Die durch die Hölle gehen

Mit dem Band „Was kostet eine Frau?“ legt das Feministisches Bündnis Heidelberg eine radikalfeministische Kritik der Prostitution vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer wieder gelangen erschütternde Berichte aus dem menschenunwürdigen Alltag von Prostituierten an die Öffentlichkeit. Zu den eindringlichsten zählt nach wie vor Rachel Morans 2015 erschienenes Buch Was vom Menschen übrig bleibt. Auch in dem jüngst vom Feministischen Bündnis Heidelberg herausgegebenen Sammelband Was kostet eine Frau? informieren Feministinnen über das Elend der Prostitutions-Hölle, unter ihnen etwa die Prostitutions-Überlebende Rosen Hilcher. „Aussteigerin Sophie vom Netzwerk Ella“ weiß in einem Interview ebenfalls einiges zu berichten.

Allerdings belässt es der Band nicht bei solchen Einblicken in das elende Dasein von Prostituierten, sondern bietet zudem teils hochtheoretische Analysen des Prostitutionsgeschäfts und des gesellschaftlichen Verhältnisses zu ihm. Die sind auch dringend notwendig. Denn wie es im Vorwort heißt, wird „bei der Thematisierung der Prostitution […] in der Regel nicht ihre gesellschaftliche Lage analysiert“. Stattdessen wird der „Fokus“ allzu oft auf die „vermeintliche Freiwilligkeit“ der Prostituierten gelegt. Doch wie der Band zeigt, „[kratzt d]ie Frage, ob eine Frau freiwillig in der Prostitution tätig ist, […] lediglich an der Oberfläche“.

Die im Vorwort entfaltete dreiteilige Gliederung der Beiträge unter die Rubriken Prostitution im Geschlechterverhältnis, Einblicke in die Prostitution und Umgang der Gesellschaft mit Prostitution erweist sich zwar als sinnvoll, wird im Inhaltsverzeichnis allerdings nicht deutlich. Das sich als „radikalfeministische Gruppe“ definierende Heidelberger Bündnis sieht sich mit seiner Prostitutionskritik „in der Traditionslinie des 2. Welle-Feminismus“. Tatsächlich ist die feministische Kritik der Prostitution auch in Deutschland schon um ein dreiviertel Jahrhundert älter. Im Kaiserreich zählten etwa Anna Pappritz, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann zu ihren umtriebigsten Protagonistinnen.

Zwei analytische Texte eröffnen den vorliegenden Band. Im theoretisch wohl anspruchsvollsten Beitrag entwickelt Hanna Vatter eine „marxistische Lesart der Prostitution“, anhand der sie „[d]ie Frau als Ware im Neopatriarchat“ analysiert. Ihrem Ansatz zufolge handelt es sich bei Prostitution um eine „lohnförmig organisierte Tätigkeit“, bei der die Frau „die Ware Sex [produziert], die in der aktuellen Warenzirkulation männerbündisch organisiert gehandelt wird“. Dabei sei die produzierte Ware, also die „sexuellen Handlungen“, mit der Warenproduzentin „so ineinander verschlungen“, dass beide „kaum noch von einander zu trennen“ seien. Doch „verstärkt“ dies auf paradoxe – oder wie die Autorin vielleicht sagen würde dialektische – Weise deren „identitätslogische Objektifizierung nur“, so dass „die prostituierte Frau […] in ihrer Individualität austauschbar“ und ihre „Subjekthaftigkeit […] ausgelöscht“ wird. Ungeachtet des oft sperrigen Jargons der Autorin ist es durchaus lohnend, sich durch ihren Text zu kämpfen, bietet er doch manch instruktive Erkenntnis.

Im Anschluss an Vatters Aufsatz untersucht Manuela Schon „auf der Basis der Theorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu“ Prostitution „als Teil männlicher Herrschaft“. Wie sie darlegt, ist Prostitution als „Gewaltakt“ zu klassifizieren, da es sich bei ihr „um das Streben nach Lustgewinn mit der nackten Ausübung der Macht über die auf Objektstatus reduzierten Körper handelt“. Zudem sei das „Feld der Prostitution“ ein „Austragungsfeld symbolischer Kämpfe, in denen ökonomische Faktoren eine bedeutende Rolle spielen, indem ökonomisches Kapital (Geld) in symbolisches Kapital (Frauen) umgesetzt wird“. Die Verteidigung der Prostitution als freiwillige und selbstbestimmte Tätigkeit gründe in einer „neoliberale[n] Ideologie“, die „von einer sehr individualistischen Perspektive auf die Prostitution [geprägt]“ sei, der gemäß sich weder die Gesellschaft noch der Staat „in eine freie Transaktion zwischen zwei Individuen […] einzumischen“ haben.

