Mutterschaftsidealisierung, Männergewalt und rauschende Feste

Meike Baader, Eva Breitenbach und Barbara Rendtorff greifen mit ihrem Buch über „Bildung, Erziehung und Wissen der Frauenbewegungen“ in laufende Debatten ein

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In mehr und besserer Bildung scheint durchgängig der Schlüssel zu innerer Freiheit des Denkens, zur Selbstbestimmung, zur Forderung nach Beteiligung, Teilhabe und der Verbesserung der gesellschaftlichen Lage von Frauen […] zu liegen.“ Diese Erkenntnis teilten den Erziehungswissenschaftlerinnen Meike Baader, Eva Breitenbach, und Barbara Rendtorff zufolge nicht erst die beiden historischen Frauenbewegungen um 1900 und in den 1970er Jahren, sie habe vielmehr schon Mitte des 19. Jahrhunderts zu den Grundlagen des frauenemanzipatorischen Engagement Louise Otto-Peters’ gehört.

Tatsächlich war dieses Wissen unter Frauenrechtlerinnen sogar noch früher verbreitet. Schon 1828 legte Harriet Taylor in ihrer Schrift Education of Mothers dar, dass Bildung für Frauen von „essentieller Wichtigkeit“ sei und „gar nicht hoch genug angesetzt werden“ könne. Und bereits 1792 hatte Mary Wollstonecraft in ihrem feministischen Klassiker A Vindication of the Rights of Woman betont, wie wichtig Bildung und Erziehung als Voraussetzungen weiblicher Emanzipation sind.

Das Autorinnentrio des vorliegenden Bandes konzentriert sich jedoch ganz auf die beiden Wellen der deutschen Frauenbewegung und erörtert die Frage, „welche Impulse für Bildung, Erziehung, Sozialisation und Sorge“ von ihnen „ausgegangen sind“. Dabei gehen die Autorinnen insbesondere den „Gemeinsamkeiten, Kontinuitäten, Unterschieden oder gar Brüchen im Verhältnis von erster und zweiter Frauenbewegung“ nach.

Baader, Breitenbach und Rendtorf haben ihren Band in die beiden Hauptteile „Pädagogische Themenfelder der Frauenbewegungen“ und „Politisch-pädagogische Praxen und Theoriebildungen“ gegliedert, die sich in insgesamt 13 Unterkapitel auffächern. Diese befassen sich etwa mit „Bildung“, „Sozialisation und Erziehung“, „Mädchen und Mädchenarbeit“, „Selbsthilfe, Selbstorganisation, Solidarität“, „Wertschätzung“ und „Forschung, Wissensproduktion und Theoriebildung“. Zwar verweisen die einzelnen Unterkapitel immer wieder aufeinander, doch zeigen die jedem von ihnen angehängten Literaturlisten an, dass sich die Abschnitte auch jeweils für sich lesen lassen. Etwas mehr Sorgfalt bei der Erstellung der Literaturverzeichnisse wäre wünschenswert gewesen. Nicht alle in den Texten genannten und zitierten Werke sind verzeichnet und gelegentlich wird einer Autorin ein falscher Vorname gegeben. Perkins Gilman hieß nicht Sander, sondern wie es im Text richtig steht Charlotte.

In die vergleichende Untersuchung zur Bedeutung der Bildung und Erziehung in beiden Frauenbewegungen fließen immer wieder Überlegungen zur Terminologie gegenwärtiger sozialer Bewegungen und sich als kritisch verstehender Wissenschaft ein. So zeigen die Autorinnen etwa, dass der Terminus „Intersektionalität“ zwar neu, die Herangehensweise jedoch schon alt ist, denn „[d]ie Differenzen nach sozialer Lage, Bildungsstand und Herkunft spielten“ auch schon „in beiden Frauenbewegungen eine Rolle“. Zugleich monieren sie sehr zu Recht, dass „bei der Thematisierung der verschiedenen Ungleichheitsaspekte“ seit einiger Zeit „die Dimension Geschlecht deutlich in den Hintergrund geschoben“ und dabei „teilweise in Identitätsfacetten zerlegt und teilweise marginalisiert“ wird.

