Dem starken Geschlecht einen Fehdehandschuh hingeworfen
Zur Biografie über Lola Montez von Marita Krauss – mit Antworten der Autorin auf Fragen
Von Thomas Anz![RSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz](/rss/rss.gif)
Der lange Obertitel der neuen Biografie der an der Universität Augsburg als Professorin lehrenden Historikerin Marita Krauss über das Leben der vor 200 Jahren, am 17. Februar 1821, geborenen Lola Montez ist ein Zitat: „Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen“. Entnommen ist es dem abschließenden Kapitel der 1851 erschienenen Memoiren von Lola Montez alias Gräfin v. Landsfeld, nachzulesen jetzt auch in der Februar-Ausgabe 2021 von literaturkritik.de. Der den Männern hingeworfene „Fehdehandschuh“ wird in der Biografie zu einer Art Motto, zu einem die Lebensgeschichte der Lola Montez charakterisierenden Leitmotiv, auf das Marita Krauss ihre historischen Forschungen, kritisch kommentierten Sammlungen von (zum Teil bislang unbekannten) Quellen und perspektivenreichen Reflexionen zum ungemein vielseitigen und abenteuerlichen Leben der Lola Montez mit ihren diversen Namen und Identitäten zwar keineswegs konzentriert, das sie aber wiederholt aufgreift.
Auch eine ihrer Bemerkungen zur bisherigen Forschung über Lola Montez ist indirekt davon geprägt: „Zieht man nur die seriösen Biografien der letzten dreißig Jahre heran, so fällt auf: Die Biografen waren meist Männer“. Dass die neue, umfassende Montez-Biografie einer Frau, zu deren Forschungsgebieten auch die Geschichte der Geschlechterbeziehungen gehört, diesem Problemkomplex einen wichtigen Stellenwert zuweist, gehört zweifellos zu ihren innovativen Aspekten – und war ein Anlass, die Autorin um Antworten zu einigen Fragen zu bitten.
Thomas Anz: Schon der Titel Ihrer Biografie legt nahe, die Lebensgeschichte der Lola Montez im Zusammenhang mit der Geschichte der Frauenbewegung und des Feminismus zu sehen. Im letzten Kapitel ihrer Memoiren, dem der Titel entnommen ist, stehen noch radikalere Sätze:
Ich habe euch den Fehdehandschuh hingeworfen und werde mit euch kämpfen, so lange ich lebe, in allen Lagen und unter jeder Form.
Ich werde gegen eure Anmaßung, gegen eure Uebertreibung, gegen eure Unverschämtheit ankämpfen bis zu meinem letzten Athemzuge, und mögt ihr dann immerhin sagen, wenn ich gestorben sein werde:
Sie war ein Weib, – sie war ein schlechtes Weib! –
Nicht nur mit solchen verbalen Ohrfeigen, sondern auch mit ganz realen oder sogar mit Peitschen, Dolchen und Pistolen wehrte sich Lola Montez öffentlich gegen Männer, die, wie Sie schreiben, „Autorität über sie ausüben wollten“. Gab es bisher gezielte Versuche, Lola Montez im Zusammenhang mit der Geschichte der Frauenbewegung zu verorten? Und wie schätzen Sie das ein?
