Heldenkult oder Systemkritik?

In ihrer Dissertationsschrift „Arbeit im Bild” untersucht Agneta Jilek anhand eines programmatischen Themas die künstlerische Fotografie in der DDR

Von Steffen KrautzigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Steffen Krautzig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den Bohrhammer in der Hand, abgekämpft und schmutzig unter Tage, dennoch unermüdlich vorwärts strebend: Die kurz vor der DDR-Staatsgründung entstandene Fotografie des Bergarbeiters Adolf Henneke ist bis heute wie kaum eine anderes Bild tief im Gedächtnis vieler Ostdeutscher verankert. Das festgehaltene Ereignis, die „Normübererfüllung“ eines „Helden der Arbeit“ beim Abbau von Steinkohle, wurde inszeniert und instrumentalisiert. Das von Herbert Hensky aufgenommene Foto war in seiner vorbildhaften Aussage eindeutig und wurde im Arbeiter- und Bauernstaat DDR vielfach verbreitet und ideologisch genutzt. Für eine gründliche Untersuchung, die sich dem Motiv der Arbeit in der DDR-Fotografie in den 1980er Jahren widmet, ist das Henneke-Bild also ein hervorragender Einstieg. Denn bis zum Ende der DDR wird sich die Darstellung von Arbeit auch in der Fotografie stark wandeln. In ihrer Dissertationsschrift geht die Kunsthistorikerin Agneta Jilek nicht nur auf motivgeschichtliche Veränderungen ein, sondern erläutert anhand ausgewählter Beispiele und zahlreicher Quellen das komplizierte Geflecht staatlicher Vorgaben, die Mittel zur Kunstförderung und die in den späten DDR-Jahren immer größer werdenden Freiräume.

Die Abhandlung ist klassisch aufgebaut, fährt nach methodischen Vorüberlegungen und Begriffsdefinitionen chronologisch mit der Interpretation von in den 1950er bis in die späten 1980er Jahre entstandenen Einzelfotografien und größeren Fotoprojekten fort. Anhand der Beispiele wird schnell klar, dass auch im Bereich der DDR-Fotografie ein Schwarz-Weiß-Denken mit Propagandakunst auf der einen, freier oder unabhängiger Kunst auf der anderen Seite sehr häufig zu kurz greift. Besonders aufschlussreich sind dabei die Kapitel, in denen die Autorin erläutert, in welche staatlichen Strukturen Fotografinnen und Fotografen eingebunden waren und inwiefern sie vor allem in den 1980er Jahren Lücken innerhalb dieses Systems für sich nutzen oder sich ihm in einigen Fällen sogar ganz verweigern konnten. Die Rolle von Organisationen und Einrichtungen wie dem Verband der Bildenden Künstler, dem Kulturbund der DDR mit der Gesellschaft für Fotografie und der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig mit dem Diplomstudiengang Fotografie wird anhand von unterschiedlichen Personen sehr anschaulich geschildert und belegt. Auch weitere Besonderheiten wie die Vergabe von Aufträgen, das Zustandekommen von offiziellen Ausstellungen oder Veröffentlichungen, die Überwachung durch die Staatsapparate fallen dabei ins Gewicht. Im Anhang finden sich zudem Kurzbiografien von 26 erwähnten Fotografinnen und Fotografen. Denn auch in den geschilderten Fällen lassen sich bestimmte Ereignisse am besten anhand der beteiligten Personen, ihrer individuellen Tätigkeiten und Netzwerke darstellen. Da die Autorin Interviews führte, z. B. mit dem Fotografen Kurt Buchwald, und in zahlreichen bislang unveröffentlichten Originalquellen recherchierte, z. B. in den Akten des Kulturbundes, eignet sich ihre Arbeit mit einem beeindruckend umfangreichen Literaturverzeichnis als Nachschlagewerk oder Ausgangspunkt für die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit der DDR-Fotografiegeschichte.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die kunsthistorische Einordnung der vorgestellten Fotografien. So steht etwa das berühmte Henneke-Bild in der Tradition der russischen Avantgardefotografie der 1920er Jahre. Ohne die Instrumentalisierung und Politisierung der Kunst allgemein – vor allem bei dem im wahrsten Sinne des Wortes staatstragenden Thema Arbeit – zu vernachlässigen, deckt die Autorin Querverbindungen zur Fotografiegeschichte und interessante Parallelen zu westdeutschen und amerikanischen Strömungen auf. Die nachvollziehbaren Bezüge etwa zu August Sander, Helmar Lerski, Robert Frank, Edward Steichens Ausstellungsprojekt „The Family of Man“ oder sogar zur subjektiven Fotografie Otto Steinerts beweisen, dass Kunst in der DDR nicht im luftleeren Raum entstand.

Wie so viele bildende Künstler rieben sich auch die Fotografinnen und Fotografen an der starren Kunstdoktrin des Sozialistischen Realismus, konnten mit idealisierten und stereotypen Arbeiterhelden schnell nichts mehr anfangen. Ein kurzer Seitenblick auf Gemälde von Willi Sitte und Bernhard Heisig bietet sich bei dem Thema Arbeit an, hatten Malerinnen und Maler doch die gleichen kunstpolitischen Diskussionen zu führen. Anhand der vorgestellten Fotografien von Arno Fischer, Evelyn Richter, Christian Borchert und anderer, wird deutlich, wie qualitäts- und wirkungsvoll Foto-Kunst in der DDR trotz aller Restriktionen und Reglementierungen sein konnte. Spätestens ab den 1980er Jahren entzogen sich viele den staatlichen Vorgaben. Diese Bilder sind in ihrem Ausdruck so frei wie gleichzeitig im Westen entstandene Arbeiten.

Am Ende ihrer Untersuchung erläutert die Autorin das 1986–88 entstandene Fotoprojekt „Schlachthaus Berlin“ von Jörg Knöfel. Der Künstler hatte im VEB Fleischkombinat Berlin, dem größten Schlachthof der DDR, ungewöhnliche und verstörende Aufnahmen gemacht, die nicht nur als Zeichen des kaputten Zustands der DDR kurz vor dem Mauerfall gedeutet werden können, sondern bis heute als starke Gesellschafts- und Sozialkritik ihre Wirkung entfalten. Auch wenn es den Staat DDR mehr als 30 Jahre nicht mehr gibt, die Aussage dieser Kunstwerke bleibt bestehen. So verdeutlicht die Studie auch, dass sich eine Beschäftigung mit in der DDR entstandener Kunst nicht nur aus historischen Gründen lohnt. Dazu gehört natürlich auch ein Blick auf die originalen Fotografien und Abzüge. Zwar laufen im Osten des Landes immer wieder Ausstellungen mit Fotografien aus der DDR, aktuell wird zum Beispiel im C/O Berlin eine Retrospektive Harald Hauswalds gezeigt, aber im Westen der Republik gibt es noch einiges nachzuholen. Ein positives Signal war 2020 die Vergabe des ersten Bernd-und-Hilla-Becher-Preises der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf an die Dresdner Fotografin Evelyn Richter.

Auch wenn es sich bei Agneta Jileks Forschungsarbeit um kein klassisches populärwissenschaftliches Sachbuch handelt, von denen es über die Kunst der DDR übrigens noch viel zu wenige gibt, ist ihre Arbeit gut lesbar und macht neugierig auf das Thema Fotografie in der DDR.

Titelbild

Agneta Jilek: Arbeit im Bild. Die Repräsentation von Arbeit in der staatlich geförderten Autorenfotografie der 1980er Jahre in der DDR.
Neofelis Verlag, Berlin 2020.
290 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783958082328

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