Posthumanistischer Hoffnungsschimmer

In „Novozän. Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz“ gibt James Lovelock einen utopischen Ausblick auf eine lebens- und klimafreundliche KI

Von Robert SteffaniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Steffani

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Regel stimmt das Thema der künstlichen Intelligenz (KI) sorgenvoll. Zwar ist der anthropomorphe Muskelberg aus James Camerons Terminator ein überholtes Gespenst der Popkultur, aber die Angst vor einer Unterwerfung des Menschen hält sich hartnäckig. Umso erfrischender ist Lovelocks These, dass Cyborgs und Menschen sich im hereinbrechenden Zeitalter des titelgebenden Novozäns alliieren könnten, um gemeinsam gegen die wachsende Bedrohung der Klimaerwärmung zu kämpfen. Seine Begründung leuchtet unmittelbar ein. Demnach wären Cyborgs dem Menschen in nahezu jeder Hinsicht überlegen, jedoch genauso abhängig von einem lebensfreundlichen Klima. Sie bräuchten uns, so wie wir sie.

Der Technikoptimismus des Erfinders und Naturwissenschaftlers ist nur mit Blick auf seine Gaia-Hypothese zu verstehen, die er bereits in den 1970er-Jahren entwickelte und der zufolge die Erde, Gaia, sich wie ein lebender Organismus selbst reguliert. Ausgehend von den vielen Rückkopplungsprozessen, die unsere Biosphäre stabilisieren, spannt sein neuestes Buch den Bogen zur planvollen Evolution der technischen Hyperintelligenz. Diese wäre – im Gegensatz zu anderen Spezies – in der Lage, sich stetig und in enormer Geschwindigkeit selbst zu verbessern, und somit auch große Projekte wie extraterrestrische Sonnenreflektoren in kürzester Zeit umzusetzen. Die Logik des gaianischen Systems legt diese Prognose nahe. Denn entgegen einiger Interpretationen ist Gaia nicht teleologisch, sondern evolutionstheoretisch zu begreifen.

Als populärwissenschaftliches Buch verfehlt Novozän nicht seine Aufgabe, schwierige, komplexe Sachverhalte und Theorien auf ihr Wesentliches zusammenzustreichen. Interessant ist die Frage, ob es dabei der Gefahr entgeht, bis zur Unverständlichkeit zu simplifizieren. Ein Aspekt, der sowohl in negativen als auch positiven Kritiken der Gaia-Hypothese immer wieder betont wird, ist ihre universelle Einfachheit. Im Vorwort schreibt der Journalist Bryan Appleyard sogar von „makelloser Einfachheit“. Diese Formulierung ist aber irreführend. Sie verschleiert, dass die Aussage der Hypothese nur einfach erscheint, weil sie verdichtet, was für Laien kaum zu begreifen ist.

Lovelock gibt zu, dass er Schwierigkeiten hat, den „komplexen, mehrdimensionalen Prozess“ der gaianischen Selbstorganisation zu erklären. Um dem Leser und der Leserin dennoch eine Möglichkeit zum besseren Verständnis anbieten zu können, schlägt er ihnen kurzerhand vor, das eigene Denken zu ändern. Das würde bedeuten, sich zuallererst von der klassischen Logik und dem Prinzip von Ursache und Wirkung zu befreien und stattdessen auf die primitive Fähigkeit der Intuition zu verlassen. Für einen Naturwissenschaftler scheinbar ein radikales Ansinnen, schließlich beruht die Gewissheit und Selbstgewissheit seiner Zunft auf empirisch fundierten und stichhaltigen Schlussverfahren.

Aber was bedeutet es eigentlich, durch Intuition zu Wissen zu kommen? Durch „die Intuition“, so steht es im Buch, „können wir viel mehr wissen, als wir sehen“. Klingt ganz einfach, nur ist es das nicht. Überdies erfährt man, was sich logisch nicht erklären, allenfalls beschreiben lässt; so etwa James Watts Fliehkraftregler oder die Quantentheorie. Auch die Frage nach der intuitiven Methodik scheint diesem erkenntnistheoretischen Problem zu unterliegen. Der Autor kann lediglich beschreiben, weshalb er an ihrer Erklärung scheitert.  