Marita Krauss: Es ist so, dass sich Lola Montez aufgrund der Tatsache, dass ihr ständig Unmoral vorgeworfen wurde, nicht als Leitbild der Frauenbewegung irgendwie angeboten hat. Die der Frauenbewegung zugeordneten Frauen hatten einfach andere, ganz andere Lebensentwürfe. Eine Frau, die die Mätresse eines Königs gewesen sein soll, konnte einfach kein Vorbild für die Frauenbewegung sein. Das ist ein Punkt, der die Zuschreibung von außen betrifft. Die zweite Sache betrifft die Innenperspektive von Lola Montez. In den 1850er Jahren, in denen in den USA, wo sie ab 1851 lebte, ja die ersten Frauen-Conventions aktiv waren, hat sie sich selbst in gewisser Weise davon deutlich distanziert und geäußert, sie sei nicht der Meinung, dass eine Frau dadurch vorankommt, indem man sich zusammentut und dann ständig darüber klagt, dass man von den Männern ausgebeutet würde, sondern man müsste schon sehr deutlich den Männern zeigen, dass eine Frau das Gleiche leisten könne wie ein Mann. Und dass sie auch mit den gleichen Maßstäben zu messen sei. Ihre Haltung entsprach nicht dem, was ein heutiger Feminismus darunter verstehen würde, nach dem Motto: Gemeinsam sind wir stark und wir ziehen alle an einem Strang. Lola Montez war zweifellos eine Alleindarstellerin, wenn Sie so wollen, und keine Frau, die sich in einer Gruppe organisiert hätte. Sie hat nicht für alle Frauen gemeinsame Regeln aufgestellt. Sie hat zwar immer wieder betont, wie Frauen unterdrückt werden, aber sie wollte nicht ein allgemeines Gesetz für die Behandlung von Frauen aufstellen. Jede einzelne müsse sich positionieren und zeigen, dass Frauen das Gleiche können wie Männer. Sie formulierte keine allgemeinen Forderungen etwa zum Wahlrecht für Frauen, wie es erst 50 Jahre später bei der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert von Frauen propagiert wurde, die ein ganz anderes Leben als Lola Montez geführt haben. Lola Montez hat sicherlich in der Geschichte der Frauenbewegung einen besonderen Platz, aber nicht als eine Art klassische Vorreiterin dieser Bewegung.
T.A.: Aber an wen sind ihre oft herben und generellen Kritiken an Männer adressiert, wenn sie sich, in einem anderen Kapitel ihrer Memoiren, als „emancipierte Frau“ beschreibt, „welche gegen das entsetzlichste Raubthier der Welt, den Mann, ankämpft“, sich mit einer Amazone vergleicht und vom „ewigen Kampfe gegen das Männergeschlecht“ spricht? Nicht an andere Frauen?
M.K: Doch durchaus. Es gibt bei ihr allerdings ganz unterschiedliche Phasen und Entwicklungen. Nach 1851, dem Jahr in dem ihre Memoiren erschienen sind, geht sie in den USA ganz andere Wege als vorher in Europa. Sie begreift sich jetzt als eine hart arbeitende Frau, abgegrenzt von einer Salondame, die sich sozusagen von Männern finanzieren lässt und in der Halbwelt unterwegs ist. Aber auch während ihrer Zeit in den USA gibt es von ihr ganz verschiedene Stellungnahmen. Einmal hat sie sich auf die Weisheiten der Miss Lucy Stones berufen, eine der Vorreiterinnen der damaligen amerikanischen Frauen-Conventions und damals die große Frauenrechtlerin. Aber ihre eigentliche Position besagt, dass Frauen sozusagen selbst ihren Mann stehen müssen, den Männern Respekt einflößend und ihnen zeigend, dass Frauen das können. Eine sehr individuelle Position, die zur Lola passt, die in der Regel vor allem für sich selbst und nicht für andere gekämpft hat. Massiv aufgeregt haben sie die unterschiedlichen Maßstäbe in der Beurteilung von Männern und Frauen.
T.A: Ist sie in die Geschichtsschreibung der Frauenbewegung und des Feminismus bisher schon eingeordnet worden?
M.K: Das glaube ich nicht. Dafür galt sie als zu unmoralisch. Zum Neuen in meiner Biografie gehört, dass ich die Lola aus der Schmuddelecke herausgeholt habe.
T.A.: Wie war ihr Verhältnis zu Frauen? Sie hatte ja ein sehr gestörtes Verhältnis zu ihrer Mutter.
M.K.: Lola hatte wohl in ihrem letzten Lebensdrittel mehr Freundschaften als vorher. Sie hat sowohl mit Männern wie auch mit Frauen lange Freundschaften gepflegt. In München kannte sie zwei Frauen, mit denen sie intensiv befreundet war. Später hatte sie eine enge Freundschaft mit Mary Buchanon. Es gibt etliche Briefe an Frauen, mit denen sie sich gut verstanden hat. Lola Montez war jedenfalls keine Frau, die keine Frauenfreundschaften hatte.
T.A.: Hat sich eigentlich die Literaturwissenschaft mit den Veröffentlichungen von Lola Montez beschäftigt? Ich habe da bisher nichts gefunden.
M.K: Sie gilt vielen als zu unmoralisch, als Mätresse und als zu dumm, um was zu schreiben. Und man unterstellte ihr, dass sie sich alles von anderen hat schreiben lassen. Sie ist ständig intellektuell unterschätzt worden.
T.A.: Ich habe mich auch gewundert, dass der 1858 erschienene autobiografische Vortrag von Lola Montez überhaupt noch nicht ins Deutsche übersetzt worden ist.
M.K: Auch ihre Vorträge sind unterschätzt worden. Sie ist witzig und charmant. Man muss sie als literarischen Text lesen.
T.A.: Die revolutionär eingestellten Gruppen um 1848, den Eindruck bekommt man beim Lesen ihrer Biografie, hassten Lola Montez. Dabei würde diese emanzipierte und kämpferische Frau doch gut zur revolutionären Bewegung um 1848 passen. Oder?
M.K.: In ihrem 1852 im Broadway-Theater uraufgeführten Stück Lola Montez in Bavaria inszeniert sie sich in der Tat als Revolutionärin. Sie hat sehr sanft ihr Image von der bösen Hure in das einer Revolutionärin gedreht. Hier kämpft sie zusammen mit den revolutionären Studenten auf den Barrikaden. Faktisch war sie 1848 auf der Flucht, vertrieben als die böse Störenfriedin und gehasst als Mätresse des Königs.
T.A.: Hatte sie auch Sympathisanten unter den Revolutionären?
M.K.: Im katholischen München nicht.
T.A.: Letzte Frage. Ihnen ist es ja gelungen, Zugriff zu den Tagebüchern von König Ludwig I. zu bekommen, und Sie zitieren viel daraus. Hat sich dadurch das Bild der Beziehung zwischen Lola Montez und dem König in wichtigen Dingen geändert?
M.K: Ja, grundlegend. Es war in Wirklichkeit eine keusche, gewissermaßen vorpubertäre Beziehung, eine hoch idealisierte Liebe, eine Minne. Sie liebte Ludwig als einen zutiefst galanten Mann. Die Zeiten ihres Zusammenseins waren zwar zärtlich und zugewandt, aber vor allem von Gesprächen bestimmt. Vom Bild einer Mätresse war die reale Beziehung, wie diesen Tagebüchern und zum Teil schon ihrem Briefwechsel zu entnehmen ist, weit entfernt. Mit der Lola in München habe ich allerdings wenig Sympathien, weil sie dort ziemlich rücksichtslos geworden ist.
T.A.: Ist bei ihren zunehmend penetranten Versuchen, sich in die Politik des Königs einzumischen und ihm vorzuschreiben, wie er sich verhalten soll, eine bestimmte politische Tendenz zu erkennen?
M.K.: Das ist schwer zu sagen. Sie war in ihren Versuchen, den König zu bevormunden, stark beeinflusst von anderen, denen sie gefällig sein wollte. Die einzig deutliche Tendenz in ihrem Verhalten ist durch ihren Jesuitenhass geprägt. In den Jesuiten hat sie ihre größten Feinde gesehen. Das ist geradezu eine Manie bei ihr geworden. Ab 1851 ist sie allerdings mit dem Image einer Revolutionärin in Amerika unterwegs. Dieses Image hat sie ausgebaut, weil sie gemerkt hat, dass sie in den USA damit gut ankam.
T.A.: Mit dem veränderten Bild ihrer Beziehung zu dem König vermittelt ihre Biografie auch den Eindruck, dass sie als Künstlerin, Intellektuelle und Dialogpartnerin unterschätzt wurde.
M.K: Davon bin ich überzeugt. Natürlich war sie dabei auch narzisstisch. Sie brauchte ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Applaus.
T.A.: Narzissmus kann ja auch sehr produktiv sein.
M.K: Ja, eben.
T.A.: Manche haben Lola Montez als Hysterikerin bezeichnet oder als einen Fall für die Psychiatrie. Die Abwertungen, die mit solchen pathologisierenden Bezeichnungen verbunden waren und vielfach noch sind, wurden allerdings schon länger infrage gestellt. Und es gab schon früher Aufwertungen des „Wahnsinns“ im Zusammenhang mit dem Begriff „Genie“.
