Von der herrlichen Einsamkeit in der Schwerelosigkeit

Dana Rangas Gedichtband „Cosmos!“ lotet technische und emotionale Grenzen aus

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Weltraum, unendliche Weiten – Dana Ranga nimmt den Leser in ihrem neuen Gedichtband Cosmos! mit auf eine Reise ins All, auf die Raumstationen „Mir“ und ISS. In drei Abschnitten verarbeitet sie etliche Interviews mit Astronauten und Kosmonauten und verdichtet deren Erkenntnisse in Verse. Es gelingt ihr, den scheinbar dissonanten Zweiklang aus rationaler Klarheit technischer Abläufe und emotionaler Überwältigung konsonant sprachlich umzusetzen. 

Zunächst beschreibt Ranga im linksbündig gesetzten Prolog technisch nüchtern die Vorbereitungen im Trainingszentrum der Astronauten. Enormen körperlichen Anstrengungen, Zentrifugen und Tests folgt der Weltraum im zweiten Abschnitt, einem aus links und rechts gesetzten Versen bestehenden Kapitel. Die Himmelsstürmer erleben einen dicht gepackten Arbeitsplan bei gleichzeitiger Übelkeit, „Rückenschmerzen […] Orientierungslosigkeit/ Schwindelgefühl“. Astronauten wie Kosmonauten „leiden/ an kumulativem Schlaf-Ausfall“ oder gar „Halluzinationen“. Thomas Reiter katapultierte das Shuttle Discovery als ersten Deutschen zur ISS, er berichtet von seinen Eindrücken. Jeder Raketenstart ist „die gebündelte Kraft kontrollierten Wahnsinns“, heißt es in den Versen Rangas. Der Gedichtband lotet technische und emotionale Grenzen aus, denen sich dann auch der rechtsbündig gesetzte Epilog widmet. In ihm wird eine Rückschau auf das im All Erlebte gewagt.

Trotz der Konzentration und der vielen Aufgaben versuchen Raumfahrer Zeit zu finden, um zu reflektieren, was sie erleben. Dana Ranga lässt sie zu Wort kommen, setzt teilweise ihre Statements unverändert ins Gedicht und fügt lediglich Zeilenumbrüche ein. Denn sie sind ebenso dokumentarisch wie poetisch. Die Ergriffenheit des Astronauten Michael Foale, der während eines Raumspaziergangs seine Helmbeleuchtung ausschaltet und die nächtliche Erde unter sich von Blitzen bedeckt sieht, gibt einen aufwühlenden Eindruck vom Gesehenen: 

Die Galaxie leuchtete so stark

es war dramatisch

nicht erschreckend

sondern mächtig

herrlich!

Thomas Reiter hat mit großen Augen als Kind verfolgt, wie Neil Armstrong auf den Mond getreten ist. Damals gewannen die Amerikaner den lunaren Wettlauf mit der russischen Seite. Die Internationale Raumstation ISS ist ein Symbol für das Ende des Kalten Krieges, denn in ihr und mit ihr arbeiten Menschen über alle Nationalgrenzen hinweg. In Rangas Gedichtband sagt Reiter, dass Schlagzeilen von der Erde im All eine andere Bedeutung erhalten, „weil man das große Ganze sieht“. Dass mit dem Blick vom Weltraum auf die Erde alle Grenzen verschwinden, zeigte insbesondere ESA-Astronaut Alexander Gerst. Er ließ ein Millionenpublikum an seinen Missionen teilhaben, indem er fantastische Bilder direkt aus der ISS über Social Media verbreitete. Die faszinierenden Fotos zeigten die Linienführung der Wüsten, Stürme im Pazifik und Auroren, aber keine Staatsgrenzen. Bilder wie diese werden in den Gedichten aufgerufen und beschrieben. Sie sind außerdem als Abbildungen in den Gedichtband gestreut. 

