliebten Faschismusvorwurf. Klaus Rainer Röhl, der Herausgeber der Zeitschrift Konkret faselte mit Blick auf die Schwarze Botin von „Femi-Faschismus“ und der Arbeiterkampf des Kommunistischen Bundes scheute auch vor Lügen und persönlichen Verleumdungen nicht zurück, um den Faschismusvorwurf zu erhärten, woraufhin die Schwarze Botin den Faschismusvorwurf prompt retournierte.

Hauptsächlich aber trug sie ihre Kontroversen mit anderen Feministinnen aus. Bereits im ersten Beitrag der ersten Ausgabe kündigte Mitherausgeberin Goettle 1976 unter der Überschrift Schleim oder nicht Schleim, das ist hier die Frage „[d]ie rücksichtsloseste Bekämpfung jener Frauen“ an, „welche die übrigen für dumm verkaufen wollen und sich das von ihnen auch noch bezahlen lassen“. Das zielte insbesondere auf die im Gründungsprozess befindliche EMMA und bald auch auf die fast zeitgleich mit der Schwarzen Botin gegründete Courage. Außerdem warf Goettle der Frauenbewegung den „Verzicht auf klare Kampfpositionen“ vor und betonte in einem späteren Artikel, das „Ziel des Feminismus“ müsse „die Beseitigung sämtlicher patriarchaler Herrschaftsstrukturen und die Vernichtung kapitalistischer Produktionsformen sein“. Denn er „zielt auf die Zerstörung von Herrschaft grundsätzlich!“

Vor allem aber richtete sich die Kritik der Schwarzen Botin gegen den entpolitisierten Selbstfindungsfeminismus, dessen Kultroman Verena Stefans Häutungen die beiden Botinnen Classen und Goettle unter dem Titel Die Verwechslung von Anemone und Amazone bereits in der ersten Ausgabe der Courage mit Häme und Spott über- und einer vernichtenden Kritik unterzogen hatten. Hier schlugen sie bereits den Ton an, für den die Schwarze Botin alsbald bekannt und wohl auch gefürchtet werden sollte. Ihre erste Ausgabe erschien gerade einmal einen Monat nach derjenigen der Courage.

Gegenüber dem damals ebenfalls virulenten geschlechterseparatistischen Teil der Frauenbewegung erklärte Goettle in dem Schleim-Artikel, zu den klaren Kampfpositionen gehöre auch, „daß wir das von Männern Gedachte verwenden, um uns über sie hinwegzusetzen“. Überhaupt verwarf die Schwarze Botin wiederholt die unter damaligen Feministinnen verbreitete Ablehnung von Rationalität und Theorie als ‚männlich’. So monierte Sibylle Klefinghaus in einem Text über Luce Irigaray etwa, „daß sich die deutsche frauenbewegung gerade durch eine ausgesprochene theoriefeindlichkeit auszeichnet“.

Ein ganz anderes Thema, dass in der Schwarzen Botin von Beginn an immer wieder eine große Rolle spielte, war der Faschismus. So unternahm Goettle schon in der ersten Ausgabe unter dem sowohl auf kommunistische Faschismustheorien wie auch auf Hannah Arendts These der Banalität des Bösen anspielende Überschrift Der Faschismus als höchstes Stadium banaler Herrschaft eine Faschismusanalyse, in der sie sich gegen die unter KommunistInnen übliche „Reduktion des Faschismus auf seine ökonomische Basis“ wandte. Arendt erwähnte sie in dem Text zwar nicht, dafür aber in ihren 1979 in der Schwarzen Botin erschienenen Anmerkungen zum Holocaust. Weiter Beiträge zum Faschismus und Nationalsozialismus, die von Vukadinović in den vorliegenden Band aufgenommen wurden, stammen von Christa Reinig und der Italienerin Maria Antonietta Macciocchie, wobei es sich bei den Texten letzterer allerdings nicht um Originalbeiträge für die Zeitschrift handelt.

Einer anderen Form der Banalität wandten sich Elfriede Jelineks untersuchungen zu udo jürgens liedtexten zu, in denen schon ihre später zur Perfektion gebrachten literarischen Verfahren anklingen. Gerburg Treutsch-Dieter wiederum interpretierte ein Märchen der Gebrüder Grimm, in dem „ein Mann eine Frau nimmt und durch die Ehe diszipliniert“ als geschlechterspezifischen „Kampf zwischen Klugheit und Gescheitheit“, wobei ihre Textanalyse vier oder fünf Mal so lang ausfällt wie das Märchen selbst. Ursula Krechels Interesse galt hingegen der klassischen Literatur. In einem Text über die Beziehung zwischen Karoline von Günderrode und Friedrich Creuzer beklagte sie, dass Günderodes tragischer Suizid sie „bekannter [machte] als ihr literarisches Werk insgesamt“. Diese „Schattenstellung“ habe es „nicht verdient“. Sarah Schuhmann erklärte, warum „Frauenkunst“ ein „fatales Wort“ ist, und variierte eine Erkenntnis von Simone de Beauvoir, indem sie konstatierte, „[g]eboren wurden wir nicht durch unsere Mütter, sondern durch unsere Erfahrungen“. Der fast durchgehende satirische Zungenschlag der Zeitschrift trat in Brigitte Classens Beitrag über Das normale Liebesleben hervor, in dem sie süffisant festhielt: „Es mag zwar bei der herrschenden Konkurrenz Penisneid geben, sicher jedoch nicht bei Frauen“. Branka Wehowski wiederum schmähte den Suhrkamp Verlag als „Trutzburg männlicher Autoren“ und Roswitha Kaever wusste, was eine Frau tun muss, um sich „zur Bürokratin zu emanzipieren“.

