Junger Mann auf kleiner Fahrt – in Plattdeutsch
Gerhard Bohdes niederdeutscher Beitrag zur Arbeitswelt in der küstennahen Nordsee-Frachtschifffahrt der 1930er Jahre
Von Wolfgang Bühling
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAutor Gerhard Bohde, Jahrgang 1921, wuchs in Wyk auf Föhr auf und sollte nach der Schule eine Bäckerlehre absolvieren. Ihm stand jedoch der Sinn nach der See, für einen inselfriesischen Jungen keine Besonderheit. Es war seinerzeit durchaus noch üblich, die Seemannslaufbahn in der lokalen Küstenschifffahrt zu beginnen, bevor es dann auf weltweite Fahrt ging. Nun war allerdings die auf Föhr beheimatete Frachtschiff-Flotte in den 1930er Jahren nicht gerade modern. Nur eines der im Anhang des Bandes gelisteten Schiffe von 1938 war ein Neubau, die übrigen waren Jahrzehnte alt, mit „Preciosa“ von 1897 als Dinosaurier. Bohde bekam eine Heuer auf „Hermine“, einer 1910 in Martinshoek/Niederlande gebauten einmastigen Segelschute, die – wie alle alten Küstensegler Nordeuropas – nachträglich mit einem Glühkopfmotor ausgestattet worden war. Für das zu 49 Bruttoregistertonnen vermessende Schiff war nach der damaligen Schiffsbesetzungsordnung für die küstennahe Fahrt außer dem Schiffsführer nur ein weiteres Besatzungsmitglied vorgeschrieben, welches auch ein Schiffsjunge, somit auch ein Berufsanfänger, sein durfte. Und so fuhr Bohde von August 1936 bis Oktober 1938 unter Schipper Carl Andresen, der gleichzeitig der Eigner des Fahrzeugs war, als „Stüermann“, so die plattdeutsche Bezeichnung für den zweiten Mann an Bord der im Volksmund „Klütenewer“ genannten Kleinschiffe. Dabei war „Steuermann“ reichlich hoch gegriffen, denn bei einem solchen handelt es sich – zumindest in der Großen Fahrt – um den Inhaber eines nautischen Patents und den Stellvertreter des Kapitäns. In Wirklichkeit war Stüermann Gerhard Mädchen für alles an Bord. Neben dem Fahrbetrieb inklusive Segelsetzen fielen für „een Lüüd“ Arbeiten in der Schiffskonservierung und -reinigung an. Das Schiff musste lade- und dann wieder seeklar gemacht werden. Die Ladung musste gestaut und gelöscht werden, auch hier war die Mitarbeit von „een Lüüd“ angesagt. Auch als Hilfsmaschinist war er gefragt und heizte mit zwei Lötlampen die Glühköpfe des Motors an, damit Schipper Andresen die zweizylindrige Maschine mithilfe des gewaltigen Schwungrads anwerfen konnte. Überdies fiel ihm, wie in der nordeuropäischen Küstenschifffahrt üblich, als Schiffsjungen die Aufgabe des Kochs zu. In der dänischen Küstenschifffahrt wurde damals der „Moses“ ausdrücklich als „kok“ angemustert. Für die Arbeit in der Kombüse hatte Gerhard keine Vorkenntnisse, so dass den Gerichten anfänglich kein gutes Gelingen beschieden war. Nach einiger Zeit fragte der Kapitän nicht mehr „is dat anbrennt?“, sondern „is dat dull anbrennt?“ und begab sich im letzteren Fall in den nächstgelegenen Krug.
Der Band ist gewürzt mit derlei humoristischen „döntjes“ und insgesamt von einer versöhnlichen – vielleicht hie und da von einer allzu versöhnlichen – Diktion geprägt. Denn die Härte des Arbeitsalltags und die spartanischen Lebensbedingungen an Bord sind auch dann nachvollziehbar, wenn sie in Bohdes Erinnerungen nicht explizit angesprochen werden. „Hermine“ hatte keinen Decksmotor, Ankerwinde und Ladegeschirr mussten mit Muskelkraft bedient werden. In den damals noch strengen Wintern fiel dem Moses die Aufgabe zu, das Schiff vom Eis frei zu halten, während sich der Schiffer auf Landurlaub begab. Es gab an Bord keinerlei sanitäre Einrichtungen, die „Entsorgung“ wurde auf geradezu mittelalterliche Weise erledigt.
Kaptein un een Lüüd erschien erstmals 1995 im Hinstorff Verlag Rostock und wurde auf Betreiben der Nachfahren des 2010 verstorbenen Autors neu aufgelegt. Zahlreiche historische Abbildungen bereichern die textidentische Neuausgabe von Bohdes Erinerungen, darunter die vom Autor selbst gefertigten damaligen Zeichnungen der seinerzeitigen Wyker Küstenschiffe.
Die Edition der Erstausgabe erfuhr eine sprachwissenschaftliche Begleitung seitens des Bremer Instituts für Niederdeutsche Sprache. Das Nachwort aus der Feder von Ulf-Thomas Lesle, damals Mitarbeiter dieses Hauses, wurde auch der vorliegenden Neuausgabe beigegeben. Hieraus sei zitiert:
Die sachlich-genaue, die plattdeutsche Sprachwelt der Küstenschifffahrt spiegelnde Erzählweise Bohdes, keine Frage, faszinierte mich. Hier war etwas erzählerisch geformt, wonach ich in der deutschsprachigen Seefahrtliteratur bisher vergeblich gesucht hatte. Was gleichermaßen frei war von dem verherrlichenden, männlichen Heroismus ‚Seefahrt tut not‘ wie von den kleinmalerisch-romantisierenden Idyllen unter dem Rubrum ‚Wind in de Seils‘. Nein, Bohde erzählte im erinnernden Aufarbeiten seiner ‚provinziellen‘ Herkunftswelt knapp und präzise vom Alltag an Bord.
Bohdes Seefahrtbericht ist als ein klassisches Beispiel von „oral history“ nicht nur ein in klare Konturen gestochenes Zeitbild eines historischen Abschnitts der Geschichte der nordfriesischen Inseln und der dortigen maritimen Arbeitswelt. Er ist zugleich eine der letzten bodenständigen und authentischen Dokumentationen eines Idioms, welches – allen populären und sprachwissenschaftlichen Bemühungen zum Trotz – wohl einer alles gleich machenden, anglizismensüchtigen Weltsprache zum Opfer fallen wird.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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