Die Fotos erzeugen wie auch die Gedichte von Dana Ranga ein unmerkliches Schwindelgefühl. Der Blick von außen zurück auf die eigene Welt und die eigene Existenz ist überwältigend. Er belegt die Fragilität der Erde – wie kostbar und verletzlich sie ist. Alexander Gerst resümiert im Gedicht, dass alles endlich ist. Das Wissen um die Endlichkeit der eigenen Existenz im Angesicht der räumlichen Unendlichkeit des Alls ist kaum zu begreifen. Dort über der Erde zu schweben, nur mit einem Versorgungskabel an die feste Station der Menschheit gebunden, erlaubt zugleich eine Ahnung des Unendlichen, die seit jeher Raum für Glauben und Religionen lässt. So ist der Himmel in der Poesie meist Symbol der Transzendenz und der Vollkommenheit. Bei Dana Ranga ist er auch Symbol der Einsamkeit – einer dramatischen, nicht erschreckenden, sondern herrlichen Einsamkeit. In der Schwerelosigkeit, so schreibt sie, erhält der Astronaut das „elementare Gefühl“, in seiner eigenen Welt „allein zu sein“. Dieser Blick ändert alles, das belegen die Berichte der Rückkehrer. Der Gedichtband endet mit dem Hinweis, wie schwer „das Leben/ nach dem Flug“ ist: „Sie/ vermissen/ das/ All“. Thomas Reiter ist die Begeisterung bis heute in jedem Vortrag anzumerken. Alexander Gerst zieht es mit großer Macht wieder ins All.

Manche Zeilen in den Gedichten von Dana Ranga erinnern auch an die typischen Fragen von Kindern nach den Vorträgen von Gerst und Reiter – wenn beispielsweise erklärt wird, dass man während eines Weltraumspaziergangs nicht essen, trinken oder auf eine Toilette gehen kann. Die Verse sprechen alle Sinne an: Es wird die Zusammensetzung der Weltraumnahrung und die Zubereitungsprozedur beschrieben. Seit Cyrano de Bergeracs fantasievoller „Reise zum Mond und zur Sonne“ aus dem Jahr 1655 rätseln Träumer, wie der Mond riecht. Ob man jedoch wirklich wissen will, was der von Dana Ranga zitierte typische, vermutlich nicht angenehme „Stationsgeruch“ auf der „Mir“ war? Durchaus mit Humor berichtet sie von einer Fliege, die eine Crew ins All begleitete. Solche dokumentarischen Berichte lockern die Verse ebenso auf wie die Nüchternheit der technischen Beschreibungen. Sie schmälern aber nicht den Zauber, der von ihnen ausgeht und der sich in der Realität fortsetzt.

Zwar ist die „Mir“ längst verglüht, Space-Shuttle fliegen nicht mehr, und auf dem Mond ist lange kein Mensch mehr gelandet. Doch er ist heute wieder ein Ziel. Auf dem Mond soll eine Basisstation mit einem Observatorium errichtet werden. Alexander Gerst hat sich schon beworben und könnte bald den Mond betreten. Und der Expeditionsgeist der Himmelsstürmer greift weiter, sie haben sich längst anderen Gestirnen zugewandt. Das Rennen zum Mars ist eröffnet. Das Land Hessen, in dessen Süden die ESA ihr Quartier hat, wirbt unter der Überschrift „Wir haben aussichtsreiche Arbeitsplätze“ mit einem Foto von Thomas Reiter im Weltraum. Tatsächlich hat die ESA im Februar 2021 eine Stellenanzeige veröffentlicht und sucht in der Bevölkerung nach neuen Astronauten. Es gibt also eine kleine Chance, nach der Lektüre des Gedichtbands das beschriebene Abenteuer selbst zu erleben und „Zeugen/ intensivsten Lebens“ zu werden.

Titelbild

Dana Ranga: Cosmos!
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020.
114 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783957579164

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