Die Vermittlung allein über Ton ist die große Kunst

Ein Gespräch mit dem Hörspiel-Produzenten Memo Jeftic über Netflix-Ästhetik, die Produktion von Hörspielen und die Zukunft des erwachsenen Hörspiels

Von Jonas HeßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Heß

Memo Jeftic ist Autor für Hörspielproduktionen und Inhaber einer Film- und Audio-Produktionsfirma. Zuvor arbeitete er nach einem Film- und Regie-Studium einige Jahren bei 3sat und ZDFkultur und podcastete zum Thema Film. Momentan produziert er mit seinem Team verschiedene Hörspiel-Formate für FYEO, die digitale Audio-Plattform von ProSiebenSat.1 – darunter „Burn Germany Burn“ über die Geschichte der RAF und „Ritus Modem“. Für den Schwerpunkt von literaturkritik.de zu Hörspielen und -büchern sprach Jonas Heß mit ihm.

 

literaturkritik.de: Hörspiele sind ja ein Format, das viele vor allem aus der Kindheit kennen. Durch Streaming-Dienste wie Audible, FYEO und andere werden diese mittlerweile ganz anders medial an das Publikum herangebracht und präsentiert. Was hat sich dadurch deiner Meinung nach verändert?

Memo Jeftic: Es stimmt, das Hörspiel ist in Deutschland ganz stark mit der Kindheit konnotiert, weil die bislang erfolgreichsten Hörspiele Produktionen für Kinder sind – wie z.B. TKKG oder Die drei ???. Damit geht auch eine gewisse Haltung und Art des Sprechens einher. Und es bringt ein Gefühl kindheitlicher Geborgenheit mit sich, weshalb viele diese Hörbücher auch heute noch zum Einschlafen hören. Einen so durchschlagenden Erfolg gibt es jedoch auf dem Markt für eine erwachsene Zielgruppe bislang nicht. Deshalb geht es aktuell vermehrt darum, einen solchen Markt zu erschließen. Dafür benutzt man reifere Geschichten und setzt auf Schauspieler als Sprecher, um einen gewissen Netflix-, Blockbuster-Anstrich zu erzielen. 

literaturkritik.de: Die Zielgruppe bei Hörspielen hat sich also in den letzten Jahren verändert. Ist bereits zu erkennen, ob es hier erste durchschlagende Erfolge gibt? 

Jeftic: Nein, dafür ist diese Neuausrichtung noch zu jung. Auch Netflix brauchte ja seine Zeit, um die nötigen Erkenntnisse über das tatsächliche Zielpublikum der produzierten Serien gewinnen zu können. In unserem Fall erkennen wir eine positive Resonanz hauptsächlich daran, dass unsere Auftraggeber z.B. eine weitere Staffel eines Hörspiels anfragen.
Vor kurzem gab es eine Studie zum Thema Hörspielnutzung. Dabei wurden die Zuhörer und Zuhörerinnen auch dazu befragt, welches Genre sie am liebsten hören, was in Deutschland – keine Überraschung – Kriminalgeschichten sind. 

literaturkritik.de: Ihr produziert ja hauptsächlich Hörspiele – keine Hörbücher, die ja meist von den Verlagen in Auftrag gegeben werden. Wie läuft so eine Hörspielproduktion ab und wie ist die Arbeit am Skript verteilt?

Jeftic: Es beginnt damit, dass wir in einer sogenannten Treatment-Form die Geschichte umreißen. Diese Treatments werden dann an die Regie und FYEO geschickt und wir erhalten Feedback. Darauf aufbauend schreiben wir das Buch, also den eigentlichen Text für die einzelnen Folgen. Daran arbeiten in unserem Team ca. drei Leute gemeinsam, das Team ist also recht klein. Mit dem eigentlichen Buch fangen wir erst an, wenn wir schon sehr genau wissen, was darin eigentlich passiert. Bevor wir mit der Niederschrift des Buchs beginnen, haben wir die Episode bereits komplett mental vor uns und wichtige Dialogfetzen und zentrale Sätze, die hängen bleiben sollen – wir nennen sie „Königssätze“ (lacht) –, sogar schon ausformuliert.

literaturkritik.de: Inwiefern spielen dann im weiteren Verlauf strukturelle, dramaturgische Überlegungen eine Rolle?

Jeftic: Wenn man weiß, dass man acht Folgen à ca. 20 Minuten zu füllen hat – das ist der vereinbarte Rahmen mit FYEO –, versucht man immer, einen dramaturgischen Bogen zu spannen: Die ersten zwei Folgen sind dann die Exposition. Da lernt man die Figuren kennen und der Hauptkonflikt wird etabliert. In Folge drei, vier, fünf und sechs spitzen sich die Konflikte zu und es kommen neue hinzu. Und in Folge sieben und acht werden diese dann aufgelöst. Eine ganz klassische 3-Akt-Struktur also. Innerhalb jeder einzelnen Episode arbeitet man dann auch wieder entlang einer 3-Akt-Struktur. Das ist der formale Rahmen, den man in gewisser Hinsicht braucht, um die notwendige Schreibgeschwindigkeit liefern zu können, die mittlerweile verlangt wird. 

literaturkritik.de: Was für eine Zeitspanne muss man sich da für die Produktion konkret vorstellen, wenn Du sagst, dass es relativ schnell gehen muss?

Jeftic: Die Treatment-Phase dauert noch recht lang. Da braucht es ca. zwei Wochen, um auf eine DinA4-Seite Treatment zu kommen. Darauf aufbauend dann das 20- bis 25-seitige Buch für eine Folge zu schreiben, geht wiederum recht schnell, ungefähr drei Tage. Dann erst folgen die eigentlichen Aufnahmen. Alles in allem vergeht aber von der ersten Idee bis zur fertigen Produktion nur ungefähr ein halbes Jahr.

literaturkritik.de: Gibt es neben der angesprochenen Struktur, weitere Merkmale oder Techniken, die in solchen Audio-Produktionen zum Tragen kommen, eine bestimmte Art zu erzählen?

Jeftic: Ja, wir nennen das „hörspieliges“ Erzählen. Zum einen ist in deutschen Hörspielen vor allem auch der Erzähler bzw. die Erzählerin sehr wichtig. Der Klang und Tonfall ihrer Stimmen erweckt sofort Assoziationen, eben zum Beispiel an die Kindheit, und gibt damit der gesamten Produktion eine bestimmte Farbe. Die richtige Stimme ist deswegen extrem wichtig.

Zum anderen aber ist es notwendig, recht komprimiert zu erzählen. Denn lange, detaillierte Beschreibungen sind aus Zeitgründen oft gar nicht möglich. Die Autorinnen und Autoren, mit denen wir in letzter Zeit zusammengearbeitet haben, kommen fast alle vom Film oder von Serien. Wie man nun Dinge, die man im Film visuell erklären würde – etwa indem man die Mimik einer Person oder die Einrichtung eines Zimmers zeigt –, in Audio übersetzen kann, ohne aber längere ermüdende Beschreibungspassagen zu benötigen, das war eine große Herausforderung für uns. Die Vermittlung allein über Ton ist eben die große Kunst an der Sache. Letzten Endes führt das ins Literarische: Wie viele Worte brauche ich, um etwas zu sagen?

literaturkritik.de: Gleichzeitig darf man aber auch nicht zu sehr kürzen und ins Kryptische geraten…

Jeftic: Genau, kürzt man hier zu stark, lässt man das Publikum allein und die Szene wird unverständlich. Den erklärenden Text jedoch kann man oft radikaler kürzen, als es zunächst scheint. Denn die Zuhörer*innen sind mittlerweile gut damit vertraut, einzelne Erzählstränge und Schilderungen selbst zu verknüpfen – und darin liegt für das Publikum auch ein gewisser Reiz. 

literaturkritik.de: Durch digitale Rezeptionsformate erhalten Anbieter mittlerweile große Mengen detaillierter Informationen darüber, wie ihre Formate genau konsumiert werden, wer bzw. wie viele Zuschauer*innen wann genau aussteigen etc. Große Film- und Serienproduzenten wie Netflix werten diese Daten aus, um ihre Erzählmuster zu optimieren und damit Zuschauer*innen künftig möglichst lange bei der Stange zu halten. Sind solche Verfahren auch in Bezug auf Hörspiel-Produktionen digitaler Anbieter üblich?