Erfreut über den „Spaß für intellektuelle Frauen“ besprach Silvia Bovenschen Christa Reinigs dennoch „ernstzunehmendes Buch“ Entmannung, dessen Autorin wiederum einen veritablen Verriss von Klaus Theweleits Männerphantasien verfasste, in dem sie den Autor des Antifeminismus und der Misogynie bezichtigte. Zudem habe er „die probleme der männlichen homosexualität nicht gerade mit löffeln gefressen“.

Hoch abstrakt, etwas dunkel und wenig anschlussfähig ist hingegen Eva Meyers Theorie der Weiblichkeit im Januarheft 1978, deren „textuelle[r] Ausgangspunkt“ zunächst Julia Kristevas Text matière, sens, dialetique bildet, zu dem im Verlauf der weiteren Argumentation Schriften des frühen Marx, Jaques Derridas und des philosophischen Außenseiter Gotthard Günther treten.

Über Untersuchungen, Essays, Pamphlete, Glossen und andere Beiträge hinaus, die sich nicht immer einem Genre oder auch nur einer Textsorte zuordnen lassen, bot die Schwarze Botin auch fiktionale Texte: Lyrik, Prosa und Dramen. Von ihnen hat Vukadinović etwa eine scene aus einem aufgegebenen anracho-feministischen musical frei nach der vorlage des aristophanes von Ginka Steinwachs mit dem Titel Lysistrata 75 und eine scharfe Satire von Gisela Elsner auf den kolonialen Tourismus Afrikareisender ausgewählt. Die Lyrik konnte hingegen schon einmal leicht pennälerhaft daher kommen wie Elfride Gerstls vögelfrei.

Der Herausgeber des vorliegenden Bandes hat die Botinnen-Beiträge sinnvoller Weise nicht etwa chronologisch, sondern die nonfiktionalen thematisch angeordnet und rubriziert, die fiktionalen nach Textsorten. Bedauerlich ist hingegen, dass sie „für diese Anthologie durchgesehen und teilweise sprachlich leicht angepasst“ wurden. Denn es mindert den dokumentarischen und damit wissenschaftlichen Wert des Bandes. Hinzu kommen einige Tippfehler, die wohl auf Fehllesungen eines Scanners zurückzuführen sein dürften, der etwa wiederholt ein t als l und ein l als i las, was zu Wörtern wie „Eigenkörperlichkeil“ führt oder aus einem sinnvollen „alten“ ein an dieser Stelle sinnfreies „allen“ macht. Manche dieser Fehllesungen nehmen sich sogar ganz lustig aus, so etwa, wenn von „Nonnen und Gesetzen“ statt richtig von ‚Normen und Gesetzen‘ die Rede ist. Erfreulich wiederum ist, dass am Ende der jeweiligen Texte „Namen und Ereignisse, die in manchen Artikeln fallen und heute nicht mehr geläufig sind“, kurz erläutert werden.

Ob es sich bei der Schwarzen Botin tatsächlich um „das bedeutendste feministische Periodikum deutscher Sprache“ handelt, wie Vukadinović  meint, mag dahingestellt sein, insbesondere wenn man die Periodika der Ersten Frauenbewegung einrechnet, ohne welche die Errungenschaft des Frauenwahlrechts wohl nicht denkbar wäre. Überhaupt, woran bemisst sich die Bedeutung einer Zeitschrift? An ihrer Wirkmächtigkeit, an originellen Ideen und innovativen Gedanken, am künstlerischen Auftritt? Im letzten Punkt sind die Texte und Graphiken der Schwarze Boten anderen feministischen Publikationen bis auf den heutigen Tag zweifellos weit voraus. Im ersten, der Wirkmächtigkeit, hingegen nicht. Fest steht jedenfalls, dass „[d]er Anspruch der Schwarzen Botin, aus der Frauenbewegung kommend vorrangig eine Kritik an dieser zu sein, […] alles Bisherige [übersteigt] und […] deshalb als historisch singuläres Unterfangen zu verstehen [ist]“.

Noch immer haben viele Beiträge für die Schwarze Botin nichts von ihrer sowohl analytischen wie polemischen Schärfe verloren. Dergleichen innerfeministische Kritik muss man heute – abgesehen vielleicht von verschiedenen Texten der radikalfeministischen Störenfriedas und einigen im Rahmen der Kreisch-Reihe des Quer Verlags erschienenen Publikationen – schmerzlich missen. Zu wünschen wäre daher, dass sich eine neue Schwarze Botin auf den Weg macht, um an den akademischen Schlaf zu rühren, der sich der feministischen Vernunft weithin bemächtigt hat, auf dass ihre Träume keine weiteren queer- und identitätspolitischen Ungeheuer gebären. Es täte not.

Titelbild

Vojin Saša Vukadinovic: Die Schwarze Botin. Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire 1976–1980.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020.
512 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783835337855

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