Endlich Gegenwart

Der dänische Schriftsteller Jonas Eika bringt in seiner Erzählungssammlung „Nach der Sonne“ das Hier und Jetzt zum flimmern

Von Jonas HeßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Heß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt junge, zeitgenössische Literatur, die sich liest, als hätte man es eigentlich mit Literatur aus dem 20. Jahrhundert zu tun. Bekannte Figuren, geläufige Thematiken, irgendwie vertraute Kompositionen und Pointen. Darin liest man dann „fuck“, „shit“ und natürlich auch oft „egal“, um irgendwie klar zu machen, dass man ja im 21. Jahrhundert – mit diesem ganz besonderen „sound“ – und jung und frisch sei. Das wirkt dann, mittlerweile zwei Jahrzehnte nach dem Jahrtausendwechsel, meist doch irgendwie befremdlich. 

Die fünf Erzählungen des dänischen Schriftstellers Jonas Eika, die in der kleinen Sammlung Nach der Sonne zusammengefasst sind, machen solche Fehler nicht. Wer sie liest, merkt schnell, dass hier Vieles tatsächlich neu, unverbraucht, erfrischend ist. 

Eika behandelt das Hybride, Zweischneidige, das nicht immer Eindeutige. Seine Figuren sind Menschen, die in unserem Alltag oft weniger sichtbar sind, prekär Beschäftigte, Menschen ohne Arbeit, Menschen ohne festen Wohnsitz. Seine Themen aber sind allgegenwärtig. So geht es um die vielfältigen Möglichkeiten der Liebe, das Leben am Rande der Gesellschaft, die Sinnlosigkeit moderner Fließbandarbeit – sei es in der Bank, in Produktionshallen, in Serverräumen – und um Ausbeutung bis an die körperlichen und seelischen Grenzen und darüber hinaus.

Was Eikas Geschichten jedoch so besonders lesenswert und überraschend macht, ist ihr langsames, manchmal nur punktuelles Abgleiten ins Fantastische, Surreale – bei aller Verankerung in unserer Lebenswirklichkeit. Bankangestellte, die in den Ruinen ihres Geldturms weiterarbeiten; ein Toter, der durch ein blutiges kollektives Analpenetrationsritual mit Sonnenschirm wiedererweckt wird; Arbeiter, die gleichermaßen gläubig wie abhängig, und schließlich tot und unfreiwillig Organspender sind. Meist liegt schon von Beginn ein eigenartiger, traumartiger Nebel über den Geschichten, bevor dann das Fantastische ganz selbstverständlich in die Handlung einbricht. Diese Elemente verleihen ihnen etwas Allegorisches. Sie laufen jedoch nie Gefahr, ins Abgedroschene abzurutschen, da Eikas bunte Sprache und Assoziationen sie stets davor bewahren.

So entsteht eine kleine Sammlung kreativer Geschichten, die aus verschiedenen Perspektiven und in verschiedenen Ländern verschiedene Thematiken verhandeln – aber stets so klar verknüpft mit dem Hier und Jetzt sind wie überdeutlich fiktionalisiert. Moderne Märchen in schrillen Farben. Eikas Geschichten geraten dabei dennoch nicht ins Bonbon-artige, Überzuckerte. Über seinen Geschichten liegt die grelle Tristesse der Post-Postmoderne.

Nun kann man den Texten zwar vorwerfen, hier und da etwas zu sehr auszustellen, wie crazy sie sind. Allerdings ist dies meist mehr als reiner Selbstzweck, indem es sich in einem sinnvollen Zusammenhang zur Handlung lesen lässt. So verkommt das Ganze gerade nicht zur Pose. Vor diesem Hintergrund ist durchaus nachvollziehbar, dass Nach der Sonne mit dem Literaturpreis des Nordischen Rates prämiert wurde – der wichtigsten Auszeichnung für skandinavische Literatur. Man kann dieser Entscheidung nur beipflichten.

Titelbild

Jonas Eika: Nach der Sonne. Erzählungen.
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein.
Hanser Berlin, Berlin 2020.
160 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783446267824

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