Reden ist Silber, Handeln ist Gold

In ihrem Buch „Demokratieverstärker“ versammeln Elisabeth Niejahr und Grzegorz Nocko Ideen für eine bessere Demokratie.

Von Erkan OsmanovićRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erkan Osmanović

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ab zum Arzt

„Wir brauchen eine pragmatische Lösung“ – diesen Satz hat wohl jede und jeder von uns schonmal gehört. In der Politik unserer Tage scheint es keine Zeit für Ideen oder gar Visionen zu geben. Doch wäre es nicht jetzt an der Zeit? Immer mehr Menschen verlieren ihr Vertrauen in Regierungen und Parlamente – von Parteien ganz zu schweigen. Die Lösung der Politik? Weitermachen wie bisher. Ganz nach dem Spruch des verstorbenen deutschen Kanzlers Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Die Journalistin Elisabeth Niejahr und der Bildungswissenschaftler Grzegorz Nocko haben wohl auch daran gedacht und verschreiben uns mit ihrem Buch Demokratieverstärker ein Rezept mit 21 Ideen. Sie sollen Spielregeln, Offenheit und Konfrontation in unsere Demokratien bringen.

Alles für die Enkelinnen und Enkel

25 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft wurden gefragt: „Womit ließe sich die Demokratie innerhalb von zwölf Monaten verbessern?“ Der Ansatz sei inspiriert von Karl Poppers kritischem Rationalismus, so Niejahr und Nocko, der utopische Rettungsszenarien verwerfe und reflektierte kleine Verbesserungsschritte bevorzuge.

So fordert etwa die Transformationsforscherin Maja Göpel gemeinsam mit der Zeit-Journalistin Petra Pinzler die Wirtschaft und Politik auf, ihr Handeln am Wohl kommender Generation zu orientieren: Gesetze sollen Enkeltests unterzogen werden. Ein Rat für Generationengerechtigkeit, so die beiden, würde dann (politische) Maßnahmen auf Auswirkungen für unsere Kindeskinder überprüfen. Und bei Bedenken? Da solle der Rat mit einem Veto eingreifen oder die Regierenden durch Initiativanträge zum Handeln animieren.

Miteinander sprechen

Das Buch Demokratieverstärker ruft den Möglichkeitssinn auf den Plan und will Veränderungen in den Alltag vieler Menschen bringen. Debatten rund um mehr Bürgerbeteiligung und bessere Verwaltung würden oft nur die erreichen, die sich bereits engagieren oder in der Theorie steckenbleiben. Am Ende stünde dann Ratlosigkeit und Frustration. Dagegen sollen die 21 Ideen ankämpfen. Entscheidend sei, die Stärkung der Demokratie als Projekt zu verstehen, als etwas, das man sich vornehmen müsse, „wie die Verbesserung des Bildungssystems oder eine klimafreundliche Verkehrspolitik“, so Niejahr und Nocko.

Fernflüge verbieten? Autos aus den Städten verbannen? Ist eine Änderung des Status quo jederzeit möglich? Im Kampf gegen die Klimakatastrophe könnten die Menschen auch Einschränkungen akzeptieren, so der Physiker Felix Creutzig, aber nur im Dialog. Sein Vorschlag? Klimaräte.

100 bis 150 Bürgerinnen und Bürger, die repräsentativ für die gesamte Bevölkerung sind, sollen ausgelost werden. Dann würden sie Expertinnen und Experten über mehrere Wochen hinweg zum Klimawandel und Klimaschutz informieren. Anschließend sollen sie miteinander diskutieren und schlussendlich würden sie Handlungsempfehlungen aussprechen, die politische Entscheidungsträger berücksichtigen müssten. In Frankreich und Irland habe man mit diesem Modell gute Erfolge erzielt. Die Folge? Eingriffe für den Klimaschutz würden gerechter und die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern sei höher. Außerdem sinke das Risiko, „dass populistische Kräfte bestehende Ungerechtigkeiten auf den Klimaschutz projizieren.“

Anpacken und Ausprobieren

Ideen anpacken und erproben – darum geht es in Demokratieverstärker. Das Konzept geht auf. Die Vorschläge reichen von Abstimmungen in Klassenzimmern, Rollenbesetzungen in Fernsehserien und Umwidmung von Lokalen zu Begegnungsräumen. Jede Idee ist am Ende eines Kapitels nochmal zusammengefasst in kleine Häppchen und unterteilt nach Idee, Effekt und Umsetzung.

Und was soll man sagen? Das Buch wirkt. Nach der Lektüre ist man ausgerüstet mit Ideen und weiß, wie sie umzusetzen sind. Doch handeln, muss man selbst. Denn trotz der Vielfalt an Anregungen und der verständlichen Sprache der Texte, ist Niejahr und Nocko zuzustimmen, die vorgelegte To-do-Liste sei nur ein Beitrag: „Zwölf Monate vergehen schnell.“

Titelbild

Grzegorz Nocko / Elisabeth Niejahr: Demokratieverstärker. 12 Monate, 21 Ideen.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2021.
245 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783593513836

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