Jeftic: Das gibt es in einem bestimmten Rahmen selbst im öffentlich-rechtlichen Bereich. Statt an der Quote wird sich an einer Zuschauer*innenkurve orientiert, die anzeigt, zu welchem Zeitpunkt wie viele von ihnen wegbrechen. Auch die Anbieter für Hörbücher und -spiele haben diese Daten. Das wird aber an uns als Produzent*innen nicht herangetragen, da wird also eine schützende Hand über uns gehalten. Denn abgesehen davon, dass solche Informationen auch hilfreich sein können, bringen sie das Problem mit sich, dass sie zu inhaltlich recht austauschbaren Produkten führen. Bei Netflix z.B. fällt auf, dass in den letzten Jahren alles immer mehr einem ähnlichen Muster folgt und damit recht vorhersehbar geworden ist. Das Überraschungsmoment fällt damit zum Teil weg.

literaturkritik.de: Das stimmt. Und man hat auch den Eindruck, dass mittlerweile viel schneller erzählt wird als das noch im sogenannten Golden Age of TV Series, mit Breaking Bad oder den Sopranos zum Beispiel, der Fall war. Heute scheint es wichtiger zu sein, schnell und viel zu produzieren. Gibt es im Hörspiel-Bereich eine ähnliche Tendenz hin zu schneller rezipierbaren Formaten?

Jeftic: Digitale Anbieter verwenden ja Slogans wie „Blockbuster für die Ohren“. Da merkt man direkt, woran hier angeschlossen werden soll. Mit Blockbustern werden in erster Linie große Filme und Serien assoziiert. Man will also weg von dem öffentlich-rechtlichen Anstrich. Die öffentlich-rechtliche Hörspielkultur hat oft avantgardistische, experimentellere Formate, Nischenstoffe und ein festeres Publikum. Bei uns hingegen muss ein niedrigschwelliger Einstieg möglich sein. In den ersten Folgen muss klar werden, um was für ein Genre es sich handelt. Und da muss direkt eine starke Hook, quasi ein Suchtfaktor, vorhanden sein, der das Publikum immer weiter in die Geschichte hineinzieht. Und diese Blockbuster-Erzählform ist von uns mittlerweile auch so internalisiert. Das geht natürlich auch häufig von dem aus, was wir als Rezipienten, die wir ja auch alle sind, gerne hören würden.

Dazu kommt, dass unsere Gegenwart so voll von Content ist, es gibt so viele Inhalte, die um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Das gilt für Audioformate, aber natürlich auch für alles andere darüber hinaus. Man fragt sich manchmal schon, wer das alles rezipieren soll (lacht). Vor diesem Hintergrund darf ein Format nicht zu lange brauchen, bis es das Publikum packt.

literaturkritik.de: Im Bereich Serien hatte man ja in Deutschland bzw. Europa anfangs relativ den Anschluss verloren bzw. den Startschuss überhört. Wie verhält sich das bei den Hörspielen und Audioprodukten? 

Jeftic: Genau. Die US-amerikanischen Serien-Produktionen hatten lange Zeit ein Monopol auf dem Gebiet. Alle anderen haben dann versucht, nachträglich auf dem Markt Fuß zu fassen. Im Audio-Bereich versucht man, diesen Fehler nun zu vermeiden und wartet eben nicht auf erfolgreiche Formate aus den USA, sondern will selbst zuerst den Massenmarkt erobern. Was man im Nachhinein bei den Serien herausgefunden hat, ist, dass es immer die eine Serie braucht, die den Massenmarkt öffnet. Bei Netflix war es zum Beispiel House of Cards. Die Mischung aus prominenter Besetzung mit dem zynischen Blick hinter die politischen Kulissen und einer irgendwie coolen Erzählweise – das war neu, hat sich relativ schnell herumgesprochen und letztlich aus dem DVD-Verleiher Netflix einen großen Film-Produzenten gemacht.

Im Podcast-Bereich hat man so etwas auch bereits gefunden, Fest & Flauschig z.B., der Podcast von Jan Böhmermann und Olli Schulz, hat Podcasting nach langer Zeit wieder extrem populär gemacht. Und auf so einen Marktöffner wartet man jetzt auch im Bereich der Hörspiele, die sich an ein erwachsenes Publikum richten. Auf etwas, das zum Synonym für das ganze Medium wird, wie eben Die drei ??? bei Kindern.