Der Verlust der Unschuld

Die Graphic Novel „Rocky Beach“ zeigt die berühmten Drei ??? als desillusionierte Erwachsene

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die erste Frage, die sich bei der Lektüre von Christopher Taubers und Hanna Wenzels Graphic Novel Rocky Beach. Eine Interpretation automatisch stellt, lautet, warum noch niemand vorher auf die Idee gekommen ist. Seit über vier Jahrzehnten hört man in Deutschland begeistert die Hörspiele um die jugendliche Detektiv-Combo Die drei ???. Noch viel länger, nämlich seit den 60er Jahren, gibt es die ursprünglich aus den USA stammende Buchreihe, und doch sind die drei Detektive im Grunde nicht gealtert. Gut, in den frühen Folgen scheinen sie so um die 12, 13 Jahre alt zu sein, in späteren Abenteuern haben sie Freundinnen und fahren Auto (was man in den USA jedoch bekanntlich bereits mit 16 darf). Aber im Grunde verharren die Helden in einer Teenager-Dauerschleife, wie das ja viele seriell angelegte Figuren tun; Bart Simpson ist in den letzten 30 Jahren auch kein Jahr gealtert.

Diese festgefrorene Zeit ist natürlich ein bewährtes Stilmittel der Serialität, weil es ständige Identifikation gewährleistet, ein wohliges Sicherheitsgefühl garantiert und natürlich auch die endlose Variation des altbekannten zulässt. Auch wenn man im Kontext der Drei ??? feststellen muss, dass die Plots sich doch im Großen und Ganzen recht abwechslungsreich gestalten. Wir sind gewohnt, dass Justus Jonas dicklich und altklug, Peter Shaw sportlich und hasenfüßig (und in den Hörspielen immer auch auf enervierende Weise hysterisch) und Bob Andrews zurückhaltend und pfiffig ist. In den Hörspielen mag es auf Dauer etwas verwundern, wenn Männer, die Mitte 50 sind, 15-jährige Teenager sprechen (was im Falle von Bob-Sprecher Andreas Fröhlich deutlich weniger gut hinhaut als bei den anderen beiden), aber auch hier hat man die Stimmen seit seiner Kindheit ebenso liebgewonnen wie die Figuren, und wer will schon, dass die Drei ??? plötzlich von obercoolen Jugendlichen im Slang der 10er Jahre gesprochen werden: „Alda, ich bin chill damit, wenn wir hier noch ne Weile rumhängen. Is‘ ganz nice hier!“ „Safe“.

Die Drei ??? sind also nicht zuletzt – auch wenn sich immer wieder neue Kinder und Jugendliche für die Hörspiele begeistern, das sollte nicht verschwiegen werden – ein Nostalgie-Produkt, mit dessen Hilfe man sich in eine immerwährende Komfort-Zone begeben kann, in der man noch immer zehn Jahre alt ist und im Dunkeln den Hörspielkassetten lauscht. Insofern stellt Rocky Beach eine brutale Bruchstelle dar, einen Riss, der, unabhängig von dem vielleicht manchmal etwas schleppenden Plot, einen unbarmherzigen Blick auf die ungeschönte Wirklichkeit menschlichen Daseins offenbart. Denn die Drei ??? sind nicht nur erwachsen geworden – in der Graphic Novel sind sie in etwa Mitte 40 –, sie haben ihre Unschuld verloren, was den Figuren selbst nicht auffallen mag (es gibt in dem Roman nicht die großen pathetischen Gesten, die eine glorreiche Vergangenheit heraufbeschwören), aber uns, den Leser*innen, die wir sie noch vor kurzem (oder längerem) als unschuldige, glückliche Teenager in Erinnerung haben, die ein wenig Detektiv spielen, harmlose Fälle lösen, in denen nie jemand ernsthaft zu Schaden kommt, und die ihre ganze Zukunft noch vor sich haben.

In Rocky Beach ist diese Zukunft Geschichte, und nicht nur die Figuren haben ihre Unschuld verloren, auch die Orte ihrer Kindheit. Rocky Beach ist zum Zentrum der Korruption mutiert, ein heruntergekommener, von ‚dirty cops‘ beherrschter Ort, der nichts mehr mit dem idyllischen kalifornischen Paradies gemein hat, das wir aus unserer Erinnerung hervorkramen. Der Schrottplatz der Familie Jonas ist ein verwahrlostes Stück Brachland, das zum Objekt von Spekulationen wurde und mittlerweile von Drogendealern eingenommen ist. In einer Episode dringen Bob und Peter in das Gelände ein und finden den alten Wohnwagen – ihre ehemalige Zentrale. Neugierig betreten sie ihr ehemaliges Hauptquartier und befinden sich plötzlich wie in einer Zeitkapsel, da der Wohnwagen seit 35 Jahren nicht mehr betreten worden ist und sie alles so vorfinden, wie sie es (mutmaßlich in den 80er Jahren) verlassen haben.

Vor allem aber ist es der Zerfall der Freundschaft zwischen diesen drei einst unzertrennlichen Jungen, die den Leser schlucken lässt, denkt er doch mit Sicherheit an die eigenen Freundschaften, die mit dem Gang ins Erwachsenenleben zerbrochen sind und heute nur noch wie ein fernes Echo wirken. Irgendetwas scheint passiert zu sein bei einem Fall, dem letzten Fall: Womöglich ist durch das Verschulden der drei Detektive ein Junge gestorben, so genau wird dies nicht aufgeklärt.

Der Plot ist hierbei recht simpel gehalten: Als Peter Shaw, mittlerweile Versicherungsdetektiv, mit einem Fall von mutmaßlicher Brandstiftung von seinem Arbeitgeber nach Rocky Beach geschickt wird, trifft er sich mit dem in L.A. residierenden erfolgreichen TV-Autor und Produzenten Bob Andrews, der seine von Klischees strotzende, aber unfassbar erfolgreiche Krimiserie zugunsten einer neuen Idee um drei jugendliche Detektive, die gemeinsam Fälle lösen, einstellen will. Bob unterstützt Peter bei seinen Ermittlungen und erst nach der Hälfte des Buches treffen sie auf Justus Jonas, der sein Dasein als alkohol- und medikamentenabhängiger Buchhändler fristet. Sie beschließen, gemeinsam diesen Fall zu lösen, der im Gegensatz zu ihren früheren Fällen sich zwar wenig mysteriös, dafür umso gewalttätiger darstellt.

Ohne die Vorgeschichte, die natürlich vorausgesetzt wird, würde Rocky Beach natürlich nicht funktionieren. Je mehr man über die Drei ??? weiß, desto mehr kann man die detailverliebte Geschichte und die rohen, dunklen Zeichnungen von Hanna Wenzel genießen. Tatsächlich ist es ein bewegendes Buch, in dem es um viel mehr geht als um einen halbgaren Kriminalfall. Denn es ist ein erfreulich nüchternes, teils niederschmetterndes, gegen Ende aber doch Mut machendes Buch über den Verlust der Unschuld. Der der Figuren, aber auch unserer.

Titelbild

Christopher Tauber / Hanna Wenzel: Rocky Beach. Eine Interpretation. Graphic Novel.
Kosmos-Verlag, Stuttgart 2020.
200 Seiten , 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783440165621

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