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In Stefan Kutzenbergers zweitem Roman „Jokerman“ wird Bob Dylan zum Zentrum einer Weltverschwörung

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Jokerman“ ist der Titel des Openers von Bob Dylans 1983 erschienenem Album Infidels, dem ersten nach seiner im Allgemeinen als etwas verwirrt wahrgenommenen „christlichen Phase“ und dazu ein Song, in dessen Text Dylan zum mitunter kryptischen Symbolismus seiner größten Werke zurückkehrt – auch wenn dieser, wie der Protagonist von Stefan Kutzenbergers zweitem Roman korrekterweise anmerkt, in ein aus heutiger Sicht befremdliches 80er-Jahre Soundgewand gepackt ist.

„Jokerman“ ist auch jener Song, den der Protagonist dieses Romans, der nur mäßig erfolgreiche Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Stefan Kutzenberger, in einem Tagungsvortrag zu deuten versucht. Vielmehr ist er der Einladung eines Bekannten gefolgt, ohne richtig darüber nachzudenken, über was er denn spreche soll, und merkt kurz vor seiner Präsentation, wie unvorbereitet er doch eigentlich ist. Also reimt er sich schnell irgendetwas zu dem Song zusammen, und als er zurecht erwartet, von der anwesenden Dylan-Exegeten-Elite gesteinigt zu werden, passiert genau das Gegenteil: Deren Überguru, ein älterer Isländer, den Kutzenberger zunächst nur aufgrund des steten Schwingens seiner riesigen Arme den ‚Albatross‘ nennt, sieht in Kutzenberger dank dessen offenbar brillanten „Jokerman“-Deutung den neuen Dylan-Exegeten-Messias und lädt ihn nach Island ein, um, wie später herauskommen wird, Teil einer von Dylan-Fans angeführten Weltverschwörung zu werden, um, ja genau, die Wiederwahl Donald Trumps zu verhindern.

Wer meint, der Plot sei bis zu diesem Punkt schon hirnrissig, dem sei berichtet, dass später noch Kurt Cobain, Hillary Clinton und natürlich The Donald Himself eine gewichtige Rolle in der Dylan-Verschwörung spielen werden. Dass der Roman trotzdem bis zu einem gewissen Punkt funktioniert, liegt nicht nur daran, dass dem Autor eine gewitzte Autofiktion gelungen ist, die seinen Debütroman Friedinger gekonnt weiterspinnt, sondern auch, dass seine große Liebe zu Bob Dylan im Mittelpunkt zumindest der fulminanten ersten Hälfte steht, bevor das Buch immer tiefer im Klamauk versinkt.

Zwar sind die eindringlichen Beschreibungen der fanatischen Gemeinde der Dylan-Exegeten stets in manchmal platte Ironie getunkt, doch die liebevolle Darstellung dieser Gemeinschaft der Gläubigen aus dem Munde des erstaunten Gelegenheits-Fans Kutzenberger (dem Protagonisten) sorgt dafür, dass sich Fans wie Dylan-Unkundige in dem seltsamen Club wiederfinden können. Und auch der Grundkonflikt, der die geheime Dylan-Gesellschaft vor Jahren gespalten hat – die einen beschränken sich ausschließlich auf die Songtexte des Meisters, die anderen auf jedes Wort, das er im Laufe seiner Karriere etwa bei Konzerten von sich gegeben hat –  erinnert stark sowohl an literaturwissenschaftliche Debatten wie auch an betrunkene Fan-Diskussionen.

Dazu kommt, dass Jokerman zudem als atemloser Road-Novel zu gefallen weiß, auch hier vor allem in der ersten Hälfte, bevor die Handlung allzu hektisch und unglaubwürdig wird. So ist Kutzenbergers Konsequenz zu bewundern, da er sich weigert, alternative Deutungen seines Romans einzuflechten (Wahnsinn, Traum, Dylan-Schaden), sondern seine Handlung klar und deutlich ausformuliert: Die Weltverschwörung ist keine Chimäre, alles ist wie es ist. Gerade damit stellt er sich ja den vielen als undeutbar geltenden Dylan-Texten entgegen.

Noch ein Pluspunkt ist, dass der Autor konsequent weder ein Fanpublikum bedient (dafür wird zu viel erklärt) noch den Leser anspricht, der von Dylan ausschließlich ein paar Evergreens kennt (dafür wird wiederum zu wenig erklärt), sondern seine Leserschaft unter Menschen sucht, die bereit sind, sich mit dem Phänomen Bob Dylan auseinanderzusetzen, oder sich zumindest ein Stück weit darauf einzulassen. Dass am Ende in diesem Roman leider dann doch Vieles schief geht, ist schade. Vielleicht hätte Kutzenberger sich auch hier an Dylan orientieren und in den Bereich des Uneigentlichen eintauchen sollen.

Titelbild

Stefan Kutzenberger: Jokerman. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2020.
352 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783827014245

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