Skandale um Walter Hasenclever

Jürgen Lauer gelingt eine vorbildliche Edition der Komödie „Ehen werden im Himmel geschlossen“

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hinter dem ein wenig sperrig-schwerfälligen Titel Rettungsversuch für eine umstrittene Komödie. Eine ,olympische‘ Fassung der Komödie „Ehen werden im Himmel geschlossen“ versteckt sich ein wunderschönes Büchlein, das in zwei Textfassungen eines der skandalträchtigsten Stücke der ausgehenden Weimarer Republik, Walter Hasenclevers Komödie Ehen werden im Himmel geschlossen (Erstdruck 1928), präsentiert.

Nachdem der Aachener Schriftsteller Hasenclever bereits in jungen Jahren entscheidend die literarische Entwicklung des Expressionismus, ebenso in seiner Lyrik wie mit dem expressionistischen Drama katexochen Der Sohn (1914), mitgeprägt hat, avanciert er in den 20er und 30er Jahren dann zu einem erfolgreichen Stückeschreiber von internationalem Format. Und auch als kundiger Zeitbeobachter wie -diagnostiker erwirbt er sich mit seinen Pariser Feuilletons zwischen 1924 und 1928 ein beachtliches Renommee. 

Hasenclevers Komödie Ehen werden im Himmel geschlossen – das belegen insbesondere die in Auszügen mitgeteilten Rezensionen aus der nationalen wie internationale Presse, auf die Jürgen Lauer dank der unermüdlichen Kärrnerarbeit des Philologen und Bibliographen Gregor Ackermann zurückgreifen kann („Ackermann hat insgesamt bislang 440 Dokument [sic!] zur zeitgenössischen Rezeption erfassen können“) – war als ‚das‘ Skandalstück Ende der 20er Jahre ebenso erfolgreich wie angefeindet. Allein in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin wird das Stück 98mal in der Spielzeit 1928/29 aufgeführt; in Frankfurt dagegen – wie dann auch in der Mark Brandenburg – ruft die Inszenierung den protestantischen Klerus auf den Plan: Der Vorwurf der Gotteslästerung wird erhoben. Stinkbomben und Tränengas erzwingen den Abbruch einer Vorstellung – Dinge, die sich dann noch weiter zuspitzen, bis schließlich Aufführungsverbote ausgesprochen werden, in Deutschland, Österreich, aber auch in Schweden, Dänemark und Holland. Um seinen Kritikern, wozu Seite an Seite kirchlich-konservative Kreise neben NS-Vertretern sich in trauter Eintracht befinden, den Wind aus den Segeln zu nehmen, scheint sich Hasenclever, wie einer Notiz in der Wiener Allgemeinen Zeitung Sechs-Uhr-Blatt (13. 6. 1930) zu entnehmen ist, dazu entschlossen zu haben,

eine Neufassung des Stücks vorzunehmen, in welcher die nach Ansicht der Gerichtsbehörden begangene Gotteslästerung dadurch vermieden wird, dass nunmehr an Stelle des Lieben Gottes, der Magdalena und des Petrus Jupiter, Venus und Peter Styx die handelnden Personen sind.

Aus dem Himmel wird nun der Olymp, und das christliche Personal wird durch Figuren der griechischen Mythologie ersetzt. Dabei kann Lauer – wieder mit dem ihm von Ackermann zur Verfügung gestellten Material – den Nachweis führen, dass es sich insgesamt um vier Bühnenfassungen der ‚olympischen Variante‘ handelt, von der freilich bislang nur eine einzige (inzwischen im Besitz des Marbacher Archivs befindliche) aufgetaucht ist, die Lauer nun abdruckt und mit der ursprünglichen Druckfassung von 1928 vergleicht. Fraglich bleibt allerdings, ob Hasenclever selbst diese Überarbeitung vorgenommen hat oder ob diese nicht vielmehr von Dritten (etwa seiner Schwester, Vertrauten und zeitweiligen Mitarbeiterin Marita) hergestellt worden ist. Hübsch für den Leser zu beobachten ist, dass und wie – vor allem im 1. Akt der Komödie, der ganz im Himmel resp. Olymp spielt – die Veränderungen erfolgen: Da wird aus dem verniedlichten „Peterchen“ (für Petrus) „Gany“ (für Ganymed), aus der Hl. Katharina die Hebe, werden statt der Kirchenväter die Schriften Platons gelesen und unterläuft dem Bearbeiter ein solcher Lapsus, dass an einer Stelle Zeus „an das sechste Gebot“, also ans Alte Testament, gemahnt. Dennoch fällt Lauers Einschätzung der Überarbeitung der Komödie eher ernüchternd aus; denn dem ursprünglich satirischen Charakter des Stücks – die „geltenden Traditionen der christlichen Hierarchie, d(ie) geltenden Moralauffassungen und verbindlichen Verhaltensnormen gemäß kirchlicher Setzungen“ zu attackieren – ist der Zahn gezogen worden, der „Knall-Effekt“ ist dahin.

Vorbildlich ist diese Edition deshalb zu nennen, weil es ihr gelingt, auf philologischem Terrain einige Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten, die die Hasencleversche Werkausgabe im Blick auf die Überlieferungslage des Stücks enthält (vgl. Walter Hasenclever: Sämtliche Werke. Bd. II, 2. Stücke 1926-1931. Bearbeitet von Annelie Zurhelle und Christoph Brauer. Mainz 1990. S. 388), zu klären und weiterhin durch einen akkuraten Textvergleich zwischen der Druckfassung  von 1928 und dem vorliegenden Theaterdruck deutlich zu machen, wie eine (uns heute als vergleichsweise harmloses Boulevardstück anmutende) Komödie unter dem Druck einer aufgeheizten politischen und gesellschaftlichen Atmosphäre – hingewiesen sei auf die von Lauer auf zwanzig Seiten wiedergegebenen Rezeptionszeugnisse von links bis rechts außen – verändert worden ist: So heißt es z. B. unter dem Titel Bodenlose jüdische Frechheit in Der Nationalsozialist (1. 12. 1928):

Wer das Machwerk Hasenclevers, mit dem er sich selbst beschmutzt statt rechtfertigt, liest, wird nicht umhin können, seine Anschauung, Hasenclever sei Halbjude, dahingehend zu ändern, dass er Volljude ist. – Und zwar ein typischer – Marke Berliner Asphalt.

So der O-Ton des Faschismus, der – an der Macht – seinen Worten alsbald schon Taten (Bücherverbrennungen/ Verfolgungen/ Inhaftierungen/ Ermordungen) folgen lässt und auch Hasenclever ins französische Exil zwingt, wo sich dieser im Lager Les Milles in Aix-au-Provence  aus Furcht vor einer Ergreifung durch die Nazis in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1940 mit einer Überdosis Veronal das Leben nimmt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Walter Hasenclever / Jürgen Lauer: Rettungsversuch für eine umstrittene Komödie. Eine ,olympische‘ Fassung der Komödie „Ehen werden im Himmel geschlossen“.
Vorgestellt und in Synopse mit der Originalfassung kommentiert von Jürgen Lauer.
Verlagsbuchhandlung Dr. Wolff GmbH, Aachen 2020.
161 Seiten, 11,- EUR.
ISBN-13: 9783922697374

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch