Vom menschengemachten Übermenschlichen

Raphaela Edelbauer beschreitet mit „Dave“ einen neuen Weg der KI-Literatur

Von Vera KostialRSS-Newsfeed neuer Artikel von Vera Kostial

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Es tut mir leid, Dave. Aber das kann ich nicht tun.“ Mit diesen Worten setzt sich HAL 9000, der Computer an Bord der Discovery One, einem Raumschiff auf dem Weg zum Jupiter, über die Anweisung des Astronauten Dave hinweg. Die unheimliche, leicht monotone Stimme der Künstlichen Intelligenz aus Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968) erhebt sich gegen ihren menschlichen Anwender, und nur durch die Zerstörung HALs kann Dave sich schlussendlich retten. Mehr als einmal wird man bei der Lektüre von Raphaela Edelbauers Dave an diese Konfrontation zwischen Mensch und KI erinnert. Bei Edelbauers Dave allerdings handelt es sich nicht um einen fehlbaren und sterblichen Menschen, sondern um die Künstliche Intelligenz, an deren Fertigstellung mit Hochdruck gearbeitet wird. Das genaue Aussehen des Computers bleibt diffus; „schwarz, monolithisch“ wird er einmal beschrieben, eine unzweifelhafte Referenz auf die schwarzen Monolithen, die in Kubricks Film als mysteriöse Verkörperungen eines wie auch immer gearteten Übermenschlichen auftauchen. Übermenschlich soll auch Dave in seinen Fähigkeiten werden: als erste KI, die nicht nur lernfähig ist und sich eigenständig weiterentwickelt, sondern zu echtem Bewusstsein kommt und durch ihre riesige Rechenleistung der menschlichen Spezies überlegen sein wird. 

Nichts liegt dann mehr in menschlicher Hand, die Fehlbarkeit von Entscheidungen ist aufgehoben. Und mit der Bewusstwerdung der Künstlichen Intelligenz kommt es zu einer Art rückwärtsgewandten Aufklärung des Menschen: der Eingang des Menschen in die selbstkonstruierte Unmündigkeit sozusagen, die totale Abhängigkeit vom menschengemachten Übermenschlichen, das sich – wie im Falle von HAL – gegen seine menschlichen Urheber richten kann. Das ist einigermaßen unheimlich, doch gibt es ja in der Fiktion den klassischen – männlichen – Helden, der im Namen der Menschheit das Schlimmste verhindert. Ein solcher scheint zunächst auch Syz zu sein, aus dessen Ich-Perspektive Edelbauers Roman erzählt wird. Er ist ein einfacher Assistent des Labors, in dem Dave entwickelt wird. Bei diesem Labor handelt es sich um eine vollkommen von jeglichem Außen abgeriegelte eigene Welt, in der die Menschen nach einer Art Kasten in verschiedenen Stockwerken leben und die ihnen zugeteilten Aufgaben erfüllen; immer mit dem Ziel der Vollendung Daves. Syz ist wie so viele andere Assistenten damit beschäftigt, Scripts zu schreiben, abertausende in die KI einzuschreibende Handlungsmuster. Doch diese reichen nicht, um Dave eine Persönlichkeit zu verleihen, ein menschliches Vorbild muss her – Syz wird ausgewählt, seine Erinnerungen in Dave einzuspeisen, auf dass aus seiner Blaupause Dave zum Leben erweckt werde: „Sie, mein Lieber, werden in die Geschichte eingehen, als das Subject Zero, das Modell, das eine neue Gesellschaft der kontrollierten Vernunft ermöglichen wird.“

Dass hinter dem leitenden Entwicklerteam allerdings böse Kontrollabsichten stecken könnten, bedient zunächst die Erwartungen an eine klassische Dystopie. So ist Syz erst einmal damit beschäftigt, Informationen zu sammeln über Geschichte und eigentliche Zwecke des Labors – immer mit der Gefahr, entdeckt zu werden von der omnipräsenten Überwachungssoftware Red Eccles, die unweigerlich an das rot glühende Auge von HAL erinnert. Und so wie sich in Kubricks Film Dave und sein Begleiter Frank vor dem Blick HALs in der Rettungskapsel verstecken – und dennoch dem roten Auge nicht entgehen können – so betreibt auch Syz ein aufwändiges Versteckspiel. Zusätzliche Barrieren bei seiner Mission stellen die üblichen Sicherheitsvorkehrungen dar: mehrfache Schleusen mit Zutrittskarten, Fingerabdruck- und Retinascans, aufwändig generierte Zugangscodes, etc.

Doch geht Dave über die klassische dystopische Erzählung deutlich hinaus: Die lineare, handlungsgetriebene Struktur wird immer wieder durchbrochen oder verlangsamt durch Bildbeschreibungen, Protokolle und aufwändige Erörterungen aus dem Bereich der Philosophie und Mnemotechnik. Sie reichern die Handlung mit einer Überfülle an Informationen an und führen durchaus zu Verwirrung, die sich erst ganz am Ende auflöst, wenn das eigentlich Innovative an Edelbauers Roman plötzlich offensichtlich wird. Wo bei früheren Erzählungen über Künstliche Intelligenz – wie auch in Odyssee im Weltraum – die Grenze zwischen Virtualität und Realität, zwischen Humanem und Künstlich-Technischem klar gezogen oder doch zumindest wieder herstellbar war, findet man in Dave nur noch ein Überlappen, Sich-Verschieben und Verzerren.

Mit Verschiebungen von Raum und Zeit spielte bereits Edelbauers für den Deutschen Buchpreis nominierter Debütroman Das flüssige Land (2019). Nach dessen historischer Thematik geht es in ihrem zweiten Roman um nichts weniger als die gesamte Geschichte des Universums, „von Ewigkeit zu Ewigkeit“, wie der Prolog umreißt. „Eine finale Apotheose und als deren Abschluss: DAVE.“ Bleibt zu hoffen, dass für Edelbauers schriftstellerische Karriere Dave noch nicht der Schlusspunkt ist.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Raphaela Edelbauer: Dave.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021.
432 Seiten, 25,- EUR.
ISBN-13: 9783608964738

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