Immer nur das eine
Friedrich Anis Fariza Nasri ermittelt und erweist die „Letzte Ehre“
Von Walter Delabar
Die melancholischen Romane Friedrich Anis sind in der Krimiszene Solitäre und knüpfen doch zugleich an eines der zentralen Paradigmen vor allem des Hard boiled-Krimis amerikanischer Prägung an: Im Kern steht der demontierte, der verletzte Held – in diesem Fall eine Heldin namens Fariza Nasri –, dem durch die besondere Perspektive von unten, aus der der Fall betrachtet werden kann, die Lösung zufällt. Demontiert ist Nasri deshalb, weil sie nach einer schwierigen und zweifelhaften Ermittlung in die Provinz versetzt und erst kürzlich wieder in ihre Abteilung zurückgeholt worden ist, und zwar aufgrund ihrer Fähigkeit, auch starrsinnige Verdächtige zu Geständnissen zu bewegen.
Ani entscheidet sich also auch in diesem Roman gegen das Muster, die Ermittlerfigur hastig zwischen verschiedenen Orten hin und herrennen (fahren inklusive) zu lassen, sodass unaufmerksamen Leserinnen und Lesern schon mal den Überblick verlieren. Stattdessen sitzt seine Ermittlerin – metaphorisch geschrieben – einfach da und lässt die üblichen Verdächtigen so lange reden, bis sie sich selbst überführen. Daran ist nichts zu mäkeln, findet doch das berühmte Tatort-Unterstellungsgerede, mit denen selbst lang gediente Drehbuchschreiber/innen ihre Figuren blamieren, keine Anwendung.
Heißt im Umkehrschluss und auch fürs richtige Leben: Als Verdächtiger Klappe halten und nicht reden, wenn man sich nicht in Schwierigkeiten bringen will. Und auf den Anwalt warten – auch wenn das in diversen Formaten als unzulässige Zumutung des Rechtssystems präsentiert wird.
Friedrich Anis Komparsen haben freilich entweder von dieser Weisheit nichts gehört oder sind derart eitel, dass sie der Meinung sind, sich in jedem Fall rausreden zu können. Rausreden aber ist nicht, reinreden umso mehr.
So ist es auch in den drei Fällen, die Friedrich Ani seine Ermittlerin Fariza Nasri in Letzte Ehre lösen lässt. Besser: Sie lösen sich quasi von selbst, die verschwundene junge Frau, der bereits Jahre zurückliegende merkwürdige Todesfall im Gebirge und der Überfall auf die Frau eines Polizisten, die eine von Nasris besten Freundinnen ist.
Sicher, Nasri muss auch ein bisschen recherchieren, sie muss nachhaken, mit anderen Zeugen reden, Merkwürdigkeiten herausarbeiten, aber vor allem muss sie nur dranbleiben, die Leute zum Reden bringen, sie reden lassen und das befördern.
Und sie reden auch, entweder aus Eitelkeit und verletztem Stolz, aus einer tiefen Verletztheit heraus oder auch aus dem Bewusstsein, dass das Leben eh nicht mehr so weitergehen kann wie bisher.
Und es ist wieder das „Eine“ (in vielfältigen Formen), das zu den Taten führt, bei denen Menschen zum Opfer fallen: Sex, Leidenschaft, oder auch der Wunsch nach Bestätigung und Anerkennung. Ani lässt seine Ermittlerin mithin nicht der „Spur des Geldes“ folgen, sondern der des Sexus: der verletzten Eitelkeit des dominanten Mannes, dessen sexuelle Potenz dann doch schon mal zu wünschen lässt, der Verzweiflung der erwachsenen Frau, die dem Mann wiederbegegnet, der sie seit ihrer Kindheit missbraucht hat, der Angst des Mannes, dem seine Frau eine Affäre gesteht, verlassen zu werden und in seinem Viertel als Versager dazustehen. Für Quartierspolizisten keine gute Sache.
Es ist dabei zweitrangig, dass die Qualität der Taten in Anis Roman sehr unterschiedlich ist: ein Unfall bei Sexspielen unter Jugendlichen, ein kleiner Schubser bei einem Spaziergang oder ein verzweifelter Gewaltausbruch. Sicher, das Crimen des ersten Falls liegt im Umgang des älteren Mannes mit der Toten, im zweiten reicht das eigentliche Verbrechen lange zurück und beim späteren Opfer und im dritten ist es eine Beziehungstat, bei der die Frau von ihrem Mann erschlagen wird. Aber das steht nicht im Vordergrund. Die Haltung zu den Taten selbst ist beinahe fatalistisch, auch wenn der letzte Fall Nasri umständehalber sehr nahe geht.
Ani geht es vor allem darum, dass seine Ermittlerin zuhört und dass seine Täter reden wollen. Damit entschleunigt er seinen Krimi massiv und implementiert eben jene melancholische Grundstimmung, die seine Romane seit jeher kennzeichnet. So als ob sie sagen wollten, dass alles das, was passiert, passiert, und dass es wenig gibt, was man dagegen tun kann. Außer herauszubekommen, wie es passiert ist. Alles andere folgt dann von allein.
Außer manchmal, wie eben der Fall Nasri selbst zeigt. Auch sie entscheidet sich dann, wenn das System nicht richtet, dazu, selbst Hand anzulegen. Vor allem dann, wenn der Schuldige aus dem System selbst stammt. Das holt sie naheliegend wieder ein, nicht weil sie falsch gelegen hätte – einen solchen heuristischen Störer lässt Ani nicht zu –, sondern weil ihre Tat sie wieder einholt. Und so endet sie – in diesem Roman – mit einer Pistole, die ihr ein Kollege an den Kopf hält.
![]() | ||
|
||
![]() |