Nur ein schwebendes Lächeln

Ana Luísa Amaral dichtet in „Was ist ein Name“ über die Schönheit der Welt

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vorangestellt sind diesem Band Shakespeares Verse, Romeo und Julia entnommen – „what’s in a name“, der Vers also, der auch titelgebend ist. Was ist ein Name, mehr noch vielleicht: was ist in einem Namen, was belebt, hält, trägt und bewahrt den Namen? Was leuchtet aus dem Namen hervor? Die Silben sind es nicht, der „Mythos“ – anders gesagt: die Geschichte, weder fiktiv noch heroisch – dauert fort, denn wenn „der Name verlöscht, bleibt die Liebe“. Die Zweisamkeit, „unsere kurze Geschichte“, bleibe für die „menschliche Ewigkeit“, etwas zurückhaltender aus dem Portugiesischen übersetzt – bleibe für immer, zumindest solange Menschen sich davon erzählen können. Die Geschichte zu zweit werde „wie die Rose sein“, mehr noch „wie ihr Duft“, von nichts und niemandem eingehegt, nicht kaserniert, nicht unterdrückt, sondern einfach frei. Eine Utopie? Oder eine Hoffnung? Dieses alles, diese eine Rose, deren Duft geblieben ist, sei ein „Thema“:

wohin der Blick am fernsten reicht
Und was ein Blick nicht mehr
erreicht.

Von „Trugbildern“ fantasiert die Autorin, von Kakteen, die sich aufführten, als seien sie „Kathedralen“, Schatten werfend, imposant, auch stachelig. Woran erinnern wir uns? Es wird heute noch selten gesehen, so viel seltener als vor kurzer Zeit. Gegenwärtig, in der maskierten Corona-Welt, bleibt so vieles Schöne verborgen:

Das Lächeln
festgehalten im Bild:
jener sich neigende Punkt
an dem tausende Muskeln langsam
wie ein Stern alles kreisen lassen:
den Mund, das Gesicht, den Blick-
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Das Lächeln bleibe sichtbar, werde nicht aufgelöst, auch nicht von Philosophien erdrückt oder schablonenhaft geordnet, sondern es dauere fort, „unversehrt“, aufbewahrt gegen die „Raserei des Lebens“ und gegen eine „endlos geglaubte Lieblosigkeit“. Das Lächeln verweilt schwebend, erklingt wie eine „Oper von erwachender Inspiration“, wie ein „Sopran, der sich schwingt über den Zwischenraum“. Wer wollte nicht daran glauben, darauf hoffen? Wer könnte sich nicht an das Lächeln erinnern, das wie ein unschätzbar wertvolles Geschenk des Augenblicks den Empfänger bereicherte, ein Lächeln, das die Zeit anhielt und Räume versonnener Freude öffnete – des Glücks, möglicherweise, das auch das klügste Denken nicht begrifflich zu fassen weiß?

Sogar ein Geburtstagsfest könne Freude schenken, auch wenn „all die Leute singen“ und „die Erwachsenen sich danebenbenehmen“: „Aber mir hat es Spaß gemacht.“ Doch zugleich bleibt ahnungsvoll, dieser „kleinen Freude der Stille“ zum Trotz, auch „das Nichts“ gegenwärtig – aber stört die Ahnung der Endlichkeit? Ist dieser Ausblick auf die nahe, ferne Gewissheit, in die immer noch Spuren des Ungewissen eingezeichnet bleiben, ein Anlass zu Trübsinn in dem „bunten Fest“?

Die Dichterin bewahrt ihre Skepsis gegenüber der „Klarheit der klaren Dinge“. Sie deckt nicht auf, sie wünscht sich:

Ein Gedicht, das in der Bedrängnis frohlockt,
ein riesiger blutfarbener Rhododendron.

Wir hoffen auf die leuchtende Pracht, auf „Musik, Musik, Musik und eine Explosion von Farben“. Vor allem aber sucht Ana Amaral „die einfachste Sprache“, besonders „für Dinge, die nicht einfach sind“, etwa für „Quittungen des Lebens“. Sie möchte zeigen, in ihrer Sprache, was schön war, „so schön wie der Himmel an jenem Tag“. Mit der Macht der Fantasie wechselt die Lyrikerin den Blick und schaut hin zu der „verbotenen Straße“, sähe sodann, gewiss „verzückt“, in einem verstohlenen Moment dankbarer Entrückung „das Unsichtbare“.

Mit bleischwer anmutenden philosophischen Worten versucht Piero Salabè die oft federleichte Poesie der portugiesischen Dichterin zu deuten. Frau Amaral spüre der „traumhaften Essenz des Lebens“ nach, suche aber nicht ein „Paradies religiöser Erlösung“, sondern die „Möglichkeit der Erfahrung von Transzendenz in unserer nachmetaphysischen Zeit“. Tut sie das wirklich? Vernünftigerweise lesen wir das Nachwort nach der Lektüre eines Buches, denn es ist ja – nicht grundlos – nachgestellt, nachgetragen, als Reminiszenz und Deutungsversuch, als Einordnung vielleicht. Die Frage aber, die nun gegenwärtig war und zu neuer Lektüre ermuntern könnte: Ob Salabè dasselbe Buch gelesen hat? Deckt sich diese Interpretation mit den eigenen Erfahrungen bei der Lektüre? Und mehr noch: Hätte – ganz konkret gesagt – ich dieses Buch überhaupt gelesen, wenn ein solcher Beschreibungsversuch der Gedichtauswahl vorangestellt worden wäre? Metaphysik macht müde, nachmetaphysisches Denken und Dichten vielleicht nicht weniger.

Ana Luísa Amaral bewegt sich dichtend jenseits philosophischer Metaphysik, sie schwärmt auch nicht von säkularen Transzendenzerfahrungen. Mit den Augen der Dichterin nimmt sie die Farben dieser Welt wahr, also vielleicht ein wenig anders als viele andere. Ihre schwebende Sprache hat nichts gemein mit der tüchtigen, effizienten und geschickten Prosa des Alltags, nichts mit einer öden oder abstrakten Diktion der Betriebsamkeit, die das Dasein erschöpfend ausfüllen kann, bis an dessen Ende jeder angestrengte Eifer in ein unvermeidliches Nichts hinabsinkt. Mit diesem vergehen auch die Fragen, die letztlich niemand beantworten kann. Oder lässt sich die Frage: Was bleibt? – doch beantworten? Eine Antwort darauf ist weder müßig noch stimmt sie zwangsläufig ruhig. Vielleicht erinnert sich so mancher alt gewordene Junge an das schwebende Lächeln eines Mädchens, das er geliebt hat, mehr als er hatte sagen können. Erwiderte er das Lächeln so, dass sie das spürte?

Ein Mensch beginnt angestrengt zu philosophieren und kommt doch nicht weiter, ein anderer träumt von der rauschhaften Kolorierung des Lebens und blickt versonnen in die große Weite. Der portugiesischen Dichterin Ana Amaral gelingt es – ganz oft – die schönste, also die „einfachste Sprache“ zu finden, für so vieles, besonders für all jene „Dinge, die nicht einfach sind“. Mit großer Dankbarkeit dürfen wir ihre Dichtungen nun auch in deutscher Sprache kennenlernen. Diese sehr besondere Lyrik klingt nach, verführerisch und lebensvoll.

Titelbild

Ana Luísa Amaral: Was ist ein Name. Gedichte. Edition Lyrik Kabinett.
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler und Piero Salabé.
Carl Hanser Verlag, München 2021.
112 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783446269125

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