Am Fuß der blauen Berge

Nadia Bozak erzählt vom Armutsgefälle im mexikanisch-amerikanischen Grenzgebiet

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Höhenzug der Entradas, der die Oro-Wüste von Buzzard City trennt, bildet eine natürliche Grenze der USA zu Mexiko, die durch Beton und Stacheldraht verstärkt wird. Die Armutswanderer, die hier illegal die Wege queren, um sich bei den Tomatenfarmern zu verdingen, sind gefährdet. Denn Coydogs, halbwilde Spürhunde, die „mit ihren ans Rückgrat gehefteten Bäuchen“ fast irrsinnig vor Hunger sind, haben die Aufgabe, Grenzverletzer zu stellen.

Die Mischlingshündin Baez musste früher ebenfalls diese braunen Jungs aus Mexiko jagen. Doch dann trat Marianne, die Malerin in ihr Leben, und fortan galt es, die Zuwanderer heimlich mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen. In der Gegenwartshandlung des Romans, mit dem Leittempus Präsens erzählt, ist Marianne bereits verstorben, und auch Baez sieht ihrem baldigen Ende entgegen. Aus der Perspektive des Hundes wird aber auch die Vergangenheit erinnert (im Leittempus Präteritum), die dem Tier unverhoffte Erfahrungen bescherte und das besondere Einverständnis mit einem menschlichen Wesen, dessen Lebensweise Baez immer besser verstehen lernte, weil sie – zum ersten Mal in ihrem Leben – geliebt wurde.

Andere Perspektiven des außergewöhnlich schönen Buchs (mit Fadenheftung und Lesebändchen, glänzend übersetzt von Gregor Runge) folgen Honey, Mariannes Tochter, oder Chávez, einem Tattookünstler, der in die große Stadt möchte (und es am Ende schaffen wird). Es ist eine harte Welt, die Nadia Bozak uns schildert: „Jeder trägt eine Wüste in sich“, lautet die Kurzformel dafür. Aber diese Wüste ist ebenfalls liebenswert, und sie rückt die guten wie die schlechten Eigenschaften des Menschen in ein scharfes Gegenlicht. Von Baez bleibt am Ende ein dunkles Bündel, ein „Oval aus Blut“, das den Boden tränkt. Von der Künstlerin überdauert der „Duft der Menschlichkeit“, der „immer leben“ wird: So long, Marianne.

Titelbild

Nadia Bozak: Der Junge.
Roman.
Aus dem Englischen von Gregor Runge.
Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 2021.
348 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783792002643

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