Ist das denn die Wirklichkeit?
Jörg Fausers faszinierende Suche nach der Realität im Fiktiven lässt sich nun in „Der Klub, in dem wir alle spielen“ begutachten
Von Pascal Mathéus
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Verkommenheit, das Leben, die Erfahrung, der Dreck, die Obsession, der Suff, die Versehrten – was Jörg Fauser in der Literatur sucht, bringt er immer wieder auf einen Begriff: die Wirklichkeit. Und am desolaten Zustand dieser Wirklichkeit scheint für ihn kein Zweifel zu bestehen. Ist diese Herangehensweise realistisch oder einseitig?
Eindeutig herrscht in Fausers Weltbild Pessimismus vor. Das macht er klar, wenn er bemängelt, „wie jede optimistische und fortschrittsgläubige Geschichtsbetrachtung am tragischen Charakter des Menschen und seiner Entwicklung vorbeizielt.“ Wer etwas kritisieren wollte an Fausers gesammelten Texten über Literatur aus den Jahren 1963 bis 1987, könnte sich durchaus auf die Redundanzen seiner Suaden stürzen, die die Welt immer nur in ihren dunkelsten Farben ausmalen. Jede für sich ist jedoch in ihrem Furor beeindruckend, in ihrer Leidenschaft authentisch und in ihrer Vitalität hochansteckend.
Fausers literarische Helden haben dabei gemeinsam, dass sie fast alle aus den USA stammen und Männer sind. William S. Burroughs, Jack Kerouac, Charles Bukowski, John Fante und immer wieder Raymond Chandler. Umso überraschender erscheint ein frühes Stück über Else Lasker-Schüler von 1967. Man kann den Texten auch die Entwicklung des Schriftstellers Fauser ablesen: Es ist der Prozess einer immerwährenden und sich verstärkenden Enttäuschung, die womöglich daher rührt, dass der Literaturbetrieb sein eigenes schriftstellerisches Schaffen Zeit seines Lebens weitgehend ignoriert, höchstens der Unterhaltungsliteratur zugeschlagen hat. Die späteren Arbeiten zeichnen sich aus durch Präzision im Ausdruck, Direktheit und eine immer souveränere Handhabung des schnoddrigen Stils. Leider geht dies aber auch mit dem schon angesprochenen, sich verstärkenden Hang zur Einseitigkeit einher. Wenn man den Text über Lasker-Schüler liest, der zu den schönsten im vorliegenden Band gehört, wünscht man sich, Fauser hätte sich ein bisschen weniger in den Kokon des harten Mannes eingekapselt.
Zu den wenigen Texten über deutschsprachige Schriftsteller zählt auch eine literarische Reportage über Hans Fallada – ein weiterer Höhepunkt des Bandes. Fauser ist nach Neumünster gereist und versucht dort dem Wesen von Falladas Texten auf die Spur zu kommen. Er sucht das Gefängnis auf, in dem Fallada einsaß und treibt sich wie immer in Kneipen herum, um auf Figuren zu treffen, die aus Falladas Werken stammen könnten. Seine beständige Suche nach der Wirklichkeit in der Literatur ist einerseits erfolgreich, indem ihm die Konfrontation mit Schauplätzen und Milieus Einfühlung ermöglicht. Andererseits scheitert sie auch durch die zeitliche Entfernung, durch den uneinholbaren Spalt zwischen der Realität und der Fiktion. Die von Fauser zwar stets behauptete, aber in manch einseitiger Betrachtung nicht eingelöste Widersprüchlichkeit der Welt, schillert hier in ihrem ganzen Farbspektrum.
