Traumwelt

Mit „Der Traummeister“ von Angela und Karlheinz Steinmüller erschien dieses Jahr eine Neuauflage eines Fantasyromans der späten DDR

Von Gerd BedszentRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerd Bedszent

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Mathematikerin Angela Steinmüller und der Physiker Karlheinz Steinmüller zählten zu den beliebtesten Science fiction-Autoren der späten DDR – ihr gemeinsam geschriener Roman Andymon (erstveröffentlicht 1982) hatte Kultstatus. In dem Buch geht es um die Erschließung eines bis dahin unwirtlichen Planeten durch Siedler, die als Kinder in einem Raumschiff geboren und aufgewachsen sind. Der später entstandene Episodenroman Spera des Autorenpaares enthält ein Konglomerat von Bruchstücken aus der Geschichte eines anderen Planeten, der Ziel eines ähnlichen Siedlerschiffes war. Diese Ankömmlinge hatten es angesichts der örtlichen Bedingungen jedoch nicht vermocht, ihr wissenschaftlich-technisches Niveau aufrechtzuhalten. Nach einem Absturz der neugeschaffenen Zivilisation in mittelalterliche Verhältnisse folgte erst viel später eine Renaissance von Wissenschaft und Technik.

Der Traummeister handelt ebenfalls in dieser unwirtlichen Welt. Zentrum der bedeutenden Stadt Miscara, gelegen zwischen Wüsten und vergletscherten Bergen, ist der während der Besiedlungsphase errichtete Traumturm, einstmals Sitz des Traummeisters. Tatsächlich hat die Obrigkeit des Stadtstaates die Kunst des Träumens aber längst verlernt und hält ihre Herrschaft durch nackte Gewalt aufrecht. Als die Stadt inmitten eines von den herrschenden Patriziergeschlechtern brutal vorangetriebenen Industrialisierungsprogramms von Wirtschafts- und Umweltkrisen heimgesucht wird, erinnern sich zahlreiche Einwohner sehnsüchtig an das das vergangene kristallene Zeitalter. Da taucht plötzlich ein Fremder namens Kilian auf, der behauptet, immer noch Träumen zu können. Anstelle von Visionen über durch Gehorsam und Fleiß geschaffenem Reichtum produziert er jedoch Albträume von der monströsen Macht einer Maschinerie, die gerade geschaffen wird und künftig über das Leben aller Einwohner gebietet. Ist Kilian nun tatsächlich der verrückte Scharlatan, als den ihn die Patriziergeschlechter sogleich darstellen?

Der Traummeister wurde im Jahre 1990 erstveröffentlicht und galt nicht zu Unrecht als politischer Schlüsselroman zum 1989 erfolgten politischen Umsturz in der DDR. Die jetzt vorliegende Romanfassung wurde vom Autorenpaar um ein abschließendes Kapitel ergänzt. Das Buch endet nun mit dem endgültigen Ende der Traumzeit und dem Anschluss des Stadtstaates Miscara an ein benachbartes Großreich. Eine Entwicklung, die dem Ende der DDR entsprach und die dem Autorenpaar in der Form, wie sie stattfand, ganz offensichtlich nicht behagte. Im ebenfalls neu geschriebenen Nachwort schildern sie die Entstehung des Romans, ihre umfänglichen Recherchen im Vorfeld des Schreibens und nicht zuletzt ihre eigenen Träume, die dieses Werk überhaupt erst ermöglichten.

Der Memoranda-Verlag ist seit seiner Gründung bemüht, eine komplette Werkausgabe der Steinmüllers herauszubringen. Dieser Roman ist ohne Zweifel ein wunderbar lyrisches und bis heute erstaunlich hellsichtiges Plädoyer für die Notwendigkeit der politischen Utopie – auch und erst recht in dunklen Zeiten.

Titelbild

Angela Steinmüller / Karlheinz Steinmüller: Der Traummeister. Ein Spera-Roman.
Memoranda Verlag, Berlin 2020.
322 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783948616366

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