Ärgerlich ist außerdem Lovelocks Versuch, die Schuld am begrenzten Denken in der menschlichen Sprache zu suchen, wenn er etwa schreibt: „Wie ich das sehe, besteht das logische Problem der Sprache darin, dass sie linear Schritt für Schritt funktioniert.“ Dass er offenbar zwischen formaler Aussagenlogik und natürlicher Sprache nicht unterscheidet, ist fragwürdig. Weiter liest man, das sei „praktisch zur Lösung im Wesentlichen statischer Probleme und hat uns gute Dienste geleistet. Es hat Logiker wie Frege, Russell, Wittgenstein und Popper dazu gebracht, verständliche Erklärungen unserer Welt zu liefern.“ Das mag ja wahr sein, wie auch die Annahme, die Sprache beeinflusse unser Denken. Aber Wittgenstein hat ebenso gezeigt, dass es auf den Gebrauch der Sprache ankommt, und der kann intuitiv und muss keineswegs linear logisch sein. Schlecht gedacht zu haben, möchte man dem honorigen Gelehrten nicht vorwerfen, seine Verallgemeinerungen sind allerdings missverständlich und fördern falsche Schlussfolgerungen.

Ob man diese Ungenauigkeit und Unverständlichkeit problematisch findet oder nicht, das Buch führt erfolgreich und nicht zuletzt an sich selbst vor, wo die Grenzen unserer Erkenntnis liegen. Die als solche nicht sofort erkennbare Pointe ist, dass nicht wir, sondern die Cyborgs dank ihrer schnelleren, flexibleren und adaptiven Denkfähigkeit in die unerklärlichen Bereiche des Kosmos vordringen werden. Dies ist ein zutiefst posthumanistischer Gedanke: Es gibt ein Wissen nach dem Menschen. Wenngleich Lovelock nie vom kritischen Posthumanismus spricht, stimmt er in der Ablehnung des humanistischen Anthropozentrismus und seiner positiven, aber kritischen Bewertung technologischen Fortschritts mit dieser Denkrichtung überein. Hinzu kommt sein ausgeprägtes Problembewusstsein, das verwandten Strömungen wie dem Transhumanismus häufig fehlt. Ob künstliche Intelligenz Gutes oder Schlechtes bringe, ist die Gretchenfrage, mit der jeder, der sich öffentlich mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzt, früher oder später konfrontiert wird.

Im Kapitel über autonome Waffen liest man zum ersten Mal, es sei „gerechtfertigt, Angst zu haben.“ Die Warnung könnte kaum deutlicher ausfallen: „Die Vorstellung, dass man die Entwicklung von lernfähigen Computersystemen auf militärischer Ebene zulässt, scheint mir die potentiell tödlichste Idee zu sein“. Das zerstörerische Potenzial moderner Technologien ist indiskutabel. Mit Blick auf das Novozän sollten wir uns also vielmehr fragen, wie sich abseits polemischer Technophobie gesellschaftliche Korrektive bilden lassen, um die Entwicklung künstlicher Intelligenz in eine lebensfreundliche Richtung zu bringen.

Wenn man sich einmal damit abgefunden hat, dass viele der Thesen schwer oder gar nicht zu erklären und bisweilen irreführend sind, bietet Novozän eine anregende und Perspektiven eröffnende Lektüre. Vor allem ist es ein Buch über die Akzeptanz unserer natürlichen Grenzen und das Loslassen des Menschen als vermeintlich höchste Spezies – ein wichtiges Beispiel posthumanistischen Denkens.

Titelbild

James Lovelock: Novozän. Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz.
Aus dem Englischen von Annabel Zettel.
Verlag C.H.Beck, München 2020.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783406745683

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