Misandrie und Hexensabbat

Pauline Harmanges Essay „Ich hasse Männer“ ist eine Gedankenreise, auf die man sich einlassen sollte

Von Veronika DyksRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veronika Dyks

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich hasse Männer. Alle, wirklich? Ja, alle.“ Das schreibt die 26-jährige Pauline Harmange in ihrem Ende 2020 in deutscher Übersetzung erschienenen Essay Ich hasse Männer. Ein starkes Statement, das vermutlich einige, die sich noch nicht vom Titel selbst haben abschrecken lassen, das kleine Büchlein zuklappen und in die Ecke pfeffern lässt. (Das entspräche auch der Wirkung des Essays in Frankreich, wo er einen regelrechten Skandal ausgelöst hat.) Zwar gehöre ich nicht zu denen, die eine solche Aussage sofort vergrault – schließlich bin ich, genau wie die Autorin, Mitte 20, bezeichne mich selbst als Feministin und gehöre damit vermutlich zur Zielgruppe des Essays. Aber auch einer jungen Feministin kann bei diesen Worten etwas flau im Magen werden. Denn Feminismus, wie ich und viele andere ihn verstehen, ist die absolute Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung. Männerhass (oder auch: Misandrie) scheint diesem Ziel genau entgegenzuwirken.

Meine Empfehlung an alle, denen es so oder so ähnlich ergangen ist: Weiterlesen. Denn Misandrie in Harmanges Definition ist keine Überhebung der Frauen über die Männer und auch nicht die Forderung, alle Männer aus der Gesellschaft zu verbannen. Harmange definiert Misandrie als „negatives Gefühl in Bezug auf die Gesamtheit des «starken Geschlechts»“, das heißt, „alle Cis-Männer, die als solche sozialisiert worden sind und ihre männlichen Privilegien genießen, ohne sie ausreichend in Frage zu stellen“. (Das Wort „cis“ ist das Gegenstück zu „trans“ und beschreibt Personen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, mit dem sie auf die Welt gekommen sind.) Dieses negative Gefühl umfasst ein „Spektrum zwischen einfachem Misstrauen und ausgesprochener Feindseligkeit“. Harmange will nicht zur reinen Frauengesellschaft aufrufen und schon gar nicht zu einem Männerhass, der Männern schadet. Darin sieht sie auch den entscheidenden Unterschied zur Misogynie, dem Frauenhass: Im Gegensatz zur Misogynie, die allein in Deutschland jeden dritten Tag ein Todesopfer fordert, die Frauen auf der ganzen Welt systemisch benachteiligt, erniedrigt, unterdrückt und verletzt, führe Männerhass nicht zu Gewalt. Sie sieht Misandrie als „Ausweg“, als Methode für Frauen, ihre Wut auszudrücken und endlich die Konfrontation zu suchen, und nicht zuletzt als „Möglichkeit, mit jedem Atemzug nein zu sagen“ – Misandrie sei letztendlich nichts anderes als die logische Reaktion auf Misogynie.

Im Laufe ihres Essays beleuchtet Harmange verschiedene Mechanismen und Dynamiken der trotz aller Aufgeklärtheit und Säkularisierung doch noch patriarchalisch geprägten Gesellschaft in Frankreich und anderen sogenannten westlichen Ländern. Dabei verleiht sie einem gesellschaftspolitischen Thema eine sehr persönliche Note, bietet Einblicke in ihr Privatleben und ihre Gefühlswelt. Gesellschaftsübergreifende Problematiken untermalt sie humorvoll, zynisch oder auch mal todernst mit eigenen Erfahrungen. So zum Beispiel die Unterschiede in der kindlichen Sozialisation von Mädchen und Jungen: Mädchen, so Harmange, würden dazu erzogen, negative Gefühle zu unterdrücken, passiv zu bleiben, während Jungen dazu ermutigt würden, Wut in Gewalt umschlagen zu lassen. Die Unterschiede in der Erziehung wirkten sich nachhaltig auf die Konfliktbewältigung und emotionale Belastung im späteren Leben aus; das spüre sie nicht zuletzt in ihrer eigenen Beziehung, die trotz aller Liebe und Zuneigung die Spuren patriarchalischer Erziehung trägt.

In ihrem Essay ergründet Harmange nach und nach die in Frauen „tiefverwurzelte Gewohnheit, Männern zu vertrauen und gefallen zu wollen“ – und kommt zu dem Schluss, dass man ohne sie viel besser dran wäre. Pauline Harmange will dabei mit gutem Beispiel vorangehen und Frauen einen neuen Weg eröffnen:

[…] Frauen im Allgemeinen sollen von meiner zwischenmenschlichen Energie profitieren, die Männer brauchen mich nicht, um sich anerkannt, in ihren Lebensentscheidungen unterstützt und in ihren Werten bestätigt zu fühlen.

