Ein Malerleben im Zwiespalt zwischen Alter und Neuer Welt

Die neue Biografie zum 150. Geburtstag von Lyonel Feininger wartet mit bislang unbekannten Facetten seines Lebens und Werks auf

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum bevorstehenden runden Geburtstag des amerikanisch-deutschen Karikaturisten, Malers, Komponisten und Bauhausmeisters Lyonel Feininger (1871-1959) hat Andreas Platthaus, Leiter der Abteilung „Literatur und literarisches Leben“ der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, eine Romanbiografie vorgelegt, die vor allem auf der Auswertung des umfangreichen Briefwechsels zwischen Feininger und seiner zweiten Frau Julia basiert: Beide Ehepartner schrieben sich täglich Briefe, wenn sie voneinander getrennt waren.

Vielleicht in Anlehnung an einen Trend, den bereits Bernd Polster mit seiner 2019 erschienen Romanbiografie über Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms setzte, kann Platthaus aufgrund der ihm zugänglichen Dokumente einen detaillierteren und vor allem, was die politische Einstellung Feiningers betrifft, auch einen wohltuend kritischen Blick auf ihn werfen.

Nachdem der Sohn zweier deutschstämmiger Musikereltern als Jugendlicher zur eigenen musikalischen Ausbildung aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland geschickt worden war, hatte der bereits seit frühster Jugend begeistert zeichnende Feininger diese Studien schon bald aufgegeben und sich an einer Kunstgewerbeschule eingeschrieben. Danach verdiente er sein Geld zunächst erfolgreich als Zeichner der bekannten wilhelminischen Satiremagazine „Ulk“ und „Die lustigen Blätter“, ehe er für amerikanische Auftraggeber tätig wurde und zwei erfolgreiche Comicstrips schuf.

Von dem Verdienst dieser Arbeiten konnte er 1906 einen Studienaufenhalt in Paris finanzieren, den er gemeinsam mit seiner zweiten Frau Julia, einer ausgebildeten Künstlerin, antrat und durch den er in Kontakt mit den Strömungen der Avantgarde, namentlich des Kubismus, kam. Auf Anregung seiner Frau wechselte er zur Malerei und fand relativ schnell seinen eigenen künstlerischen Ausdruck, den er in Abgrenzung zu Robert Delaunays „Orphismus“ als „Prismaismus“ bezeichnete. Dieser ist vor allem geprägt von der Zersplitterung und Aufspaltung des Bildraumes in große, vom Bildgegenstand ausgehende, geometrische, einander überlagernde Farbflächen, die eine Monumentalisierung des Motivs bewirken.

Feininger führte seine Gemälde anhand unzähliger zeichnerischer Naturnotizen aus, die er vor allem in den Dörfern in der Nähe Weimars anfertigte, wo er seine Frau während ihres dortigen Studiums besucht hatte, oder während der späteren monatelangen Sommeraufenthalte mit ihr und den Söhnen Andreas, Theodore Lux und Laurence – später ebenfalls namhafte Künstler bzw. Wissenschaftler –  im damaligen Deep an der pommerschen Küste.

Alte deutsche Dorfkirchen und Marinemotive waren seither die lebenslang bevorzugten Motive von Feiningers Gemälden, weshalb man einerseits einen inhaltlichen Bezug zur mittelalterlichen Kunst und andererseits vor allem zu Caspar David Friedrichs Seelandschaften hergestellt hat: Dieser erschließt sich besonders mit Blick auf die Tektonik der übereinander geschichteten Eisschollen in Friedrichs Gemälde der „Gescheiterten Hoffnung“.

Nach dem ersten Weltkrieg wandte Feininger sich, wohl aus Materialnot, auch der Technik des Holzschnitts zu und ergänzte sein bisheriges Schaffen fortan mit zahllose ausdrucksstarke Werken im expressionistischen Stil sowie mit Aquarellen in zarten Farben. Seinen Lebensmittelpunkt in Berlin-Zehlendorf, wo Feiniger 1919 kurzzeitig Mitglied im revolutionären „Aktionsrat für Kunst“ gewesen war, verlagerte er nach Weimar, als er von Gropius als Meister der Form an das neugegründete Bauhaus gerufen wurde. Daraus jedoch auf eine dementsprechend kosmopolitisch-demokratische Gesinnung zu schließen, verbietet sich angesichts der stramm deutsch-nationalen Töne, die Feininger in der Zeit nach dem Versailler Vertrag in vielen Briefen an seine Frau anschlug und in denen angesichts seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft, die ihm auch den Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg erspart hatte, wohl eine Überkompensation in Bezug auf sein selbstgewähltes Heimatland zu vermuten ist.