Dieser Vorwurf trifft gerade auch diejenigen, die sich mit dem Etikett „intersektionaler Feminismus schmücken. Die Autorinnen selbst stehen dem Terminus Intersektionalität „durchaus ambivalent“ gegenüber. Anders als der Begriff „Differenz, der „gesellschaftliche Ungleichheit, Hierarchie, Benachteiligung, Unterdrückung und Ausgrenzung […] vernachlässig[t]“ und dazu „tendiert […] Geschlecht unsichtbar zu machen“, stelle „der Ansatz der Intersektionalität“ immerhin „Differenz als soziale und gesellschaftliche Ungleichheit ins Zentrum“. Zudem habe er sich „bei allen Transformationen, die er durchlaufen hat, aus feministischen Debatten“ entwickelt. „[Z]umindest potentiell“ schließe er daher „eine  Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht mit ein“. Das ist allerdings ein ziemlich dürftiger Anspruch für einen feministischen Ansatz.

Ginge es zudem nicht vielmehr darum, die diversen Unterdrückungen und ihre Mechanismen zueinander ins Verhältnis zusetzen und zu zeigen, welche in welchen Gesellschaften grundlegender und relevanter als andere sind und warum das so ist? So äußert sich Rassismus beispielsweise in den USA, China, Nigeria oder den einzelnen Ländern Europas auf jeweils unterschiedliche Weise, funktioniert verschieden und ist auch nicht in jedem Land von gleich großer Bedeutung.

Zu den besonders erhellenden Abschnitten zählt das Kapitel „Machtverhältnisse, Gewalt, sexuelle Gewalt“. Auch hier üben die Autorinnen Begriffskritik, da sich „Veränderung und Entwicklung der Analysen […] mit der Veränderung der Begriffe illustrieren [lassen]“. War Mitte der 1970er Jahr im „ersten Erfahrungsbericht aus dem Berliner Frauenhaus“ noch eindeutig von „Männergewalt“ die Rede, setzte sich später der verschleiernde Begriff „häusliche Gewalt“ durch. Den Wandel sehen die Autorinnen zum einen darin „begründet, dass dieser Begriff nicht im Verdacht steht, feministisch zu sein“. Zum anderen nehme er neben den misshandelten Frauen auch „die Situation der betroffenen Kinder in den Blick“. Dennoch kritisieren sie den terminologischen „Wechsel von den Personen zu den Kategorien, von der ‚Männergewalt gegen Frauen’ zu ‚Gewalt im Geschlechterverhältnis’ und zu ‚häuslicher Gewalt’, vom Faktum der Gewalt mit einer klaren Benennung von Opfern und Tätern zur ‚Verwobenheit’ […] aller Beteiligten in ein unterschiedlich deutbares Geschehen“. Damit signalisiere er „einen Prozess […] der emotionalen Distanzierung vom Geschehen“.

Nicht weniger „unscharf“ sei die Rede vom „sexuellen Missbrauch von Kindern, „suggerier[e]“ sie doch, es könne einen „nichtmissbräuchlichen ‚Gebrauch’ der Kinder“ geben. „Je nach Kontext, Fokus und Position“ werde inzwischen von „‚sexueller Misshandlung’, ‚sexueller Ausbeutung’ oder seit 2010 verstärkt von ‚sexualisierter Gewalt’ gesprochen“. Sie selbst benutzen den Ausdruck „sexuelle Gewalt“.

Nicht nur die Bedeutung und Verwendung dieser und anderer für die Frauenbewegungen zentrale Begriffe wie Freiheit, Emanzipation, Selbstbestimmung zeichnen die Autorinnen kritisch nach, sondern ebenso die Geschichte feministischer Selbsthilfegruppen, Frauenbildungsprojekten sowie der Frauenverlage und -buchläden in den 1970er Jahren, wobei sie sich letzteren etwas ausführlicher zuwenden. Denn die „Vielzahl sozialer Begegnungsformen“, zu denen nicht zuletzt „rauschende Frauenfeste“ gehörten, sei nicht zu unterschätzen. Das ist zweifellos richtig. Sträflich unterbelichtet bleibt jedoch die politische Lesbenbewegung der 1970er Jahre, deren Bedeutung für die zeitgenössische Frauenbewegung nicht unterschätzt werden sollte.

