Helene Schubart geb. Bühler, Ehefrau eines Originalgenies

Felix Huby und Hartwin Gromes schildern die Lebensgeschichte von Christian Friedrich Daniel Schubarts Frau Helene

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man schreibt den 10. Oktober 1791. In Stuttgart sagt Christian Friedrich Daniel Schubart seiner Frau Helene, dass seine allerletzte Reise bevorstehe. Stunden später ist die 45-Jährige Witwe, ohne finanziellen Rückhalt, jedoch mit dem Sohn Ludwig an ihrer Seite.

So beginnt der historisch-biographische Roman Die Schubartin von Felix Huby und Hartwin Gromes, der eine ungewöhnliche und aufwühlende Lebensgeschichte schildert. Das Autorenduo hat mit einem Roman über die Familie Kerner bereits seine Meisterschaft für dieses Metier bewiesen. Beide Bücher spielen weitgehend im württembergischen Raum – die bekanntesten Träger des Namens Kerner wurden in Ludwigsburg geboren, wo Schubart jahrelang wirkte.

Am Nachmittag jenes Sterbetages ist auch Tochter Juliana anwesend und Mutter Helene erzählt, wie es kam, dass sie als 19-jährige Tochter eines Zollbeamten der Reichsstadt Ulm den 24-jährigen hochbegabten, aber unsteten Knabenschulmeister heiratete, der auch zu Diensten als Musikdirektor und Organist verpflichtet war.

Dieser Christian Friedrich Daniel Schubart war ein Multitalent oder – wie man die Hochbegabten damals nannte – ein Originalgenie. Virtuos spielte er Orgel, Klavier, Violine und andere Musikinstrumente. Er wurde ein produktiver Komponist und scharfsinniger Musiktheoretiker, aber auch ein Dichter, dem die Verse leicht von den Lippen strömten – wie etwa der Text für die von ihm selbst und später von Franz Schubert vertonte Forelle. Als Chefredakteur und Autor eines der ersten deutschen Wochenblätter wurde er später an Fürstenhöfen und in Bürgerhäusern des zersplitterten Landes bekannt.

Was wäre wohl in unserer Zeit aus Christian Schubart geworden? Liedermacher und Alkoholiker, Bürgerrechtler und Weiberheld, Theaterintendant, Chefredakteur – oder all dies und noch viel mehr? Genies wie er lösten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die staubtrockene und volksferne Aufklärung durch den Sturm und Drang ab. Aus bürgerlichen Familien stammende junge Männer machten sich Johann Gottfried Herders Forderung zu eigen, das Herz müsse den Verstand lenken. Von ihrer Kunst konnten sie nicht leben und mussten sich als Hauslehrer, Kantoren oder Pfarrer verdingen. Manche – wie die Verfasser des Romans Die Leiden des jungen Werthers und des Dramas Die Räuber – wurden später zu Klassikern und Nationaldichtern. Andere gerieten außerhalb der germanistischen Seminare in Vergessenheit.

Schubart litt unter Fürstenwillkür und wurde ohne Prozess jahrelang eingesperrt. Der Besuch, den Schiller ihm im württembergischen Kerker auf dem Hohenasperg abstattete, zog in die deutsche Literaturgeschichte ein. Doch Schubart empfand sich nicht als Volkstribun, Georg Büchners Losung „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ war seine Sache nicht so ganz. Er fühlte sich wohl in den Palästen, solange die Damen ihm zu Füßen lagen und die Herren das duldeten. In Schwierigkeiten brachte ihn zwar auch das Eintreten für Entrechtete, aber vielmehr seine ätzende Satire, die oft persönlich und hämisch geriet. Im Kerker wütete er im Gedicht Die Fürstengruft gegen die autokratischen Kleinstaatherrscher und nannte sie „Gottes große Puppen“. Zum Feind machte er sich den durch Schillers Biographie unrühmlich bekannten Herzog Carl Eugen vor allem dadurch, dass er dessen Mätresse in einem Spottgedicht einen ranzigen Geruch nachsagte – im Zuge seines Protests gegen den Verkauf von Landeskindern als Soldaten nach England hatte er noch klug angedeutet, dieser Menschenhandel sei vielleicht nur ein Gerücht.

Angesichts der spektakulären Biographie dieses Genies, die wohl Stoff für mehrere Bücher und Filme böte, ist es zweifellos ein literarisches Wagnis, seine Frau zur Romanheldin zu machen, die doch zeitlebens in seinem Schatten stand – Jahrzehnte vor ersten wirkungsvollen Ansätzen zur Emanzipation. Wie verschaffen die Autoren nun ihrer Protagonistin so viel eigene Kontur, dass ihr Schicksal Leserinnen und Leser fesselt?

Zunächst einmal lassen sie Helene Schubart – wie etwa im ersten Kapitel – selbst zu Wort kommen. Hier kann es nicht darum gehen, ob die reale Helene Schubart als Witwe dieselbe Erinnerungs- und Ausdruckskraft besaß. Die literarische Figur hat sie jedenfalls, und auf Helenes Erinnerungen an die Brautwerbung folgen bruchlos die Ansichten von Schubart und Helenes Eltern. Dieser geschmeidige Perspektivwechsel zeichnet das ganze Buch aus und macht es zur interessanten und oft spannenden Lektüre.

Im Untertitel wird Helene als mutige Frau bezeichnet. Mit Recht? Mut war zu jener Zeit keine bei Frauen geschätzte Eigenschaft. Heiratsfähige Mädchen standen unter der Fuchtel des gestrengen Vaters; mit der Eheschließung wechselte der Gebieter. Freilich gehörte für Helene zweifellos Mut dazu, den bettelarmen Hilfslehrer mit verdientermaßen schlechtem Ruf zu heiraten, der schon in jungen Jahren nicht nur charmant und liebevoll war, sondern auch hochfahrend und zügellos. Und angesichts der amourösen und politischen Wagnisse ihres Mannes mit teils dramatischen Folgen, insbesondere fluchtartigem Wohnungswechsel, sollte man ihr den mehrfachen Ausweg mit den Kindern zurück ins Elternhaus ebenso nachsehen wie die Versöhnung mit dem Unsteten.

Um nicht zu beckmessern, kann man das Wort ‚mutig‘ vielleicht als ‚lebensmutig‘ lesen. Als Schubart durch einen falschen Freund zurück nach Württemberg gelockt wird und ohne ordentlichen Prozess jahrelang im Kerker auf der Festung Hohenasperg sitzt, wagt Helene nach vergeblichem Hoffen auf Gnadenakte ein keckes Wort gegenüber dem Herzog. Doch sie nimmt auch, wer wollte einer Mutter diesen Pragmatismus verdenken, das Angebot des Herzogs an, für ihren Unterhalt und die Ausbildung der Kinder zu sorgen.

Zwar kann ein biographischer Roman schlecht vor dem Tod der Protagonistin enden, doch ein Epilog über vergebliche Bemühungen eines Verwandten, die im Armenhaus recht zufriedene alte Frau besser unterzubringen, bringt wenig Spannung. Das mindert nicht den Wert des Romans als eigenständige Bereicherung des großen Fundus an Büchern über den Sturm und Drang. In detailreichen Schilderungen aus ungewohnter Perspektive bringt er jene Zeit und in feinen psychologischen Beobachtungen das Lebensgefühl einer besonderen Frau nahe. Die Fülle scharf gezeichneter Nebenfiguren bereichert das Buch ebenso wie Auszüge aus Briefen Schubarts, die seine Leidenschaft für Helene wortgewaltig bekunden, und eine Entschlüsselung der Forelle als doppeldeutiges, keineswegs harmloses Naturgedicht.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Felix Huby / Hartwin Gromes: Die Schubartin. Roman einer mutigen Frau.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2020.
234 Seiten, 24 EUR.
ISBN-13: 9783749610259

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch