Antisemitismus und Antifeminismus

Einführende Bemerkungen zu einer bedenklichen Korrelation

Von Susanne MaurerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Maurer

Mit dieser kurzen einleitenden Anmerkung soll auf einen wichtigen Zusammenhang im Kontext von antijüdischen Stereotypen und deren Wirkmächtigkeit aufmerksam gemacht werden: auf die Bedeutung der Dimension Geschlecht und auf (systematische) Verbindungen zu antiemanzipatorischen, insbesondere auch antifeministischen Motiven. Meines Erachtens sind es gerade diese Verbindungen, die die Mobilisierung von Affekten im Kontext des Antisemitismus – zumindest teilweise – erklärbar machen. In den letzten Jahren sind – z.B. beim Angriff auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 – die antifeministischen Motive im Zusammenhang mit rechtsextremer antisemitischer Gewalt auch explizit wieder deutlich geworden.

Bereits um 1900 hat die ebenso scharfsinnige wie scharfzüngige Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm den Begriff „Antifeminismus“ in Analogie zum Begriff „Antisemitismus“ gebildet, und beides auch zusammengedacht (vgl. Dohm 1902). Das seit über 25 Jahren existierende interdisziplinäre Netzwerk historisch arbeitender Frauen, „Frauen & Geschichte Baden-Württemberg e.V.“, hat sich dem komplexen Verhältnis von Antisemitismus und Antifeminismus im Rahmen seiner Jahrestagung 2017 dezidiert zugewandt (vgl. Frauen & Geschichte Baden-Württemberg e.V. 2019).

Einige historische Befunde der genannten Tagung seien hier nur kurz benannt, weil sie zu den in diesem Themenschwerpunkt aufgeworfenen Fragen eine gewisse Korrespondenz aufweisen:

– Es zeigt sich die Omnipräsenz und Wirkmächtigkeit antisemitischer Motive, Artikulationen und Aktionen, die auch vor den politischen Denkerinnen und Aktivistinnen der frühen Frauenbewegungen nicht Halt machten.

– Es zeigt sich auch, dass die kritischen Köpfe – etwa des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung um 1900 – den zeitgenössischen Antisemitismen vor allem mit Mitteln der Vernunft beizukommen versuchten, und dabei die Kraft des Arguments offenbar überschätzten (vgl. Briatte 2019).

– Nicht zuletzt zeigt sich, dass es überwiegend eine Nicht-Thematisierung, oder gar Ausblendung des antisemitischen Moments antifeministischer Angriffe seitens vieler Akteurinnen der frühen Frauenbewegungen gab.   

 Im kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt des Marburger Genderzentrums zu aktuellen Antifeminismen (vgl. Henninger/Birsl 2020) haben wir den Zusammenhang von Antifeminismus mit anti-pluralen und demokratiefeindlichen, ja – menschenverachtenden – Haltungen und Aktivitäten in vielfältiger Weise empirisch untersucht. Dabei konnten auch die implizit antisemitischen Motive, die sich insbesondere über Verschwörungserzählungen vermitteln, deutlich herausgearbeitet werden. Im Kontext unseres Projektes wurde wiederum die zentrale Bedeutung der ‚Affekt-Mobilisierung‘ deutlich, die an bereits vorhandene und verbreitete Ressentiments anschließen kann.

Wenn Karin Stögner in ihrer systematischen Arbeit über Judenfeindschaft und Sexismus zu der Feststellung gelangt, dass Antisemitismus eine beständig wiederbelebbare und, je nach historisch-gesellschaftlicher Konstellation, „überaus flexible menschenverachtende Ideologie“ sei, „durchdrungen […] von homophoben und antifeministischen Momenten“, häufig auch „als Kapitalismus- oder Imperialismuskritik maskiert“ (vgl. Frauen & Geschichte Baden-Württemberg e.V. 2019, S. 10), so kann vermutet werden, dass die Persistenz sowohl antisemitischer als auch antifeministischer Motive sich nicht zuletzt dieser Flexibilität ‚verdankt‘. Vielleicht kann hier ja an eine zunächst (noch) unbestimmtere Affektivität angeschlossen werden (vgl. Autorinnengruppe ‚Subjekt‘ 2020), aus der heraus sich dann – und dies nicht von ungefähr ­– ganz bestimmte Artikulationsformen von Judenhass entwickeln können?

Literatur

Autorinnengruppe ‚Subjekt‘ (2020): Subjekttheoretische Annäherungen an zeitgenössische Antifeminismen. In:Henninger, Annette/Birsl, Ursula (Hrsg.) (2020): Anti-Feminismen – ‚Krisen‘-Diskurse mit gesellschaftsspaltendem Potential?, Bielefeld: transcript, S. 387-429.

Briatte, Anne-Laure (2019): Wie radikal war die radikale Frauenbewegung im Umgang mit (antifeministischem) Antisemitismus? In: Frauen & Geschichte Baden-Württemberg e.V. (Hrsg.) (2019): Antisemitismus Antifeminismus. Ausgrenzungsstrategien im 19. und 20. Jahrhundert. Roßdorf: Ulrike Helmer Verlag, S. 39-58.

Dohm Hedwig (1902): Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung, Berlin (der Originaltext ist digitalisiert u.a. zu finden unter: Projekt Gutenberg bei Spiegel online (http://gutenberg.spiegel.de/buch/4774/1).

Frauen & Geschichte Baden-Württemberg e.V. (Hrsg.) (2019): Antisemitismus Antifeminismus. Ausgrenzungsstrategien im 19. und 20. Jahrhundert. Roßdorf: Ulrike Helmer Verlag.

Henninger, Annette/Birsl, Ursula (Hrsg.) (2020): Antifeminismen – ‚Krisen‘-Diskurse mit gesellschaftsspaltendem Potenzial? Bielefeld: transcript. 

Maurer, Susanne (2019): Die Antifeministen (1902): Hedwig Dohms frühe Analyse eines politischen Phänomens. In: Näser-Lather, Marion/Oldemeier, Anna Lena/Beck, Dorothee (Hrsg.): Backlash?! Antifeminismus in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, Sulzbach/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, S. 83-102.

Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung (Hrsg.) (2003): Ariadne. GegenBewegung der Moderne. Verbindungen von Antifeminismus, Antisemitismus und Emanzipation um 1900, Heft 43. Kassel.

Stögner, Karin (2019): Konstellationen von Antisemitismus und Sexismus. In: Frauen & Geschichte Baden-Württemberg e.V. (Hrsg.) (2019): Antisemitismus Antifeminismus. Ausgrenzungsstrategien im 19. und 20. Jahrhundert. Roßdorf: Ulrike Helmer Verlag, S. 15-35.