Die Pigmente der Kultur

Zum Rassismus im Literaturbetrieb

Von Gerhard LauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Lauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Musical Hamilton tut es, und Netflix’ Weihnachtsserie Bridgerton tut es ebenfalls: auf Hautfarben und ihre gängige Zuordnung zu historischen Figuren wenig zu geben. Im Musical und auf Netflix hat die Haut der amerikanischen Gründerväter alle möglichen Pigmentierungen und die deutsche Prinzessin aus Mecklenburg darf eine schwarze Königin Charlotte sein. Die Utopie, es gäbe eine Welt ohne die Fratze des Rassismus – wenn auch noch mit ein paar Restproblemen wie der Gründung einer Nation und der standesgemäßen Heirat – wird in solchen Stücken Wirklichkeit. So schön und nützlich zugleich können also die Künste sein.

Der Erfolg solcher Stücke wie Hamilton und Bridgerton muss daher die Herzen in den Theatern und Deutschstunden, Feuilletons und Fernsehsendern höherschlagen lassen. Die Künste überwinden Vorurteile – zumindest fast, denn hinter den Kulissen ist die Realität der schönen Künste nur selten so farbenblind wie sie sich selbst gibt. Black Lives Matter steht zwar auf den Fahnen der Kultur, aber bestimmt nur selten ihre Praxis.

Wie der amerikanische Kulturbetrieb jenseits von Oprah Winfrey und Toni Morrison tatsächlich aussieht, das hat gerade der Literaturhistoriker und Digital Humanist Richard Jean So genauer untersucht. So und sein Team haben sich den Literaturbetrieb als den Teil der Kultur vorgenommen, der in der Selbstwahrnehmung der amerikanischen Verlage und ihrer Autoren als besonders diversifiziert gilt. Hat nicht Colson Whitehead den Pulitzer-Preis gleich zweimal gewonnen und auch noch den National Book Award? Tatsächlich überdeckt, wie So zeigen kann, der vergleichsweise hohe Anteil an People of Color beim Pulitzer-Preis oder dem National Book Award die Realitäten im Buchgeschäft. Auf der New York Times Roman-Bestsellerliste 2020 sind gerade einmal 22 von 220 Autoren farbig, während der Bevölkerungsanteil der People of Color in den USA bei knapp 40 Prozent liegt. Auch die unter dem Hashtag #PublishingPaidMe von den Autorinnen und Autoren veröffentlichten Vorabhonorare zeichnen das Bild einer scharfen Segregation in der Bezahlung. Farbige Autoren erhalten deutlich geringe Vorauszahlungen als ihre weißen Kollegen.

Belastbare Zahlen fehlen gleichwohl und so hat die Arbeitsgruppe um Richard Jean So die Titel und Autoren der englischsprachige Erzählungen und Romane zwischen 1950 und 2018 aus dem weltweiten Bibliothekskatalog, dem WorldCat, gesammelt. Maßgabe bei der Datenerhebung war, dass nur Bücher für die Analyse berücksichtigt wurden, die in mindestens zehn Bibliotheken stehen, um näherungsweise davon ausgehen zu können, dass diese Neuerscheinungen tatsächlich Teil des kulturellen Lebens sind. Etwas mehr als achttausend Titel wurden identifiziert. Für die allermeisten Bücher konnte in aufwändiger Handarbeit die ethnische Zugehörigkeit der jeweiligen Autoren entsprechend den in den USA gängigen Kategorien ermittelt werden. Am Ende wurden für die datenintensive Analyse etwas mehr als siebentausend Bücher aus mehr als einem halben Jahrhundert englischsprachiger Literatur-Neuerscheinungen ausgewertet, bei denen hinreichend genau die ethnische Zugehörigkeit der Autoren festzustellen war.

Die Ergebnisse der anschließenden Datenauswertung sind ernüchternd. 95 Prozent dieser mehr als siebentausend Büchern haben einen weißen Autor. Nicht-hispanische Weiße sind die Autoren von 89 Prozent der Bücher, machen aber nur etwa 60 Prozent der gegenwärtigen US-Bevölkerung aus. Zwischen 1967 und 1983 war die spätere Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison Lektorin bei Random House. Unter ihr stieg der Anteil schwarzer Autorinnen und Autoren auf über drei Prozent der im Verlagsprogramm publizierten mehr als achthundert Erzählwerke. Der schwarze Bevölkerungsanteil lag in diesen Jahren bei etwa 11 bis 12 Prozent. Kaum dass Morrison Random House verlassen hatte, fiel der sowieso geringe Anteil der nicht-weißen Autoren deutlich, wie Richard Jean So vorrechnet. Von den dann zwischen 1984 und 1990 vom selben Verlagskonsortium veröffentlichten etwa 500 Roman-Neuerscheinungen waren gerade einmal zwei von schwarzen Autoren verlegt worden, darunter Morrisons Beloved.

Die Gründe für diese mangelnde Fairness in der Verlagskultur dürfte unter anderem etwas mit der Zusammensetzung von Verlagsleitungen und Lektoraten zu tun haben. Die Chefs der vier den Weltmarkt bestimmenden Publikumsverlage sind weiß, mehr als 85 Prozent der in der amerikanischen Verlagsindustrie Beschäftigen sind es ebenfalls und die tendieren offenbar dazu, dass Schwarze über schwarze Themen schreiben können, um verlegt zu werden, mehr aber nicht. Damit verfestigt der Literaturbetrieb die Typisierung von Autoren. Autoren außerhalb ihrer ethnischen Zuordnung wahrzunehmen, fällt also auch dort schwer, wo man sich im liberalen Milieu der eigenen Offenheit völlig sicher zu sein glaubt. Dass einige Verantwortliche in der Verlagsindustrie das – nicht nur in den USA – ändern wollen, ist ermutigend. Schauen wir uns die Zahlen in den nächsten Jahren genauer an.

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Richard Jean So: Redlining Culture. A Data History of Racial Inequality and Postwar Fiction.
Columbia University Press, New York 2021.
288 Seiten, 26,95 EUR.
ISBN-13: 9780231552318

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