Über Identität und Rassismus

Shida Bazyar erzählt in ihrem Roman „Drei Kameradinnen“ auf der Folie von Ausgrenzung und Rassismus vom Erwachsenwerden dreier junger Frauen und einem dramatischen Fanal

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hani, Saya und die Ich-Erzählerin Kasih sind in einem „Getto“ einer namenlosen Großstadt in Deutschland groß geworden und seitdem enge Freundinnen geblieben. Nach Jahren treffen sie sich anlässlich einer Hochzeit wieder und am Horizont leuchtet ein dramatisches Ereignis auf, das Saya in den Knast bringen soll.

Als Ich-Erzählerin thematisiert Kasih stetig ihre eigene Erzählweise, spricht den Leser direkt an und baut einen Gegensatz oder auch eine Kluft zwischen den Freundinnen als migrantische „Minderheit“ und der biodeutschen Mehrheitsgesellschaft auf, zu der potenziell auch der Leser gehört. In einem stetigen Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart rollt sie das Leben der drei Freundinnen auf, das in einem immer mehr herunterkommenden Viertel und mit sozialer Ausgrenzung begann: „Lehrer, die dich wie Dreck und deine Eltern wie noch größeren Dreck behandelten, kein Geld, keine Müllabfuhr, zu viele Krankenwagen und zu wenig Bücher“. 

Wie Kasih klar stellt, hatten die drei Freundinnen „kein Trauma von Krieg und Flucht“ (obwohl sie zum Teil genau das erlebten) zu verarbeiten, „aber eine Menge kleiner Traumata“ – nämlich eine Menge an großen und ganz sublimen sozialen Ausgrenzungen und rassistischen Anfeindungen. Trotz dieser miserablen Ausgangsbedingungen machen die drei nach einer wilden Jugend mit viel Party und frechen Sprüchen doch ihren Weg: Hani hat einen herausfordernden Job in einer Agentur für „Green Washing“, Saya ist nach Abitur und Studium international mit Vorträgen zu Rassismus unterwegs und Kasih sucht nach ihrem Studium gerade einen Job und muss dabei allerdings die Demütigungen der Arbeitsagentur ertragen.

Ihr Wiedersehen begehen die drei Freundinnen mit viel Alkohol und Kiez-Partys über den Dächern der Stadt, vorm Späti oder in einem besetzten Haus. Doch wie ein Stachel dringt der beginnende Prozess gegen die (hier verfremdet dargestellte und nicht so benannte) NSU-Terrorzelle in die gute Stimmung und die Erinnerung an alte Zeiten. Während Hani ihren Minderheiten-Status und den alltäglichen Rassismus ganz pragmatisch wegsteckt und meint „Schlimm genug, Minderheit zu sein. Seid halt keine heulende Minderheit“, steigert sich Saya immer weiter in dessen Abwehr hinein – und dann bricht ein verheerendes Feuer aus und der Roman nimmt eine dramatische Wendung.

Shida Bazyar Drei Kameradinnen erzählt mit Wut und Wucht sowie einem am Ende überraschenden literarischen Kniff eine klassische Coming-of-Age-Geschichte aus der in der deutschen Literatur noch immer seltenen Perspektive einer (migrantischen) Minderheit. Sie spiegelt dem Leser dabei auf berührende Weise insbesondere den kleinen alltäglichen Rassismus und seine Auswirkungen wider, baut aber auch die bedrohliche Kulisse eines terroristischen mörderischen Rassismus auf. Ihre Ich-Erzählerin nimmt dabei eine Zwischenstellung zwischen der erduldenden Hani und der sich wild wehrenden und dabei auch zu Ungerechtigkeiten und Hass neigenden Saya ein. Und so sagt sie dem Leser: „Wir sind gar nicht so anders als ihr. Das denkt ihr nur, weil ihr uns nicht kennt.“

Titelbild

Shida Bazyar: Drei Kameradinnen.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021.
352 Seiten, 22 EUR.
ISBN-13: 9783462052763

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