M.K: Dass sie Macken hatte, um das etwas umgangssprachlich auszudrücken, und damit zum Teil sehr erfolgreich war, steht außer Zweifel.
Fakten und Fiktionen sind bei allem, was über Lola Montez, auch von ihr selbst, erzählt und geschrieben wurde, schwer zu unterscheiden. Marita Krauss zitiert eine Passage aus ihrer Autobiography, die zeigt, dass die Autobiografin mit spielerischer Distanz „Lola Montez“ als eine fiktive Figur begriff: „Also wenn ich Lola Montez wäre, würde ich zu zweifeln beginnen, ob ich jemals einen Vater hatte und ob ich überhaupt geboren wurde, ausgenommen vielleicht auf die Art, in der Minerva dem Haupt Jupiters entsprungen sein soll: Lola Montez kam und kommt sogar noch komplizierter auf die Welt, da sie wieder und wieder im Kopf jedes Menschen geboren werden muss, der den Versuch unternimmt, ihre Geschichte zu schreiben.“ Marita Krauss kommentiert dieses konstruktivistische „muss“ im Umgang mit der Lebensgeschichte so: „Das stimmt: Die Erkenntnis über die Subjektivität und Zeitbezogenheit des eigenen Blicks muss jede Lola-Montez-Biografie wie überhaupt jede biografische Arbeit begleiten.“
Die Arbeit ist jedoch zugleich, wie bei Lola Montez selbst, mit dekonstruktivistischer Freiheit verbunden. Die angeblich spanische Tänzerin, als die Lola Montez unter diesem Namen in München und bald weltweit berühmt, verehrt, geliebt oder gehasst wurde, stellt Krauss gleich zu Beginn ihrer Biografie als zwei Personen mit verschiedenen Namen und Identitäten vor: Als Lola Montez, die „spanische Adelige aus Sevilla, im Juni 1843 erstmals in London auftrat, war Elizabeth Rosanna Gilbert, geschiedene James, bereits 22 Jahre alt.“ Eliza Gilbert, so ihr abgekürzter Name, war die Tochter eines schottischen Offiziers und einer irischen Landadeligen, lebte mit ihnen vorübergehend in Indien und heiratete mit 16 Jahren, um der Konvenienzehe mit einem wesentlich älteren Mann zu entgehen, 1837 einen wesentlich jüngeren englischen Offizier namens Thomas James, von dem sie sich aber bald darauf wieder trennte und schuldig geschieden wurde. „Im hochmoralischen viktorianischen England“, schreibt Krauss, „gab es für sie danach fast keine Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen“, und zitiert, was Lola Montez später in ihren Memoiren dazu schrieb: „Nur eine einzige Ausflucht schien mir das Schicksal zu lassen. Es war das abenteuerliche Leben einer Künstlerin.“ Allerdings nicht in England, sondern in Spanien. Denn, so Krauss: „Spanien war damals in Mode und als spanische Tänzerin Lola Montez erfand sich Eliza neu.“
In München blieb „Lola Montez“ nicht ihr einziger Name. Im August 1847 wurde sie durch den König zur Marie Gräfin von Landsfeld. Nach ihrer zweiten Heirat mit dem reichen und etliche Jahre jüngeren britischen Offizier George Trafford Heald nannte sie sich Marie de Landsfeld-Heald. Aber auch noch nach der dritten, heimlichen Heirat mit dem Amerikaner Patrick Hull agierte sie bei ihren öffentlichen Auftritten in den USA und in Australien weiterhin als Lola Montez – bis zu ihrem Tod in New York nach einer Lungenentzündung. Auf dem Grabstein stand dann doch ihr ursprünglicher Name: „Mrs Eliza Gilbert, verstorben 17. Januar 1861“.
Als Ludwig I. die Nachricht über ihren Tod erhielt, schrieb er in sein Tagebuch einen Satz, mit dem die Biografie von Marita Krauss endet: „wiederhohlt habe ich gesagt daß ein Teufel und Engel in ihr. Glüklich[er]weise hat lezterer am Ende gesiegt.“
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