Das aber sei „problematisch“, da „Individuen ihre Entscheidungen niemals in einem Machtvakuum treffen“. Vor allem aber „negiert eine individualistisch geprägte Analyse, dass die Existenz von Prostitution nicht nur die im Prostitutionsmarkt agierenden Personen betrifft“. Denn „die Existenz von Prostitution betrifft jede einzelne Frau“, während „[a]lle Männer, egal ob sie Prostitution nutzen oder nicht“, von ihr „profitieren“. Zugleich, so muss man hinzufügen, deformiert Prostitution alle Männer, ihre Sexualität und ihren Blick auf Frauen.

Einen nicht unbeträchtlichen Teil der Männer, nämlich diejenigen, die Prostituierte aufsuchen, stellt die Französin Claudine Legardinier in den Fokus ihrer Kritik. In einer vermutlich von der Übersetzerin Lou Marin eingefügten Fußnote wird sprachlich zwar etwas unbeholfen, aber doch zurecht darauf hingewiesen, dass die hierzulande übliche Bezeichnung „Freier“ „ein neutraler Begriff [ist], der zur Unsichtbarmachung im Patriarchat beiträgt“. In Frankreich sei von „Abolitionist*inne[n]“ daher der „Begriff „Prostitueur“ geschaffen“ worden. Die deutsche Prostitutionsgegnerin Anita Augspurg sprach hierzulande tatsächlich sogar schon 1905 ganz ähnlich von Prostituenten.

In einem weiteren Beitrag beleuchtet Géraldine Wronski „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ mit einem besonderen Blick auf die Methode nigerianischer FrauenhändlerInnen, sich ihre Opfer mit deren Angst vor Voodoo-Zauberei gefügig machen. Der nicht weniger perfiden „Loverboy“-Methode wendet sich Anielle Gutermann zu. Hier machen sich Zuhälter an jugendliche Frauen, oft noch Schülerinnen, heran, gaukeln ihnen die große Liebe vor, machen sie emotional von sich abhängig und schicken sie schließlich auf den Strich.

In einem weiteren Beitrag vergleicht Jagda Hügle die einander diametral entgegengesetzten Prostitutionsgesetzgebungen in Deutschland und Schweden, während Cathrin Schauer-Kelpin über die Arbeit des von ihr schon vor Jahrzehnten gegründeten Vereins Karo e.V. informiert, der Prostituierten beiderseits der deutsch-tschechischen Grenze „[i]n Form von Streetwork, telefonischer Beratung, der Begleitung zu Behörden und einem Schutzhaus Hilfsangebote zur Verfügung stellt“. Die Traumatherapeutin Anna Schreiber wiederum berichtet in einem Interview von ihrer Arbeit mit prostitutionsgeschädigten Frauen.

Die ehemalige Prostituierte, heutige Doktorandin und Gründerin des Netzwerks Ella Huschke Mau ist ebenso wie die bereits erwähnte Manuela Schon nicht nur mit einem Beitrag im vorliegenden Band vertreten, sondern eine der Herausgeberinnen des ebenfalls radikalfeministischen Sammelbandes der Störenfriedas. Diesmal beantwortet Mau nicht nur die Frage, wie mit der Prostitution umzugehen sei, sondern bietet unter Rückgriff auf ihre Erfahrungen als Prostituierte sowie anhand von Untersuchungen zur Prostitution eine stets klar und deutlich formulierte „politische Analyse der Prostitution“. Beispielhaft für ihre ebenso anschauliche wie überzeugende Art zu argumentieren mag ihre Erläuterung stehen, warum es sich bei Prostitution nicht um eine Dienstleistung handelt:

Grob gesagt: dem Kunden der die Dienstleistung einer Physiotherapeutin in Anspruch nimmt, ist nur wichtig, dass sie korrekt und gut ihren Job ausübt. Dem Prostitutionskunden hingegen kann nicht nur das wichtig sein, denn sonst wäre es ihm egal, ob z.B. ein männlicher Rentner die Dienstleistung ausübt oder eben eine junge hübsche Frau. Dienstleistung ist Dienstleistung und Blowjob ist Blowjob, oder?

