Ein Tennisbuch über das Leben
Das kluge Literaturdebüt von Tennisprofi Andrea Petković
Von Jürgen Röhling
Sportlerautobiographien sind eine ganz besondere Literaturgattung – häufig mit professioneller Schreibhilfe entstanden, zehren sie meist vom prominenten Namen auf der Titelseite und bieten literarisch nicht unbedingt feinste Kost. Dass eine Weltklassesportlerin aber selbst Erzählungen schreibt und sich damit einer klassischen Literaturgattung bedient, ist selten, wenn nicht neu. Andrea Petković, seit früher Kindheit Tennissportlerin und jetzt, mit 33 Jahren, allmählich in die Endphase ihrer Profikarriere gelangend, die sie zu besten Zeiten bis in die Top 10 der Weltrangliste führte, hat eben dies gewagt. Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht ist ihr Debüt als Literatin, und das Buch will keine Autobiographie sein.
Keine? Wo doch schon der Umschlag klarmacht, dass es um Tennis geht? Ein Ball, so erkennt man, fällt auf die Linie. Ist er gut oder ist er aus? Wenig entscheidet über Sieg oder Niederlage. Woody Allen hat im Film Match Point von 2005 Tennis zur Metapher für das Leben erhoben, genauer: den Netzroller, den Ball, der sich für die Dauer ewiger Sekunden nicht entscheiden kann, ob er auf der guten oder der schlechten Seite des Netzes aufkommt. Die ganze Tragik des Lebens in einem Bild, was will man mehr!
Weltranglisten-Neunte war Andrea Petković zu besten Zeiten, nur noch eine Handvoll andere Spielerinnen über ihr, sie war ziemlich weit oben angekommen, nicht viel fehlte zur absoluten Spitze, alles war möglich. Doch dann fielen die Bälle auf die falsche Seite, kamen die Verletzungen: Umknicken, Ermüdungsbruch, Kreuzband, Meniskus, das volle sportmedizinische Programm mit Schmerz, Verzweiflung, Reha. Und Comeback.
Ein solches Sportlerinnenleben lässt keine Zeit für andere Interessen. Aber Andrea Petković findet erstaunlich viel Zeit für Literatur. Sie liest viel, wie besessen. David Foster Wallace, Jonathan Franzen, Bulgakow, Murakami, Henry Miller verschlingt sie zwischen Turnieren, zwischen „Matches“, um in der Tennis-Fachsprache zu bleiben, am Flugplatz, im Hotel. Literatur ist ihr zweites Leben. Hemingway hat sie im Gepäck „wie Aspirin“. Dass sie wortgewandt und reflektiert ist, kann man im Internet nachverfolgen, sie hat ZDF-Sportreportagen moderiert, war im Literarischen Quartett zu Gast und schreibt für zahlreiche Printmedien.
Durch die literarische Reflexionsebene, die sie sich erlesen hat, erliegt sie nicht der Gefahr, eine Erfolgsgeschichte à la „Wie ich es in die Top 10 schaffte“ zu schreiben. Neben den Mythos des Center Courts tritt bei ihr die Tristesse der Nebenplätze, neben dem Rausch des Gewinnens steht der Alltag des sich Schindens im Training und die einsamen Nächte „zwischen Ruhm und Ehre“. Mit psychologischem Blick gelingen Schilderungen von rauschhaften Partynächten und menschlichen Begegnungen wie mit dem charismatischen Tennis-Talent Danica, die mit ihren Selbstzweifeln und ihrer Familie kämpft – eine Drama Queen, mit der Andrea Petković nur ein Turnier lang zusammenspielt, bei dem sich mit Gefühlsausbrüchen und Emotionen ein „alternatives Universum“ eröffnet. Gerne würde man noch mehr über sie lesen, doch was wie eine Freundschaft fürs Leben beginnt, endet mit einem Abschied am Flughafen auf dem Weg zum nächsten Turnier und einem lapidaren „Ich sah sie nie wieder“.
Nicht nur mit Danica entwickelt sich das Gespräch auf Serbisch. Andrea Petković ist in Bosnien geboren, in serbisch-bosnischer Familie, die Eltern wanderten mit der ein halbes Jahr alten Andrea nach Deutschland aus. Auch um die Herkunft geht es in diesem Buch, unbefangener freilich als in Saša Stanišićs Erinnerungsbuch, an das man denken mag, weil es gerade ein Jahr vor Petkovićs Erzählungen erschienen ist und in dem es um die bosnische Familiengeschichte geht, um „Herkunft“ und das komplizierte Verhältnis zu dem ganzen „Zugehörigkeitskitsch“, wie Stanišić es nennt.
So weit geht Petković nicht. Herkunft ist für sie andere Mentalität, ein anderes Urlaubsland als die meisten ihrer Klassenkameradinnen, eine zweite, nützliche Sprache. Ihr Übergang von einem Land ins andere verlief unbewusst, sie war sechs Monate alt (Stanišić 14 Jahre), als die Eltern fortzogen, die Gründe waren andere, der Jugoslawienkrieg noch fern. Bewusst erlebt hat sie das Fremdsein in Deutschland, das Aufwachsen mit Kindern verschiedenster „Herkunft“ oder „Migrationshintergründe“ – mit ihren Worten: „Ich wuchs in einem Potpourri von Farben auf.“ Eine in Berichten über Andrea Petković immer wieder fast ungläubig erzählte Erfolgsgeschichte schloss sich an: Musterschülerin, 11. Klasse übersprungen, Abi mit 1,2; parallel dazu – der Vater ist Tennislehrer – die Entscheidung für den Profisport. Ihr Leben ist auch eine Aufstiegsgeschichte, eine Geschichte der Anpassung und des Durchsetzens gegen Widerstände.
Und des Triumphs. Einmal stand sie bei den French Open im Halbfinale, das ist vielleicht so wie auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis zu stehen. Den Sieg trug eine andere davon, Marija Scharapowa, an die Andrea Petković aber auch angenehme Erinnerungen hat: Australian Open 2011, Achtelfinale, 6:2 und 6:3, ein unvergesslicher Sieg, der auch literarisch weidlich ausgekostet wird, und man kann es nur zu gut verstehen, dass sie sich diesen Sieg in der Einsamkeit eines Hotelzimmers genüsslich als Youtube-Video reinzieht: Ruhm und Ehre in der Nacht.
Leichte Fehler passieren mitunter im Tennis, so auch beim Schreiben. Binsenweisheiten wie „Das Schöne am Tennis: Alles geht, nichts muss“ hätten es verdient, schon in der Qualifikation auszuscheiden und es nicht ins Finale zu schaffen, und nicht alle Episoden des Buches sind gleichwertig und können eigentlich Erzählungen genannt werden. Das schmälert die Freude beim Lesen nur unwesentlich. Andrea Petković ist ein kluges Tennisbuch über die Zwischen-Stationen des Lebens gelungen. Ob der Netzroller-Ball auf diese oder jene Seite fällt, ist gar nicht so klar – und auch nicht so eindeutig. Im Film Match Point gibt es eine Parallelszene zum Netzroller, ein Ring wird weggeworfen und kommt auf der vermeintlich schlechten Seite auf. Doch das ist dann letztlich die gute Seite. Im Tennis ist es eben wie im Leben. Nur ganz anders. Man darf auf Andrea Petkovićs weitere Ausflüge in die Welt der Literatur gespannt sein.
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