Ein ganz besonderer Charakter

Christopher McDougall teilt in „Das Glück ist Grau“ seine Faszination der Spezies Esel mit

Von Stefanie SteibleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Steible

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erfolgsautor Christopher McDougall hat mit Das Glück ist Grau ein lohnendes Buch geschrieben. Darin vereint er, über den Mut zum Neuanfang zu berichten – egal in welchem Alter und Körper- bzw. Geisteszustand – und parallel ein Bild von dem Amerika zu zeichnen, das hierzulande oft in Vergessenheit gerät, nämlich die ländlichen Gebiete. Das alles gelingt ihm mit der Erfolgsgeschichte des verwahrlosten Esels Sherman. Sein Besitzer hatte das Tier bereits abgeschrieben und zum Schlachthof bringen wollen. Der Autor vermag es, seinen Lesern zum einen Esel als liebenswerte, mutige und lernwillige Tiere näher zu bringen, zum anderen setzt er Sherman als Synonym für den menschlichen Willen ein, der viel bewegen kann, wenn er denn wirklich möchte. 

Die Geschichte ist dabei so einfach wie faszinierend und erzählt von Shermans Überlebenskampf, seinen ersten Schritten in die Freiheit und den menschlichen Handlungen, die ihm die nötige Kraft verleihen.Das zeigt die Quintessenz der Geschichte, nämlich dass das Leben am besten im Einklang miteinander funktioniert und sich dauerhafte Erfolge eben nur dann einstellen, wenn man zusammen- und nicht gegeneinander arbeitet. McDougall personifiziert dies in seiner eigenen Lebensgeschichte: Wie er seine Frau traf, sie für sich gewann, sein Leben mit ihr von der Stadt aufs Land verlegte, dort sein Glück fand und sie schließlich sogar für das Eselsrennen gewann, das er am Ende mit ihr gemeinsam absolviert. Das Werk könnte somit in zweierlei Hinsicht als Entwicklungsroman kategorisiert werden.

Langsam und mit viel Geduld gelingt es dem passionierten Läufer Christopher McDougall nicht nur, Sherman die Lebensgeister wieder einzuhauchen, sondern ihn auch zum Laufen auf Schotter, Asphalt und schließlich über Wasser, durch Berge und Labyrinthe zu bewegen. Dabei überschätzt er sich immer wieder und er unterschätzt auch regelmäßig die anstehenden Herausforderungen, genauso wie den unbändigen Willen des Tiers. Anfangs ist er noch überzeugt: „Rumsitzen und füttern, das krieg ich hin“, bedenkt allerdings nicht, „dass die Götter die, die sie zerstören wollen – wie Prometheus –, zunächst mit Vermessenheit ausstatten.“ Das führt ihm Sherman in schöner Regelmäßigkeit vor Augen und es zeigt uns die inzwischen oft in Vergessenheit geratene Innigkeit der jahrtausendealten Beziehung zwischen Menschen und Tieren in aller Reinheit auf. 

Im Laufe der Zeit lernt McDougall, dass er es mit Sherman nicht allein schaffen kann. So bindet er zunächst die heimischen Ziegen und zwei weitere Esel in seine Experimente ein, lernt aber auch schnell, dass es mit Tricksen bei dieser Spezies nicht funktioniert, sondern der Entwicklung neuer Trainingsmethoden im Hier und Jetzt bedarf. Nach und nach bezieht der Autor weitere menschliche Trainingspartner mit ein, deren eigene Lebensgeschichten allerdings vom Hauptstrang der Erzählung manchmal ablenkt. Mehr von Sherman zu erfahren, wäre emotional anrührender gewesen. Am Ende ergibt sich dennoch ein stimmiges Bild, denn mit Sherman allein wäre McDougall chancenlos gewesen, den Zieleinlauf beim berühmtesten Burro-Lauf in Colorado zu erreichen, den er sich anfangs als fixe Idee auserkoren hatte. 

Ob allerdings die Beweggründe und Trainingsmethoden der erfolgreichsten Burro-Läufer unbedingt so hätten auserzählt werden müssen, bleibt dahingestellt, denn sie lassen Shermans einzigartigen Weg ein wenig verblassen. Die Lebenswelt der amischen Kultur, deren Angehörige vorrangig in Pennsylvania zuhause sind, zu beschreiben, fügt sich dagegen sehr gut ein. Denn ihr Ansatz ohne Autos, Gewalt und Elektrizität zu leben, stellt McDougall zwar auch vor einige Herausforderungen, doch eröffnet er ihm auch des Öfteren einen Weg aus Situationen mit Sherman, die zunächst aussichtslos erscheinen.

Somit leistet das Buch auch gesellschaftliche Kritik, indem Neid und Entfremdung als Gift für Gemeinschaften beschrieben werden und die Zeit mit Familie und Freunden dagegen als Lebenselixier, wie es auch die Esel zu vermitteln scheinen: „Mach langsam. Genieß deine Welt.“ So lautet eine von McDougalls Philosophien, dass Träume am Anfang jedes neuen Abenteuers stehen, „und unsere größten Träume verdanken wir den Menschen in unserer direkten Umgebung.“ 

Dass es dabei oft Herausforderungen zu bewältigen gibt, es sich aber lohnt, andere Wege zu suchen und sie einzuschlagen  und wie bei den Eseln im Leben oft ganz andere Kommandos und Anreize wirken, als wir zunächst vermuten würden  das lehrt uns dieses Freude bereitende Buch: Freude am Leben auf dem Land, Freude an fremden Kulturen und Menschen, anderen Lebensentwürfen, und nicht zuletzt Freude und echte Faszination für die so oft nur als stur bekannten Esel. Der Mensch ist selbst schuld, wenn er die ungeheuren Kapazitäten der Tiere auf diese Eigenschaft beschränkt – diese Erkenntnis bleibt nachdrücklich haften und lässt sich auf viele andere Situationen übertragen. 

So bildet der Eselsport, der auf die Goldsucher und ihre Esel zurückgeht, einen kompletten Kontrast zum sonstigen amerikanischen Sportgeschehen, das stets auf „Macht und Besitzstreben, Stärke und Dominanz“ abzielt. Hier zählen keine Schmerzen, sondern „die Kraft des Teilens und der Fürsorge für den anderen […] die Kraft von Mitgefühl und Zusammenarbeit“. Dass Burro-Läufer (und erstaunlich viele Läuferinnen, die in diesem Sport mit besonderem Respekt behandelt werden) zu den fittesten Athleten gehören, und wie dieser Zustand erreicht werden kann, erfährt der Leser zusätzlich zu der Cinderella-gleichen Geschichte eines schon abgeschriebenen grauen kleinen Tiers. McDougall erzählt sie mit viel Humor und einer gesunden Portion Selbstironie, was dem Leser ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Titelbild

Christopher McDougall: Das Glück ist grau.
Aus dem Englischen von Simone Jakob und Anne-Marie Wachs.
DuMont Buchverlag, Köln 2020.
416 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783832181185

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