Wie die Verfasserinnen zeigen, haben beide historische Frauenbewegungen „bis heute wirkende Impulse für die Modernisierung der öffentlichen Kleinkindbetreuung gesetzt“. Ein nicht unwesentlicher Unterschied zwischen beiden Bewegungen besteht hingegen darin, dass für die Frauenbewegung um 1900 der „‚Kampf um Bildung’ für bürgerliche Mädchen und junge Frauen“ im Mittelpunkt stand, während die zweite Frauenbewegung auf „Empowerment durch Bildung“ setzte. 

In dem wichtigen Abschnitt über „Mutterschaft, Mütterlichkeit und öffentliche Kleinkinderziehung“ halten sie zudem fest, dass Fragen der „Mutterschaft und Mütterlichkeit“ sowohl in der ersten wie auch der zweiten Frauenbewegung „kontrovers und umstritten“ waren. Damit widersprechen sie zu Recht der landläufigen These von der ungebrochenen Mutterschaftsidealisierung in der ersten Frauenbewegung, der zwar tatsächlich weite Teile des gemäßigten Flügels, aber eben nicht alle Frauenrechtlerinnen der Zeit huldigten.

Umso merkwürdiger nimmt es sich aus, dass die Autorinnen wenige Seiten später undifferenziert vom „Mütterlichkeitskult der ersten Frauenbewegung“ sprechen. Bei den Radikalen um Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann kann davon keine Rede sei. Auch zählen die Autorinnen Hedwig Dohm fälschlicherweise zu den Frauenrechtlerinnen, für die „Mutterschaft ein essentieller Teil des weiblichen Lebens“ war. Zwar wandte sich Dohm nicht so scharf wie die österreichische Feministin Rosa Mayreder gegen die „hohle Phrasenhaftigkeit der üblichen Mutterschaftsverherrlichung“ in weiten Teilen der Frauenbewegung, doch polemisierte sie 1900 in ihrem von den Autorinnen nicht berücksichtigten Zeitschriftenaufsatz Die Neue Mutter gegen den „Heiligenschein der Mutterliebe“. Es gelte, erklärte Dohm, „Mutterschaft auf ihr vernünftiges Maß zurückzuführen“. Angemerkt sei auch, dass sich der 1904/5 gegründet Bund für Mutterschutz 1908 nicht in Deutscher Bund für Mutterschutz umbenannte, sondern in Deutscher Bund für Mutterschutz und Sexualreform.

Ungeachtet dessen arbeitet der vorliegende Band die Unterschiede zwischen beiden Frauenbewegung in Sachen Mutterschaft gut heraus. Während für die Frauenbewegung um 1900 „Fragen von Mutterschutz“ und namentlich die „Verbesserung der Lage von ledigen Müttern“ sowie die „Debatte um ‚geistig’, ‚soziale’ oder ‚universelle Mutterschaft’“ im Vordergrund standen, „zielte die zweite Frauenbewegung […] darauf, die Norm der Mutterschaft als die ‚Bestimmung’ des weiblichen Geschlechts für das Leben von Frauen aufzusprengen“. 

Darüber hinaus kennzeichnet die zweite Frauenbewegung die Besonderheit, dass sie nicht, wie etwa von Alice Schwarzer immer wieder behauptet, mit der „Anti-Abtreibungskampagne“ Anfang der 1970er Jahre begann, sondern bereits Ende der 1960er Jahre ihren „Auftakt mit einem Erziehungsthema“ nahm, aus dem die von Marianne Herzog, Helke Sander und Monika Seifert initiierte Kinderladenbewegung hervorging, die nicht zuletzt der Entlastung der Mütter dienen und so ihr politisches Engagement erleichtern sollte. Dies sei eine nicht ganz unwichtige Richtigstellung, weil „mit dem Anfangsnarrativ […] auch Kämpfe um Sprecherinnenpositionen verbunden“ seien.

Insgesamt stellen Baader, Breitenbach und Rendtorff die Entwicklungen insbesondere der zweiten, aber auch der ersten Frauenbewegung in Sachen Bildung und Erziehung konzis und differenziert dar. Dabei verstehen sie die „Bilanz“ ihrer Veröffentlichung nur als „vorläufige“, die „zum Weiterdenken, zur Vertiefung und differenzierten Erforschung“ anregen soll. Anknüpfungspunkte hierzu bietet sie reichlich.

Titelbild

Barbara Rendtorff / Meike Baader / Eva Breitenbach: Bildung, Erziehung und Wissen der Frauenbewegungen. Eine Bilanz.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2021.
258 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783170363229

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