Ein Friedensvertrag für Israel und Palästina in dem Roman „Quill of the Dove“ von Ian Thomas Shaw – übersetzt von Heide Fruth-Sachs

DER VERTRAG VON ARKASSA

Wir stellen Menschlichkeit über den Hass. Gerechtigkeit über Habgier. Wir erkennen an, dass es ohne Kompromisse keinen Frieden geben kann. Die Völker des historischen Palästina: Muslime, Christen, Drusen und Juden haben alle Unrecht erlitten. Es ist Zeit, die Wogen der Feindschaft, die aus früherem Unrecht herrühren, einzudämmen und eine Zukunft willkommen zu heißen, die dem ruhigen Fluss des Friedens den Weg bereitet.

Wir vereinbaren hiermit:

Zwei Staaten sollen sich das Territorium unseres gemeinsamen historischen Heimatlandes teilen. Wir werden den Staat Israel für gegenwärtige und zukünftige Generationen innerhalb der Grenzen von 1967 errichten und den Staat Palästina auf der West Bank und in Gaza.

Das Grundgesetz des Staates Israel und die Konstitution des Staates Palästina sollen ergänzt werden durch eine bindende Anerkennungs-Erklärung des Existenzrechtes des jeweils anderen Staates und es jedem der beiden Länder untersagen, ein Militärbündnis einzugehen, das gegen den anderen Staat gerichtet ist.

Jerusalem soll die spirituelle Hauptstadt beider Staaten sein, aber nicht die politische Hauptstadt eines Staates.

Tel Aviv soll die politische Hauptstadt des Staates Israel sein.

Ramallah soll die politische Hauptstadt von Palästina sein.

Jerusalem wird zur demilitarisierten Stadt. Seine Stadtpolizei setzt sich zu gleichen Teilen aus jüdischen und arabischen Bürgern zusammen, die unbewaffnet sind und Seite an Seite Dienst tun. Jeder Bewohner Jerusalems, der eine Waffe jedweder Art trägt, wird für immer aus der Stadt verwiesen.

Eine kleine bewaffnete Notfallpolizei-Truppe unter der Ägide der Vereinten Nationen wird in Jerusalem stationiert, um die Bevölkerung vor bewaffneter Kriminalität und vor Terrorakten zu schützen.

Jerusalem soll innerhalb der israelischen Grenzen von vor 1967 durch einen Stadtrat regiert werden, der von Stadtbewohnern gewählt wird, die Bürger Israels sind.

Jerusalem außerhalb der israelischen Grenzen von vor 1967 soll durch einen Stadtrat regiert werden, der von Stadtbewohnern gewählt wurde, die Bürger Palästinas sind.

Alle Bürger von Israel und Palästina sollen das Recht haben, überall in Jerusalem zu wohnen und dort Eigentum zu besitzen, vorausgesetzt, sie halten sich an das Gesetz und respektieren den Frieden.

Die beiden Stadt-Verwaltungen sollen jeweils fünf Mitglieder für den Senat von Jerusalem bestimmen. Die Regierungen der Staaten Israel und Palästina sollen jeweils ein Mitglied dieses Senats bestimmen; der Generalsekretär der Vereinten Nationen soll eine international angesehene Persönlichkeit für den Vorsitz im Senat von Jerusalem bestimmen, die weder die israelische noch die palästinensische Staatsangehörigkeit besitzt.

Der Senat von Jerusalem soll für alle Angelegenheiten verantwortlich sein, die die Erhaltung der religiösen Stätten betreffen, ebenso für die Schiedsspruch-Verfahren bei Streitfragen zwischen den beiden Stadtverwaltungen von Jerusalem und er soll den Polizeichef von Jerusalem und dessen Stellvertreter ernennen.

Nicht-israelische und nicht-palästinensische Bürger, die in Jerusalem leben wollen, müssen eine Aufenthaltsgenehmigung des Senats von Jerusalem erwerben.

Palästinensische Flüchtlinge, die außerhalb Palästinas leben, sollen die Möglichkeit haben, in den Staat Palästina oder nach Israel zurückzukehren, vorausgesetzt, sie akzeptieren die israelische Staatsbürgerschaft; oder sie akzeptieren eine Kompensation für den Besitz, den sie 1947 bei der Teilung Palästinas verloren haben.

Israelische Staatsbürger, die zur Zeit der Unterzeichnung des Vertrages im Staat Palästina leben, haben die Wahl, in diesem Staat zu bleiben, vorausgesetzt, sie leben nach den Gesetzen des Staates Palästina und geben alle Waffen auf, die sie besitzen. Sie haben auch das Recht, die palästinensische Staatsbürgerschaft zu erwerben, wenn sie auf die israelische Staatsbürgerschaft verzichten.

Unbesiedeltes Land im Staat Palästina, das nach 1967 vom Staat Israel enteignet wurde, soll der Regierung von Palästina zurückgegeben werden.

Der israelische Staat soll den palästinensischen Landbesitzern, deren Land für jüdische Siedlungen enteignet wurde, eine Kompensation bezahlen, wie sie gängigen Marktpreisen im neuen Staat Palästina entspricht. Eine UN-Kommission soll den Wert des Landes festsetzen.

Anmerkungen der Redaktion

Der Vertragstext ist dem Kapitel 14 des Romans Quill of the Dove von Ian Thomas Shaw entnommen. Er ist hier das Ergebnis von Friedensverhandlungen in dem kleinen Bergdorf Arkassa an der Westküste der griechischen Insel Karpathos. Der Roman des kanadischen Autors, der dreißig Jahre lang als Diplomat und internationaler Entwicklungshelfer in Afrika, im Mittleren Osten und Europa tätig war, ist 2019 im Verlag Guernica Editions (MiroLand), Canada, erschienen. Er erzählt die Geschichte von mutigen Idealisten, die das Ziel verfolgen, im Mittleren Osten Frieden zu schaffen. Die vom Canada Council for the Arts geförderte Übersetzung ins Deutsche von Heide Fruth-Sachs erscheint im Juni unter dem Titel Friedenstaube im Fadenkreuz in unserem Verlag LiteraturWissenschaft.de.

Die gegenwärtige Eskalation der Konflikte in Israel sind ein Anlass, die Roman-Übersetzung vorab in einer vorläufigen E-Book-Fassung zu veröffentlichen – und dabei hier den Beginn des in dem Roman imaginierten Friedensvertrags noch einmal hervorzuheben:

Wir stellen Menschlichkeit über den Hass. Gerechtigkeit über Habgier. Wir erkennen an, dass es ohne Kompromisse keinen Frieden geben kann. Die Völker des historischen Palästina: Muslime, Christen, Drusen und Juden haben alle Unrecht erlitten. Es ist Zeit, die Wogen der Feindschaft, die aus früherem Unrecht herrühren, einzudämmen und eine Zukunft willkommen zu heißen, die dem ruhigen Fluss des Friedens den Weg bereitet.

Thomas Anz