Am Bauhaus agierte er als Einzelgänger, der nur seiner Kunst verpflichtet war und dem die Unterrichtstätigkeit angeblich aus diesem Grund eher lästig war, obwohl er sich wiederum genau deshalb unter der Studentenschaft äußerster Beliebtheit erfreute. Er drängte niemand seinen Stil auf und ließ den Anderer gelten. Auf der nächsten Station des Bauhauses in Dessau hatte er es geschafft, sich von Lehr- und sonstigen Verpflichtungen zu befreien und dennoch in einem der Meisterhäuser zu logieren, wobei seine nächsten Nachbarn und engsten Freunde Wassily Kandinsky und Paul Klee waren.

Den Einfluss Klees kann man besonders auf den Aquarellen Feiningers gut erkennen, die ebenso wie die des Schweizers mit zarten Federstrichen gestaltet und in einem karikaturesken Stil gehalten sind. Auch die Liebe zum Geigenspiel verband Feininger mit Klee. In der Bauhauszeit und darüber hinaus komponierte er ebenfalls einige sehr hörenswerte Fugen für Klavier und Orgel nach dem Vorbild Johann Sebastian Bachs.

In den letzten Jahren der Weimarer Republik, nicht zuletzt durch zahlreiche prominente Museumsankäufe und Ausstellungen, wie die Retrospektive zu seinem 60. Geburtstag in der Berliner Nationalgalerie, zu einem der bekanntesten und am meisten gefeierten Künstler aufgestiegen, begrüßte Feininger zunächst wie viele andere Deutsche den Aufstieg Hitlers. Doch wurden seine Bilder von den Nationalsozialisten alsbald als „Entartete Kunst“ verfemt und 1937 in der gleichnamigen Ausstellung in München ausgestellt. Außerdem waren seine Frau als getaufte Jüdin und seine Kinder gefährdet. Zu seiner ersten Ehefrau Clara, ebenfalls Jüdin, und deren zwei Töchtern, Lore und Marianne, unterhielt er nur spärlich Kontakt.

Dennoch hielt er es noch bis 1937 in seiner deutschen Wahlheimat aus, ehe er in die Vereinigten Staaten emigrierte, wobei ihm Dr. Hermann Klumpp, ein mit ihm befreundeter ehemaliger Bauhausstudent, in selbstloser Weise behilflich war. Zudem brachte er 60 Gemälde und andere Werke, die Feiningers ihm vor dem Weggang anvertraut hatten, im Wäschereiauto seiner Familie nach Quedlinburg.

Dort hütete er sie während der DDR-Zeit und bemühte sich, die Erinnerung an das Bauhaus wach zu halten, wofür er stets politischen Angriffen ausgesetzt war. Nach dem Tod Julia Feiningers benannte der amerikanische Nachlassverwalter den zuständigen DDR-Behörden hohe Summen für die Bilder, wodurch diese darauf aufmerksam wurden und Klumpp Feiningers Werke staatlicherseits entzogen wurden. Nach einem beinahe zehnjährigen Rechtsstreit gelangten die Ölgemälde nach New York.

Erst 1986 konnte auf Klumpps Wunsch mit den verbliebenen Arbeiten die Feininger-Galerie in Quedlinburg eröffnet werden, ein überaus tragisches Geschehen, das es wert gewesen wäre, ausführlicher dargestellt zu werden, zumal Platthaus auch mit längeren und sehr lesenswerten Exkursen zur Biografie von Alois Schardt, Museumsdirektor in Halle und Förderer des Künstlers, Feiningers erster amerikanischer Agentin Galka Scheyer sowie der Bauhaus-Keramikerin Marguerite Friedlaender aufwartet.

Aus letzteren wird deutlich, dass Feininger bei seiner Rückkehr in die alte Heimat auf ein bereits bestehendes Netzwerk deutscher Emigranten und Veteranen des Bauhauses zurückgreifen konnte. Diese halfen ihm ebenso wie Alfred H. Barr, als Direktor des New Yorker MoMa ein einflussreicher Fürsprecher, in den USA wieder Fuß zu fassen, und zwar zunächst durch Sommerkurse am Mills College und am Black Mountain College. Bis zuletzt lebte Feininger in seinem Zwei-Zimmer-Appartement in New York und zehrte für seine Gemälde von seinen Naturskizzen aus der alten, deutschen Heimat, zu denen sich allerdings spät noch Darstellungen der New Yorker Wolkenkratzer gesellten.

Platthaus ist es gelungen, der Physiognomie des Künstlers Lyonel Feininger völlig neue, bisher unbekannte Züge hinzuzufügen, die ihn uns in seiner ganzen Zerrissenheit zeigen und zugleich nahbarer als bisher erscheinen lassen. Was bleibt, ist die Freude an Feiningers großartig-geschlossenem Werk.

Titelbild

Andreas Platthaus: Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021.
448 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783737101165

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