In seinen späteren Jahren hat er solche Literatur offenbar nicht mehr in Gedichten und Romanen gefunden, sondern seine Hoffnungen ganz in Krimis und Thriller gesetzt. Diese Genres erschienen ihm als die zeitgemäße Art der Abbildung von Wirklichkeit, die sich mit den aus seiner Sicht pomadigen Mitteln der sogenannten schönen Literatur nicht mehr bewerkstelligen ließ. „Wer sich auf die Welt einlässt, muss ihre Widersprüche ertragen. Dass der Thriller und seine fragwürdigen Helden diese Widersprüche manchmal so grell illustrieren, macht nicht den geringsten seiner zahlreichen Vorzüge aus.“
Zu den Kennzeichen der kritischen Prosa Jörg Fausers gehört ihre unbändige Lust, kräftig auszuteilen. Neben den Altnazis in der bundesrepublikanischen Gesellschaft dieser Jahre hat sich Fauser als Mann der radikalen Mitte die frühen Grünen als Lieblingsfeinde auserkoren. Als notorische Weltverbesserer erscheinen sie ihm als typisch deutsch und stramm ideologisch. In ihrer Agitation gegen die Verleihung des Goethe-Preises an Ernst Jünger erkennt er etwa „jenen miesen Blockwartsmief, jenen unerträglichen Ruch geistigen Schnüffelantentums und politischer Verhetzung und Verleumdung, der so unverwechselbar zur Struktur des Totalitarismus gehört wie Massenaufmärsche und Menschentransporte – ja, diese erst ermöglicht“.
Ein anderer Lieblingsfeind ist der literarische Betrieb und besonders die Literaturkritik. Dabei schimpft Fauser immer originell und sehr unterhaltsam, wie der folgende Einfall zum Verhältnis von Literaturkritikern und den Thrillern von James Hadley Chase zeigt: „[M]an kann sich ja ausmalen, wie die psychopathischen Killer und machtgierigen Frauen, die das Gros seiner Figuren darstellen, auf die machtgierigen Psychopathen, die das Gros der Literaturkritiker darstellen, gewirkt haben müssen“. Lässt sich diese hanebüchene Übertreibung nur mit seinem Groll gegen diejenigen Kritiker erklären, die ihn ignoriert haben oder hat hier einfach jemand großen Spaß bei der Sache?
Wer so austeilt, muss wohl auch einstecken können. Das im Grunde sehr schön den Kosmos des Fauser’schen Schaffens öffnende Vorwort von Katja Kullmann verzichtet deswegen auch nicht auf eine leicht süffisante Beschreibung der zigmal ausgebreiteten Umstände von Fausers Tod. Etwas unwohl wird einem zumute, wenn man später im Buch Fausers Gedanken zum Tod von Ernest Hemingway und die darüber gezeigte klammheimliche Freude seiner Feinde liest. Vielleicht hat Fauser recht, „dass jeder Tod, auch dieser, wirklich nur ein Tod ist und dass das Leben das Einzige ist, was zählt – das Leben und, wenn es das Leben eines Schriftstellers war, das, was er geschrieben hat.“
Eigentlich ist es verwunderlich, dass Marcel Reich-Ranicki und Jörg Fauser keine Möglichkeit der Verständigung fanden. Fauser attackiert Reich-Ranicki in einem der hier abgedruckten Texte über Günter Grass frontal, während der Großkritiker die Prosa Fausers einst in Klagenfurt in Bausch und Bogen als minderwertig abgelehnt hat. In beiden brannte doch derselbe Furor, dieselbe ungezügelte Leidenschaft für die Literatur. Genau wie die Kritiken von Marcel Reich-Ranicki sind auch die kritischen Texte Fausers autark. Selbst wenn man überhaupt nichts von den Gegenständen, die sie verhandeln, wissen will, liest man die Texte fasziniert, weil sie so unterhaltsam und lebendig sind. Ernsthafte Begeisterung für die Literatur flammt in jedem einzelnen Satz auf.
Fausers Texte über Literatur machen deshalb Lust aufs Lesen. Das lässt sich von gar nicht so vielen in diesem Genre behaupten. Kann man mehr von Literaturkritik verlangen? Wahrscheinlich schon. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben wird damit von Fauser aber bravourös erfüllt.
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