Statt Abhängigkeit von männlichen Autoritätsfiguren und Strukturen fordert Harmange Solidarität unter Frauen, eine Schwesternschaft, die beflügelt und befreit: „Es steht allein in unserer Macht, Zeiten und Räume zu schaffen, in denen wir keinen männlichen Interessen dienen.“ Frauen sollten sich zu „Hexensabbaten“ treffen, ob privat oder öffentlich, ob mit konkretem Ziel oder als Freizeitvergnügen. Denn die „Solidarität unter Frauen ist nie oberflächlich, sondern immer politisch.“ Diese Solidarität solle jedoch nicht nur unter Frauen allein herrschen. An die männlichen Leser appelliert Harmange, Frauen zuzuhören, ihnen Raum zu geben und ihre eigenen Privilegien bewusst einzusetzen, um Frauen zu unterstützen.

Harmanges Misandrie ist kein Männerhass, der benachteiligt, erniedrigt oder Schaden zufügt. Er ist vielmehr ein Ablösen von patriarchalischen Strukturen, eine bewusste Ablehnung von bestehenden Machtverhältnissen und ein Wunsch nach mehr Solidarität mit und unter Frauen. Diese Misandrie richtet sich weniger gegen Männer als gegen das Patriarchat, ist ein entschiedenes nein gegen eine frauenfeindliche Gesellschaft.

Ich hasse Männer wird wahrscheinlich nicht die Welt verändern. Durch Skepsis oder sogar Hass werden sich die Vertreter des Patriarchats nicht in Luft auflösen. Das will der Essay aber auch gar nicht. Er will keine Universallösung gegen Sexismus und Unterdrückung bieten. Er verkörpert vielmehr einen ersten, notwendigen Schritt für Frauen (und Männer), sich zumindest gedanklich vom Patriarchat zu lösen – und zeigt somit einen gesunden Umgang mit der Wut, die aus der immer noch vorhandenen Unterdrückung von Frauen resultiert: weder passiv-hinnehmend noch aggressiv, sondern skeptisch, selbstbestimmt und solidarisch. Dieser Gedanke äußert sich jedoch zuweilen idealistisch verträumt, eurozentristisch oder gar selbst sexistisch, indem er bestehende Geschlechterklischees wiederholt und bekräftigt.

Gleich zu Beginn ihres Essays stellt sich Harmange dem Vorwurf, Feminismus sei sexistisch, weil alle Feministinnen Männer hassen würden. Da sie im Prinzip aber genau das fordert – Männerhass –, verhandelt sie das Ganze mit einem Augenzwinkern und bittet die männliche Leserschaft, erst einmal zurückzutreten und sich anzuhören, warum Misandrie in ihrer Definition heute noch notwendig ist. Eines der Hauptargumente dieser Begründung fußt jedoch auf dem Klischee, dass Frauen alles friedlich und gewaltlos lösen würden. Diese Vorstellung wiederum gründet auf Harmanges unbelegter Behauptung, dass es exakt null Gewalttaten aus Männerhass geben würde. Ja, der Männerhass, den Harmange wünscht und fordert, ist nicht aggressiv. Das heißt aber nicht, dass Frauen nicht auch gewalttätig werden können. Das Gegenteil zu behaupten, stellt sich mit misogynen Vorstellungen von Frauen als wehrlos, unschuldig und geborenen Opfern in eine Reihe.

Genauso wirft Harmanges Vorstellung von „Hexensabbaten“ Fragen auf. Sie argumentiert, dass Freizeittreffen unter Frauen von einer männlichen Gesellschaft nicht ernstgenommen würden. Dass es genau deswegen gerade diese Räume und Aktivitäten seien, die Frauen eine ungeahnte Macht verleihen würden. Aber wieso müssen Frauen sich dann ausgerechnet bei Tupperpartys oder Kaffeekränzchen treffen? Wieso nicht beim Sport? Warum nicht bei einer Kneipentour? Sind Kaffeeschlürfen und Küchenprodukte kaufen die einzigen Aktivitäten für Frauen außerhalb des politischen Raums? Ja, die Umdeutung weiblicher Klischees ist mehr als notwendig. Vermeintlich typisch weibliche Interessen und Eigenschaften sollten nicht mehr abgewertet werden und endlich auf einer Stufe mit sogenannten typisch männlichen Attributen stehen. Aber ist diese Konzentration auf das weibliche Klischee nicht auch eine Form des Rückzugs? Ist es nicht auch ein Ausweichen in einen für Frauen vorgesehenen Raum? Die Männer lassen uns nicht in der Unternehmensführung mitreden, also schmeißen wir eine Tupperparty und feiern uns für unsere Solidarität? Der latente Sexismus dieser friedlichen und solidarischen Misandrie wird begleitet von einer guten Prise Idealismus. Was Harmange nämlich völlig außer Acht lässt, ist der Aspekt des Frauenhasses in den Frauen selbst, der einer wahren „Schwesternschaft“ noch im Wege steht.

Sind Sie eine Frau und haben jemals eine andere Frau, die mehrere Sexualpartner hat, als Schlampe bezeichnet oder es zumindest gedacht? Oder als Zicke, wenn sie streng ist? Als Rabenmutter, wenn sie nach der Geburt eines Kindes schnell wieder zur Arbeit geht? All das sind Zeichen für internalisierten Frauenhass. Er reproduziert Stereotypen und Unterdrückungsmechanismen, führt zu Konkurrenzdenken und einer Spaltung zwischen Frauen. Nicht ohne Grund gelten Auseinandersetzungen unter Frauen als Zickenkrieg. Frauen führen einen Krieg gegen sich selbst, haben ihre Unterdrückung durch das Patriarchat verinnerlicht und führen sie fort. Für eine wahre Schwesternschaft sollte man nicht nur die Misogynie von außen bekämpfen, sondern vor allem die von innen.

Die persönliche Prägung des Essays sorgt zudem für einen sehr westlich geprägten Feminismus: den Feminismus einer weißen, jungen, französischen Akademikerin, die ihr eigenes Privileg gegenüber den meisten anderen Frauen – zum Beispiel denen mit einer anderen Hautfarbe, einem anderen sozialen Hintergrund, oder gefangen in einer noch stärker patriarchalisch geprägten Kultur – leider nicht reflektiert. Gewalt, Femizide und Vergewaltigungen werden zwar thematisiert, stehen aber nicht im Vordergrund des Essays, ganz zu schweigen von den katastrophalen Umständen für Millionen von Frauen auf der ganzen Welt. Das heißt nicht, dass Frauenhass in säkularisiert-demokratischen Gesellschaften nicht genauso fatal enden kann. Hier findet die Gewalt jedoch meist im Verborgenen statt, größtenteils außerhalb des gesetzlich Erlaubten und nicht ganz so alltäglich. In Frankreich oder Deutschland mag Harmanges Misandrie für viele Frauen ein guter Weg sein, um sich den Strukturen des Patriarchats zu entziehen. Doch nicht alle Frauen haben dieses Privileg.

Ein weiterer möglicher Kritikpunkt in Harmanges Essay sind die Quellenangaben. Zum Teil scheint es wahllos, welche Aussagen mit Quellen belegt werden und welche als bloße Behauptung stehen bleiben. Allerdings handelt es sich auch nicht um einen wissenschaftlichen Aufsatz, sondern um einen Essay – und bei vielen der genannten Artikel und Studien handelt es sich um sehr interessante weiterführende Lektüre, wenn man sich intensiver mit dem Thema beschäftigen will.

Ich hasse Männer ist eine Gedankenreise, auf die man sich einlassen sollte. Denn trotz oder vielleicht wegen der genannten Schwächen in ihrem Essay gelingt es Harmange, ihren Grundgedanken überzeugend darzulegen: Feminismus fängt in den Köpfen an. Er passiert nicht einfach über Nacht, sondern ist ein Prozess, der aktiv angestoßen werden muss und immer wieder Raum für Verbesserungen lässt. Einen Vorschlag, wie man diesen Prozess anstoßen kann, bietet Harmange mit ihrem Essay. Gleichzeitig weist sie darin auf andere Quellen hin, die weitere Einblicke in das Thema bieten und andere Geschichten erzählen. Die dem Essay beigefügte Liste von Büchern, Filmen, Serien und Podcasts mit starken weiblichen Protagonistinnen ist eine Einladung, diesen Geschichten zu lauschen. Der erste wichtige Schritt zu einer gerechteren Gesellschaft besteht darin, Frauen Raum zu geben, sie wahrzunehmen und zu respektieren – und das gilt auch für Harmange. Bevor man sie verurteilt und ihr Buch in die Ecke wirft, sollte man sie zunächst einmal zu Wort kommen lassen. Und ihr zuhören.

Titelbild

Pauline Harmange: Ich hasse Männer.
Aus dem Französischen von Nicola Denis.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020.
112 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783499006753

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch