Weltrettungsversuch aus der Drogerie

Dirk Rossmann und Team schreiben mit „Der neunte Arm des Oktopus“ ein Polit-Märchen mit überreichlicher Materialsammlung

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beim Buchtitel stutzt man. Wieso besitzt ein Tintenfisch neun Arme? In „Oktopus“ steckt „acht“ wie im „Oktoeder“ mit seinen acht Flächen oder im „Oktober“, dem achten Monat des altrömischen Kalenders.

Der neunte Arm des Octopus steht symbolisch für ein Wunder. An ein solches sollen wir Leser glauben. Das fällt schwer, denn uns wird ein Politikmärchen aufgetischt. Der Chinese Xi, der Russe Putin und die Amerikanerin Harris haben sich unter dem Firmenzeichen G3 zur gemeinsamen Rettung der Welt vor der Ökokatastrophe zusammengetan. Kein Wort darüber, welche Erwägungen die Großen Drei davon überzeugt haben, dass es sich um eine WIN-WIN-WIN-Situation handelt. Vielleicht haben sie all das gelesen, was im Buch als überreichliche Materialsammlung zum Klimaschutz geboten wird, ehe die Handlung richtig losgeht.

Dirk Rossmann, dem es ehrlich um die Klimarettung geht, macht es wie Alexandre Dumas der Ältere und beschäftigt anonyme Lohnschreiber. Finanziell dürfte das kein Problem sein, denn aus dem von ihm 1972 gegründeten ersten deutschen Drogeriemarkt mit Selbstbedienung ging die florierende Unternehmensgruppe ROSSMANN mit über 4.000 Filialen in Deutschland und sieben Auslandsgesellschaften hervor. Allerdings hat er wohl nicht gleich 300 Bände im Visier wie der Franzose, sondern zunächst nur dieses eine Buch. Dumas war übrigens bei seinem Tod in Vergessenheit geraten, doch das muss sich ja nicht wiederholen. Überdies winkt Nachruhm. Wird dieser Oktopus dereinst in einem Atemzug mit dem Grafen von Monte Christo und den Musketieren genannt werden? Eher nicht.

Rossmann findet auf den ersten rund einhundert Seiten nicht das rechte Maß zwischen Argumentation und Romanhandlung. Da werden so viele Fakten ausgebreitet, dass man glauben könnte, die Ergebnisse der Recherche seien versehentlich mit ins Buch geraten. Kaiser Joseph II. aus Mozarts Zeiten würde das Buch stöhnend weglegen: „Zu viele Fakten, Rossmann!“ Der Rezensent liest weiter. Er traut den marktschreierischen Behauptungen in den Medien nicht und misst den Text nicht daran.

Und siehe da, etwa ab der Mitte wird das Buch besser. Die Autoren, die da zum Zuge kommen, beherrschen ihr Handwerk. Aus dem Faktenhaufen steigt wie ein Phönix aus der Asche der Plot. Weil die Öko-Allianz mit Härte vorgeht, macht sie sich all jene zu Feinden, die weiter am tödlichen Raubbau verdienen wollen. In vorderster Front steht der brasilianische Präsident Batista – man wundert sich freilich, warum ein durch die Geschichte Kubas verbrauchter Name benutzt wird. Batista ist ein ökologischer Verbrecher wie der jetzige Machtinhaber Brasiliens, doch das erzeugt noch keine Spannung.

Der Thrill im Thriller kommt von Leuten, die ihre Regierungen hintergehen und dadurch den Weltuntergang befördern. Das sind der russische Marschall Bykow und der chinesische Technokrat Dr. Yuan Zhiming, die einander nur halbwegs vertrauen und dennoch in Brasilien an gefährlicher Desinformation zusammenarbeiten. Da fragt man sich mit Brechts lesendem Arbeiter, ob ihnen kein abtrünniger Amerikaner zur Seite steht. Aber nein, so schlimme Finger gibt es offenbar nur in Russland und China.

Ebenfalls in Brasilien spielt eine Balkonszene. Die ist anders als die in Romeo und Julia nicht nur unromantisch, sondern auch extrem unglaubhaft. Zwei Experten des chinesischen Geheimdienstes plaudern auf einem abhörbaren Balkon alles aus, was sie über Machenschaften gegen ihr Gastland wissen. Und zwar, nachdem sie sich gefragt haben, wo der Koch abgeblieben sei. Der nämlich versteht Chinesisch und steht horchend um die Ecke. Das ist unteres Niveau wie in der Fernsehserie Sturm der Liebe, wo brisante Gespräche immerzu von Dritten am halboffenen Fenster oder hinterm Busch mitgehört werden.

Der Koch heißt Ricardo und muss um sein Leben bangen, als er die aufgeschnappten Informationen an die richtige Stelle bringen will. Endlich gibt es nicht nur Thesen und Bösewichte, sondern jemanden, mit dem man mitfiebern kann. Das ist viel interessanter als all die Ausflüge in verschiedene Weltgegenden. Fürs glückliche Ende sorgt eine aufrechte Majorin des brasilianischen Geheimdiensts, die rechtzeitig schießt, als sie mit einem Karatetritt erledigt werden soll. Sie rettet damit sich, Ricardo und die Welt. Und ein klein wenig diesen Roman mit dem überzeugenden Anliegen und der misslungenen Umsetzung.

Titelbild

Dirk Rossmann: Der neunte Arm des Oktopus. Thriller.
Bastei Lübbe, Köln 2020.
395 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783785727416

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