Hinreißender Hokuspokus

Wiederentdeckung eines englischen Klassikers: Sylvia Townsend Warners Hexenroman „Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das nennt man tough! Da arrangiert der Teufel höchstpersönlich zur Begrüßung seiner jüngsten Hexe einen Sabbat; alle Hexen und Hexer tanzen wild durcheinander, ein Hauch von Orgie liegt in der Luft. Und als der Teufel Laura Willowes, genannt Lolly, verschwörerisch fragt, wie ihr denn ihr erster Hexensabbat gefalle, antwortet Warners Heldin nur kühl: „Überhaupt nicht.“ 

Aber nicht etwa, weil die Dame mittleren Alters – Zeitgenossen würden sie als ‚alte Jungfer‘ bezeichnen – von ihrem neuen Dasein als Hexe schon genug hat, im Gegenteil. Laura empfindet ganz einfach Luzifers schlangenartiges Züngeln an ihrem Ohr als ausgesprochen ungehobelt. Hat der Kerl keine Manieren? Doch, wenn er will, dann schon. Und Laura wird es sehr zu schätzen wissen, dass ihr der Teufel für den Rest des Romans eher gentlemanlike gegenübertritt, mal in Gestalt eines Jägers, mal in der eines Gärtners.

Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann, so heißt Sylvia Townsend Warners hinreißendes Romandebüt aus dem Jahr 1926. Mit dieser Geschichte einer weiblichen Selbstermächtigung wurde aus einer bis dahin mäßig erfolgreichen Musikwissenschaftlerin eine sogar von Virginia Woolf bewunderte Erfolgsautorin. Zumindest im angelsächsischen Raum, wo Warners Erstling als Meilenstein der feministischen Literatur gilt. Die Zeitung „The Guardian“ setzte ihn 2014 sogar auf ihre Liste der 100 besten englischsprachigen Romane. Hierzulande jedoch erfuhr das Werk bislang leider nie die angemessene Aufmerksamkeit.

Vielleicht ändert sich das ja nun mit der schön gestalteten Neuausgabe in der bewährten Übersetzung von Ann Anders. Zumal, da sich der Dörlemann Verlag auf die Wiederentdeckung englischsprachiger Klassiker bestens versteht, man denke nur an die Neuausgabe von David Garnetts Dame zu Fuchs. Garnett war übrigens ein enger Freund von Sylvia Townsend Warner, die bei ihrem Tod 1978 mit 85 Jahren ein stattliches Werk von sieben Romanen, acht Erzählungs- und fünf Gedichtbänden hinterließ.

Kreativität ist kein Merkmal ihrer Romanheldin, viel eher schon sympathische Selbstgenügsamkeit. Laura reicht es völlig, sich ungestört ihrer Leidenschaft für Heilkräuter hingeben zu können. So besteht ihre eigentliche Leistung darin, sich aus den Fangarmen ihrer Familie zu befreien. Bis dahin ist es jedoch ein langer Weg, und die Autorin schildert Lauras Selbstbefreiung mit viel Sinn für Ironie. 

Es gehört zu den Stärken des Romans, dass er mit seinem hintersinnigen Spott über die sich an ihren Gewohnheiten festklammernde Familie Willowes zugleich das Porträt einer überkommenen patriarchalen Gesellschaft zeichnet: 

Am Sonntagmorgen pflegte Henry die Uhr aufzuziehen. Erst wurde die eine, dann die andere der pendelnden Ketten hochgezogen, bis nur noch die Schnauzen der Bleigewichte sichtbar waren, wie sie mürrisch über dem Abgrund der Zeit hingen, in dem sie in den kommenden sieben Tagen hinabsteigen würden. Danach ging die Familie zur Kirche und wurde dort auf fast ähnliche Weise für die Woche wieder aufgezogen.

Im Jahr 1902 war der Vater gerade tot und die 22-jährige Laura noch unverheiratet. Widerstandslos ließ sie sich „wie ein Stück Familienbesitz“ von ihrem Bruder nach London mitnehmen. Als „Tante Lolly“ ist sie das duldsame Anhängsel im Haushalt ihrer kleingeistigen Schwägerin. Ganze zwanzig Jahre wird es dauern, bis aus Lolly wieder Laura wird. Gegen den Willen ihrer entsetzten Familie lässt sie sich eines Tages allein auf dem Land nieder. Mit beinah fünfzig streift sie in glücklicher Einsamkeit durch Wald und Felder. Bis plötzlich ihr Neffe auftaucht. Der Familienerbe strotzt nur so vor männlicher Selbstzufriedenheit; ohne es zu merken, drängt er „Tante Lolly“ zurück in ihre „Sklavenexistenz“, weshalb ihr nur noch der Teufel helfen kann. 

Nach dem Sabbat, als sich ihr der Teufel noch einmal zeigt – diesmal in Gestalt eines freundlichen Gärtners –, macht Laura ihren Gefühlen endlich Luft. Und empört sich, wie die Gesellschaft Frauen entmündigt und zur Langeweile verdammt. Sie könnten letztlich gar nicht anders, als ihre Seele dem Teufel zu schenken. Der hört der nun souverän gewordenen Frau einfach nur verständnisvoll zu. Das sagt viel über das ersehnte Männlichkeitsideal der Autorin. Ebenso bezeichnend ist, dass Warners Heldin beim Sabbat gerade dann aufblüht, ja sogar ein „Prickeln“ am ganzen Körper empfindet, als sie mit einer jungen Frau tanzt. In der biografischen Realität sollte die Autorin, nach einer Affäre mit einem Musiklehrer, das Glück ihres Lebens erst 1930 finden, an der Seite einer Frau nämlich.

Titelbild

Sylvia Townsend Warner: Lolly Willowes. oder Der liebevolle Jägersmann.
Mit einem Nachwort von Manuela Reichart.
Aus dem Englischen von Ann Anders.
Dörlemann Verlag, Zürich 2020.
320 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783038200796

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