Weiterhin legt sie dar, was die bundesdeutschen Prostitutionsgesetzgebungen seit 2002 genau besagen und wozu sie führten. Außerdem nimmt sie den beliebten Mythos auseinander, dass Prostitution zu weniger Vergewaltigungen führe. Ihr Engagement für das Nordische Modell, das Freier, nicht aber Prostituierte bestraft, begründet sie damit, „dass man Frauen nicht vorschreiben kann, was sie mit dem eigenen Körper tun, Freiern aber eben sehr wohl, was sie mit dem Körper anderer tun“. Gegen den Einwand, ein Sexkaufverbot dränge Prostitution „in den Untergrund“, bringt Mau vor, dass sie „nicht in dunklen Ecken stattfinden kann, sondern sichtbar sein muss, damit Prostituierte und Freier sie finden – und wenn Freier das können, sind auch Polizei und SozialarbeiterInnen dazu in der Lage“.

Enttäuschend ist hingegen Brigitte Kiechles Beitrag, der zwar verspricht, über historische und heutige „[f]eministische und linke Positionen zur Prostitutionsfrage“ zu informieren, um den Lesenden „zu vergegenwärtigen, welche Positionen emanzipatorische Bewegungen in der Vergangenheit zum Thema Prostitution eingenommen haben“, tatsächlich aber ausschließlich linke, aus der Geschichte gar nur marxistische und anarchistische Positionen vorstellt. Namentlich diejenigen von August Bebel und Alexandra Kollontai sowie der spanischen Anarchistinnen von Mujeres Libres und von Emma Goldmann. Positiv erwähnt wird außerdem der längst zum Oberhaupt eines diktatorischen Familienclans herabgesunkene Sandinist Daniel Ortega, von dem in Kiechles Artikel natürlich nicht zu erfahren ist, dass ihn nur seine politische Immunität davor bewahrte, als vielfacher Vergewaltiger seiner Stieftochter angeklagt zu werden. Dafür hebt sie hervor, dass Ortegas kubanischer Genosse Fidel Castro die Föderation kubanischer Frauen „persönlich ins Leben gerufen[]“ habe. Kein Wort verliert die Autorin hingegen über ProstitutionsgegnerInnen, die nicht kommunistisch oder anarchistisch waren, wie etwa Josephine Butler, die wohl bemerkenswerteste Abolitionistin im viktorianischen England, deren Bedeutung weit über das Königreich hinausreichte, oder über die bereits erwähnten Prostitutionsgegnerinnen der ersten Frauenbewegung in Deutschland.

Einer der ausführlichsten wie auch informativsten Beiträge widmet sich nicht der Prostitution, sondern der Pornographie. In ihm zeichnet Mona Schäck die jahrzehntelange Kontroverse zwischen AktivistInnen der PorNo-Bewegung und der sich selbst als sexpositiv bezeichnenden Feministinnen nach, die feministische Pornografie für möglich halten und propagieren. Sodann zeigt die Autorin die argumentativen Schwachpunkte beider Seiten auf, um abschließend anhand der Analyse von Inhalten, Produktionsbedingungen und dem Konsum pornographischer Filme „die Grundlangen einer neuen feministischen Kritik an der Pornografie“ zu entwerfen.

Nach Mara Moneyrains abschließender Aufforderung, dass die Prostitutionskritik „praktisch werden“ muss, listet ein Anhang Stellen auf, die Prostituierten Ausstiegsberatungen und andere Hilfen bieten.

Mögen auch ein oder zwei der Aufsätze nicht ganz halten, was sie versprechen, so liegt mit Was kostet eine Frau? doch einer der seit langem wichtigsten Beiträge zur Kritik der Prostitution vor.

Titelbild

Feministisches Bündnis Heidelberg: Was kostet eine Frau? Eine Kritik der Prostitution.
Alibri Verlag, Aschaffenburg 2020.
304 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783865693174

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