Der Hund als Kindersatz

Die kolumbianische Autorin Pilar Quintana erzählt in ihrem Roman „Hündin“ von einem unerfüllten Kinderwunsch und dem schwierigen Verhältnis zwischen Mensch und Tier

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein kleines Dorf an der rauen kolumbianischen Pazifikküste: Hier lebt Damaris mit ihrem Mann Rogelio in einer einfachen Hütte. Während er fischen geht, kümmert sie sich um das leerstehende Ferienhaus einer weißen Familie aus der Stadt. Rogelio und Damaris sind seit über zwanzig Jahren ein Paar, aber obwohl sie mittlerweile die 40 überschritten haben, bleibt ihre Ehe kinderlos. Auch die Versuche eines Schamanen, eines jaibaná, mit Kräutertränken, Bädern und Räucherwerk bewirken nichts. Damaris fühlt sich „gescheitert und nutzlos, eine Schande von Frau, ein minderwertiges Lebewesen“, denn mit 40 – das behauptet wenigstens ihr Onkel – „vertrocknen“ schließlich die Frauen. Das Hundebaby, das man ihr im Dorf anbietet, scheint diesen Mangel zu kompensieren. Doch die liebevolle Beziehung zwischen Mensch und Tier wird erschüttert, als die Hündin ausreißt.

Pilar Quintana ist ein mitreißender und ebenso raffinierter Roman gelungen, der das zentrale Thema des unerfüllten Kinderwunschs auf subtile Weise mit Parallelhandlungen verwebt und in seiner ganzen Komplexität entfaltet, ohne dabei konstruiert zu wirken. So werden indirekt auch die negativen Seiten von Mutter- bzw. Elternschaft angerissen, wenn in Rückblicken von Damaris schicksalhafter Kindheit und einem traumatischen Erlebnis erzählt wird. Als Tochter einer Alleinerziehenden, die früh ums Leben kommt, wächst sie bei der Familie ihres Onkels auf. Als der seine Ferien an der Küste verbringende Nachbarsjunge Nicolasito von einer Welle erwischt wird und erst Tage später als Leiche wieder auftaucht, plagen Damaris Schuldgefühle. Was sie nach diesem verstörenden Ereignis aber vor allem in Erinnerung behält, ist das Gesicht von Nicolasitos Mutter: die Angst in ihren blauen Augen als sie vom Unfall ihres Sohns erfährt. Nie wieder werden die Reyes in ihr Ferienhaus zurückkehren, das Damaris allerdings so versorgt, als könne die weiße Familie aus der Stadt überraschend jederzeit zurückkehren. Wie nebenbei reißt Quintana das ungleiche Verhältnis zwischen schwarzen Dorfbewohnern und weißen Städtern an, deren Privilegien als unantastbar wahrgenommen werden. Als Damaris mit ihren Verwandten das Schwimmbecken der Reyes benutzt, plagt sie erneut ein schlechtes Gewissen: „Sie waren eine Bande armer, schlechtgekleideter Schwarzer, die die Sache der Reichen benutzten.“

Das Auseinanderbrechen einer Beziehung zwischen Mutter und Kind begleitet Damaris wie ein Leitmotiv, wobei sich die Schicksale von Mensch und Tier zu ergänzen scheinen. Bleibt Damaris kinderlos, so kehrt die Hündin zwar schwanger zurück, erweist sich aber als „Rabenmutter“: Einen der Welpen frisst sie, die anderen werden vernachlässigt und schließlich an die Dorfbewohner verschenkt. Ebenso kommt es zu einem endgültigen Bruch zwischen Damaris und ihrer „Ersatztochter“, der Hündin. Einerseits willkommener Ersatz für ein Kind, werden Hunde in dem Roman andererseits immer wieder zu Opfern von Misshandlungen und Vergiftungen. Auch Damaris Beziehung zu ihrer Hündin kippt schließlich von übertriebener Zuneigung in Hass, der der Hündin am Ende sogar das Leben kostet. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist von einem starken Machtgefälle gezeichnet und die Hündin erweist sich schließlich als eine Art Sündenbock für die Probleme ihrer Besitzerin. 

Nicht weniger ambivalent ist das Verhältnis zwischen Damaris und Rogelio, das Quintana wie nebenbei thematisiert. Unnahbar und rau erscheint Rogelio, seine Gedanken und Gefühle bleiben im Dunkeln. Scheint das Verhältnis des Paars einerseits emotionslos und von dem unerfüllten Kinderwunsch belastet, erweist sich Rogelio in bestimmten Situationen als fürsorglicher Retter. Nicht zuletzt überzeugt Quintanas Roman durch die Darstellung ihrer komplexen Protagonist*innen: Sie scheinen fixen Zuschreibungen immer wieder zu entgleiten und bleiben bis zum Ende unberechenbar.

Obwohl sich dramatische Schicksalsschläge häufen, ist Hündin ein ruhiger, nüchterner Roman, der bewusst auf einen dramatischen Tonfall verzichtet und damit besonders berührt. Ein kleines Meisterwerk, für das Quintana den Premio Biblioteca de Narrativa Colombiana erhalten hat und das sie neben einen der großen kolumbianischen Autoren der Gegenwart, Juan Gabriel Vásquez, stellt. Für ihren neuesten Roman Los abismos, der noch nicht übersetzt wurde, hat die Autorin übrigens gerade den Premio Alfaguara erhalten. Hier widmet sie sich erneut dem Thema Mutterschaft, allerdings aus der Perspektive einer Tochter.

Titelbild

Pilar Quintana: Hündin.
Aus dem Spanischen von Mayela Gerhardt.
Aufbau Verlag, Berlin 2020.
151 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783351038236

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch