Mit den Waffen einer Frau

Zu Claus Eckermanns Neuübersetzung von Shakespeares „A Lover’s Complaint“

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das schmale Bändchen ist mit einer anspielungsreichen Titelillustration der Illustratorin, Sozialwissenschaftlerin und Herausgeberin Sina Zurhausen ausgestattet. Der Text des folgenden Langgedichts ist in englischer Sprache mit paralleler deutscher Übersetzung gehalten. Er wird von einem knappen und kenntnisreichen Kommentar des Übersetzers Claus Eckermann zu seiner internen Emotionslenkung sowie einem kurzen, aber informativen Nachwort von Christa Jansohn begleitet. Darin werden ebenso Fragen der Autorschaft des Gedichts und seiner Editions- und Rezeptionsgeschichte angesprochen wie dessen zeitliche Einordnung in Shakespeares Werk vorgenommen, seine literarischen Vorbilder diskutiert und eine kurze Werkinterpretation angeboten. Zum Abschluss laden eine Auswahl von aktueller Sekundärliteratur sowie ausgewählte Übersetzungen zur weiteren Auseinandersetzung ein.

Shakespeares Gedicht schildert aus Sicht einer jungen Frau deren Verführung durch einen Jüngling, die sie einem alten Hirten klagt. Hiermit gehört es zur Gattung der seit der Klassischen Antike bekannten Bukolik. Es umfasst insgesamt 325 Verse und ist im von Geoffrey Chaucer entwickelten Rhyme Royal gehalten, d. h. es gibt jeweils sieben Verse im sogenannten heroic verse, dessen Reimschema ababbcc sich besonders gut für epische Dichtungen eignet. Das Gedicht wurde erstmals 1609 am Schluss der Gesamtausgabe von Shakespeares Sonetten gedruckt, was dessen Autorschaft nahelegt. Sie ist jedoch nicht abschließend geklärt und die Dichtung steht an Bekanntheit auch weit hinter diesen zurück. Dies zeigt sich namentlich darin, dass im Anhang lediglich zwei frühere Übersetzungen, eine von 1993 und eine von 2003 angegeben werden, was eine Neuübersetzung geboten erscheinen ließ, insbesondere da das Gedicht sich einer kontinuierlichen Rezeption in der englischen Literaturwissenschaft erfreut. Mit den Sonetten verbindet das Gedicht vor allem der spielerische Umgang mit den überlieferten Konventionen der Liebesklage, aber auch die Brechung der Erwartungshaltung der Leserin und des Lesers durch den überraschenden Schluss.

Wie ein Vergleich zwischen Original und Übersetzung offenbart, bleibt der Übersetzer dem Text und Reimschema möglichst nah. Das Gedicht ist inhaltlich in vielerlei Hinsicht kontrastierend aufgebaut, was eine große affektive Spannung bewirkt. Diese Gegensätze werden aus den Sprecherrollen des jungen Mädchens und des sie verführenden Jünglings und deren Geschlechterstereotypen entwickelt sowie dem Mädchen und dem alten Hirten und dem sich daran knüpfenden übergreifendem Thema von jugendlicher Leidenschaft und der Entsagung im Alter. Durch Shakespeares kunstvolle Emotionslenkung werden die Leserin und der Leser bis zum Klimax – d. h. der Verführungsszene – geführt, die von der jungen Frau mit allen Facetten dramatischen Sprechens geschildert wird und auch eine Charakterisierung des Jünglings umfasst. Jedoch wird eine einseitige Parteinahme zugunsten der betrogenen jungen Frau vermieden, was die Leserin und den Leser bis zuletzt in atemloser Spannung verharren lässt und durch die einfühlsame Übersetzung noch unterstrichen wird. Das Verdienst von Claus Eckermann ist es, uns einen neuen Zugang zu diesem wenig bekannten Werk Shakespeares ermöglicht zu haben.

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William Shakespeare: A Lover’s Complaint. Einer Liebenden Klage.
Aus dem Englischen von Claus Eckermann.
NOA NOA Hörbuchedition, München 2020.
60 Seiten, 4,90 EUR.
ISBN-13: 9783932929953

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