Ocean’s 9/11

Jede Menge Action bietet Eva Munz’ Romandebüt „Oder sind es Sterne“

Von Pascal MathéusRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pascal Mathéus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Literaturkritik wird oftmals der Vorwurf laut, in zu vielen Büchern werde nur noch Nabelschau betrieben. Diesen Vorwurf muss sich Eva Munz, die an der Hochschule für Film und Fernsehen in München ausgebildet wurde, nicht gefallen lassen. Wie in den meisten Hollywood-Filmen gibt es in Oder sind es Sterne jede Menge Action. Ihre Helden sind in Los Angeles, Paris und Kabul zu Hause und reisen um die ganze Welt. Sie sind Waisenkinder, Erben von Drogenkartellen und Elitesoldaten. Doch auch wenn ein handlungsreicher Plot und viele Actionszenen in den meisten Fällen für einen Erfolg an der Kinokasse sorgen, machen sie noch lange keinen guten Roman.

Oder sind es Sterne liegt die interessante Idee zugrunde, dass unsere Vorstellungen von der Welt zu weiten Teilen von den Bildern geprägt sind, die „Hollywood und die Medienberichterstattung“ hervorgebracht haben. Motive aus den Bereichen Werbung, Pop und Film durchziehen folgerichtig den gesamten Roman. Doch leider zünden diese Anspielungen nicht wirklich. Über obige Feststellung zum Zusammenhang von Realität und Bilderwelten wird in dem Roman nicht hinausgedacht. Was als reizvolle Versuchsanordnung von der Autorin entworfen worden ist, geht in ihrem Text in der Flut von Explosionen, keineswegs originellen psychologischen Konflikten und Umschwüngen der Handlung verloren. Und auch ihre Figuren scheinen eher Blockbustern entstiegen zu sein als genuin literarische Qualitäten zu besitzen.

Am ehesten hat diese noch Sameer. Der sommersprossige, rothaarige Waisenjunge, der in einem Kinderheim in Kabul aufwächst, bewegt sich irgendwo zwischen Hadschi-Halef-Omar-Charme und der ebenfalls elternlosen und – genau wie Sameer – auf denkbar niedrigster Bildungsstufe anfangenden namenlosen Hauptfigur aus Karen Köhlers vieldiskutiertem Roman Miroloi. Größere Glaubwürdigkeit besaß dabei aber Köhlers um Emanzipation kämpfende Mädchenfigur. Denn auch, wenn Sameers Blick auf die westliche Welt, die er im Laufe seines Bildungsromans kennenlernt, für einige komische Effekte sorgt, verbleibt sein Charakter insgesamt auf eher flachem Niveau. Und auch die Einblicke in die afghanischen Realitäten am Anfang der 00er-Jahre, über die man durchaus einiges Interessantes erfährt, sind wiederum keine so neuen Nachrichten.

Lieutenant Ryder dagegen, die zweite der drei Hauptfiguren, tritt in einer Atmosphäre auf, die an die Ocean’s-Filmreihe mit George Clooney erinnert. In der Elitetruppe, der er sich anschließt, sind die Rollen nach Quote verteilt. Jeder Charakter(stereo)typ kommt vor, jede der in Amerika vertretenen Ethnien bekommt ihren Auftritt. Der am Ende durchdrehende, von sexuellem Misserfolg verfolgte, in seinem Inneren aber eigentlich wahnsinnig sensible Soldat stand schon im Mittelpunkt von so vielen Hollywood-Filmen, dass es nicht leicht ist, etwas Neues aus dieser Konstellation zu machen. In diesem Roman geschieht es jedenfalls nicht.

Ryders gefährliche Einsätze im afghanischen Niemandsland werden von lautmalerischen Zisch- und Explosionsgeräusche begleitet. Ohnehin behilft sich Munz so häufig dieses Stilmittels, dass man sich zwischendurch fragt, ob die Autorin nicht doch eher ein Drehbuch geschrieben hat. In einem Roman müsste man mehr auf die Mittel der Erzählung als auf die Imitation von Geräuschen vertrauen, die zusammen mit den entsprechend dramatischen Bildern natürlich Eindruck machen würden.

Und dann ist da noch Hasir, ein wie Alain Delon aussehender Absolvent einer Filmhochschule, der in Paris lebt und seinen Reichtum dem afghanischen Heroinimperium seines verstorbenen Vaters zu verdanken hat. Ihn hat Eva Munz als psychologische Fallstudie entworfen. Wir nehmen an seinen therapeutischen Sitzungen teil und sollen uns für die Schuldkomplexe und Traumata interessieren, die er aus seiner alten Heimat Afghanistan mitgebracht hat.

Damit das gelingt, wird die Geschichte von Hasir aus der besonders distanzlosen 2. Person Singular erzählt. Du hast dieses getan und jenes versäumt, heißt es dann etwa, oder: „Du solltest eher lachen und weniger planen“. Der Kalenderspruch-Gehalt vieler dieser Sentenzen ist ärgerlich, wie auch die Aufrechterhaltung der Du-Form insgesamt zu einer Marotte verkommt.

Die anderen beiden Erzählstränge werden nämlich ebenfalls aus einer jeweils anderen grammatikalischen Perspektive erzählt. Ryders Schicksal wird in der potentiell objektiven 3. Person Singular berichtet, während Sameer in der 1. Person Singular selbst zu Wort kommt. Weshalb hat die Autorin sich für diese Aufteilung entschieden? Während man bei Hasir noch dahinterkommen kann – auch wenn der Einsatz der Du-Perspektive nicht durchgehend überzeugt –, lassen sich für die beiden anderen Erzählstränge schwerlich zwingende Gründe finden. So gerät dieser Aufbau zur bloßen Spielerei.

So wenig zwingend wie der Stil in Oder sind es Sterne daherkommt, so unwahrscheinlich sind die Verwicklungen, mit denen Munz ihre drei Helden zueinander bringt. Das ist an sich kein Vergehen – nichts in einem Roman muss realistisch sein. Doch wenn man sich für eine Konstellation wider alle Wahrscheinlichkeit entscheidet, muss es eine innere Notwendigkeit oder eine Gebrochenheit geben, die die Unwahrscheinlichkeit selbst zum Thema macht. So etwa hat dies Martin Mosebach in seinem aktuellen Roman Krass gehandhabt, der die wunderbaren Zufälle seiner Romanhandlung gleichzeitig auf einer Metaebene zum Gegenstand der Reflexion machte. Fehlt diese Ebene, so ergeht es einem mit den vielen unverhofften Wendungen gleichsam wie Munz’ Romanhelden Hasir: „Deine Kapazität, Tragödien aufzunehmen, ist weit überschritten“.

Titelbild

Eva Munz: Oder sind es Sterne.
Verlag Antje Kunstmann, München 2021.
304 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783956143854

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch