Gib mir dein Gesicht!

Frank Wilmes schreibt mit „Ein letzter Frühling am Rhein“ einen Krimi in brillanter Sprache über den Tod eines Topmodels

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das 28jährige Düsseldorfer Topmodel Chira (ursprünglich: Christiane) Walldorf ist tot, doch das ist nicht der einzige Aufreger in diesem Krimi. Sofort fasziniert die brillante Sprache, die für das Genre der Kriminalliteratur nicht typisch ist. Das „Bild einer erstaunlich faltenfreien Mutter Gottes“ in einer Kirche und eine Tür ohne „herzliche Anmutung mit einladendem Charakter“ sind Beispiele von den ersten Seiten. Die bilderreiche Sprache wird bis zum Ende durchgehalten; bei einer Neuauflage sollte es allerdings keine kranken Herzpatienten geben und ein Schützender nicht als Schutzbefohlener bezeichnet werden.

Die erwähnte Tür gehört zu einem eleganten Wohnhaus in den Mauern eines ehemaligen Klosters, wo Chira auf zwei Etagen wohnte. Auf ihrem leblosen Körper liegt eine Karte, deren Text die Richtung der Ermittlungen vorgibt. Jemand bekennt, sich Chiras Schönheit geliehen zu haben, die aber lebe weiter in einer anderen Welt. Die Gerichtsmedizin stellt einen Giftmord fest und man findet 124 Spuren.

Zuständig für die Ermittlungen ist ein Trio der Mordkommission Düsseldorf unter Kriminalhauptkommissar Kilian Stockberger. Die drei Beamten ermitteln unter heftigem Druck der Öffentlichkeit, insbesondere der Boulevardpresse. „Der Nachrichtenstrom erfasste die Republik, als sei ein Modelmord wichtiger als eine Sozialreform.“ Die Kriminalisten unterscheiden sich in ihren Denkmustern und in der Taktik bei Befragungen und Vernehmungen. Reale Berufskollegen schauen vielleicht mehr in die Außenwelt und weniger in den eigenen Kopf, aber nachvollziehbar sind die Überlegungen der drei allemal. Stockberger konsultiert seinen Freund, einen Psychologen und Buchautor. An diesem differenziert gezeichneten Experten wird deutlich, dass ein „Redezeitkönig“ mit zuweilen bombastischem Auftreten kein Blender sein muss. Seine Hinweise bringen die Ermittlungen entscheidend voran.

Bei Chiras Nachbarn ist, wie die Ermittler feststellen, von „Hausgemeinschaft“ keine Rede. Hier herrscht Reserviertheit statt menschlicher Nähe. Dem Autor gelingen scharfe Porträts von Bewohnern und Besuchern. Er erfindet Verdachtsmomente zuhauf, so dass man vielen Leuten den Mord oder die Beihilfe zutraut. Da interessierte sich jemand für den Raum mit der Überwachungskamera. Einer Ehefrau wird der Mund verboten. Ein Ehepaar („Herr und Frau Affe“, laut Kriminalistin) sagt mit vielen Worten nichts. Und Chira Walldorfs französischer Friseur, der „Haarstylist“ genannt werden möchte, hat von ihrem Darlehen noch nichts zurückgezahlt. Der Zahnarzt Dr. Max Moritz behauptet, ein Autogrammfoto Chiras mit Widmung gehöre einem Freund, der ebenfalls Max heiße. Wunderbar zwischen Diensteifer und Sendungsbewusstsein schwankt der „gesichtsmäßig ältere“ Portier – „Hausmeister sagte hier keiner“. Außerhalb gibt es einen Stalker und eine Freundin Chiaras, die Nonne geworden ist. Rätselhaft bleibt eine Modeverkäuferin aus dem Ruhrgebiet, der man mehrere Szenen ohne Namensnennung erst spät zuordnen kann.

Nach Aussage einer intimen Freundin war Chira „so richtig katholisch“. Und nach eigenem Bekenntnis „ein Dorfkind“ und auf dem Lande „ein kompletterer Mensch“ als in der Stadt. Die extrem gutaussehende Frau hat die Beziehung zu ihrer Heimat und zur katholischen Kirche nie verloren. Ist das fanatische Schönheitsstreben der Modebranche in die „normale Welt“ übergeschwappt und hat zum Mord geführt? „Leiht“ man sich ein Gesicht mit Hilfe teurer Schönheitsoperationen?

Eine wichtige Aussage wird verändert: Ein Autokennzeichen lautete nun doch nicht OB für Oberhausen, sondern BO für Bochum – der Weg zum Finale ist vorgezeichnet. Dort kommen die Ermittler nicht vor. Es gibt keine Festnahme mit oder ohne Fluchtversuch. An den Romanbeginn anknüpfend, werden zwölf Schritte bis zum Beichtstuhl eindringlich mit den ersten zwölf Stationen des Kreuzweges Jesu assoziiert. Ein kühnes Ende, so vortrefflich wie der ganze Krimi.

Titelbild

Frank Wilmes: Ein letzter Frühling am Rhein. Kriminalroman.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2021.
313 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783839228173

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch