Spektakuläres Erzähltalent

In seinem Romandebüt „Big Sky Country“ entführt Callan Wink den Leser mit grandiosen Bildern und einer Coming of Age-Geschichte in die Weiten des Mittleren Westens

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Callan Wink arbeitet seit seinem 19. Lebensjahr als Fliegenfischer auf dem Yellowstone River in Montana und gilt seit seinem ersten Erzählungsband als außergewöhnliches literarisches Talent. Seine Prosa atmet die Weiten des Mittleren Westens, duftet nach Erde, Gras und Heu und ist durchflutet von Licht und Luft. 

In Big Sky Country erzählt er die Geschichte von August, der auf einer Ranch in Michigan groß wird. Nach der Trennung seiner Eltern geht er mit seiner Mutter nach Grand Rapids und schon kurz darauf ziehen sie weiter nach Montana. Dort arbeitet seine Mutter als Bibliothekarin und sie wohnen in einem kleinen bescheidenen Haus an einer Landstraße, das früher zu einem Bordell-Komplex gehörte. Nur zögerlich schließt der zurückhaltende und stille August hier Freundschaften, fängt an, Football zu spielen, und hat eine kurze heftige Affäre mit seiner um einiges älteren Nachbarin. Es war sein erstes Mal und lange träumt er noch von ihr und vermisst sie: „Der Winter kam und es schien, als wäre, seit sie weg war, eine gewisse Eigenheit des Lichts aus der Welt verblasst.“

Während andere Kumpels nach der Highschool an ein College und andere nach Afghanistan gehen, um nach 9/11 den islamistischen Terror zu bekämpfen, bleibt August unentschlossen. Und dann bricht der Tod in die abgeschottete ländliche Welt: „Einer von ihnen würde nie wiederkommen, und dieser erste Feindkontakt, dieser erste Geschmack der Sterblichkeit, hatte alle verstört zurückgelassen.“ Gedacht wird des Toten in einem gewaltigen Besäufnis, in dem es zu einer Grenzüberschreitung kommt, die August lange nachhängt.

August nimmt einen Job auf der abgelegenen Virostok-Ranch an, die in der Nachbarschaft zu einer Hutterer-Gemeinde liegt, und verliert sich in seiner harten tagtäglichen Arbeit. Er führt ein überaus genügsames naturverbundenes Leben und nur selten geht er mit Tim, einem Jungen von der Nachbarranch, mal in eine Bar oder auf ein Rodeo zum Tanzen und Trinken und Mädchen kennen lernen.

Callan Wink nimmt sich alle Zeit der Welt, um August bei seinem Erwachsenwerden und seiner Suche nach einem Platz in der Welt zu begleiten. Zuletzt geht August zurück zu seiner Mutter und stellt sich in einem kleinen und cowboyhaften Show-Down den Gespenstern seiner Vergangenheit. Insgesamt bleibt Augusts Leben ziemlich unspektakulär, aber spektakulär ist das Erzähltalent von Callan Wink: Seine Prosa wogt wie das Gras im Wind rhythmisch dahin und er brennt leuchtende Bilder der Landschaft und des Ranchlebens in das Hirn des Leser: Wolken, Wind und Weite, der Geruch nach Kühen und frisch gemolkener Milch, nach Maschinen und Motoröl, das Blau des Himmels, das quirlige Glitzern der Forellen im Wasser – eine Prosa, wie man sie lange nicht gelesen hat und die nach einer Mischung aus Jack London und Ernest Hemingway klingt.

Titelbild

Callan Wink: Big Sky Country.
Aus dem Englischen von Hannes Meyer.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
378 Seiten , 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783518429839

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